«Unfälle gehören ins Museum»

Continental-Chef Elmar Degenhart

«Unfälle gehören ins Museum»
Continental-Chef Elmar Degenhart vor einem Versuchsfahrzeug. © Continental

Elmar Degenhart rechnet etwa 2020 mit der technischen Serienreife für hochautomatisiert fahrende Fahrzeuge. Das Wann der Markeinführung hänge aber vom Gesetzgeber ab, sagte der Continental-Chef der Autogazette.

Der Chef des Automobilzulieferers Continental, Elmar Degenhart, erwartet die technische Serienreife von hochautomatisiert fahrenden Fahrzeugen auf Autobahnen etwa im Jahr 2020. Die Markteinführung hänge jedoch nicht allein vom Zeitrahmen der technischen Entwicklung ab. «Der Gesetzgeber wird hier maßgeblich über das Wann und Wie entscheiden, schließlich müssen die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen erst noch geschaffen werden», sagte Degenhart im Interview mit der Autogazette.

Der Conti-Chef zeigte sich jedoch nach der im März erfolgten Modifikation des Wiener Abkommens für den Straßenverkehr zuversichtlich, dass diese gesetzlichen Regelungen rechtzeitig erfolgen werden. «Denn alle Beteiligten sind sich einig darin: Unfälle gehören ins Museum. Die Fahrerassistenzsysteme sind dafür die Wegbereiter. Ihre zusehende Vernetzung ermöglicht dann das automatisierte Fahren.»

«Geschäft mit Fahrassistenzsystemen wächst»

Wie Degenhart sagte, würden Fahrassistenzsysteme bei den Autofahrern immer beliebter und für Continental unter Umsatzgesichtspunkten immer bedeutsamer. «Ihr Wertanteil im Auto wächst seit Jahren überdurchschnittlich. 2010 belief sich das Marktvolumen noch auf weniger als eine Milliarde Euro. Bis 2020 werden es nach unserer Schätzung 10 Milliarden Euro sein. Im Continental-Konzern trägt dies entsprechend zu unserer Wachstumsstrategie bei», so Degenhart. «Unser Geschäft mit Fahrerassistenzsystemen wird in den kommenden Jahren um schätzungsweise 30 Prozent pro Jahr wachsen. Von heute rund 500 Millionen Euro auf etwa anderthalb Milliarden Euro in 2018.»

Degenhart rechnet trotz des von Google vorgestellten autonom fahrenden Prototypen nicht damit, dass IT-Unternehmen in den serienmäßigen Automobilbau einsteigen werden. Allerdings würde die IT-Industrie ihre Geschäftsmodelle weiter entwickeln. «Nach Büro und Wohnzimmer soll nun das Auto Teil des Internets werden. Fahrer und Passagiere sollen im Auto künftig mehr Zeit für das Nutzen von Internetdiensten erhalten.» Außerdem würde das «Auto selbst als Datenerzeuger interessant. Denn Daten sind für die Wertschöpfung der Zukunft wichtiger als Rohöl».

«Automatisiertes Fahren wird Mobilität verändern»

Ein autonom fahrendes Fahrzeug von Continental
Der Versuchsträger von Conti fährt autonom Continental

Autogazette: Herr Degenhart, Audi hat im Oktober einen RS7 in knapp über zwei Minuten vollkommen autonom über den Hockenheimring rasen lassen. Hat Sie das beeindruckt?

Elmar Degenhart: Am automatisierten Fahren wird bereits seit mehr als zehn Jahren geforscht. So war schon 2007 das Gewinnerfahrzeug „BOSS“ der DARPA Urban Challenge mit Continental-Technik ausgerüstet. Aktionen wie jüngst auf dem Hockenheimring, die Bertha-Benz Fahrt der Mercedes-S-Klasse oder die BMW-Fahrten in Las Vegas im Rahmen der Consumer Electronic Show 2014 demonstrieren vor allem eines: automatisiertes Fahren wächst Schritt für Schritt über das reine Forschungsstadium hinaus und kommt zusehends mit den alltäglichen, komplexen Situationen zurecht. Wir können heute bereits Grenzsituationen des Fahrens verlässlich automatisieren. Nun gilt es, dieses Wissen in die Serie zu überführen.

Autogazette: Weckt eine solche Aktion wie die von Audi nicht Erwartungen an die Technologie, die weder die Zulieferer noch die Hersteller mit Blick auf vollautomatisiertes Fahren in naher Zukunft erfüllen können?

Degenhart: Wichtig ist: Vollautomatisiertes Fahren kommt nicht durch das Umlegen eines Schalters, sondern in evolutionären Schritten in die Serie. Viel Forschungsarbeit ist notwendig, um zunächst das teil- und das hochautomatisierte Fahren in möglichst vielen Fahrzeugen zu integrieren – für mehr Sicherheit, zusätzlichen Komfort und einen merklich reduzierten Kraftstoffverbrauch. Wir dürfen und wollen aber bei den großen technischen Herausforderungen und Entwicklungen den Menschen als Autofahrer nicht außer Acht lassen. Denn es geht uns hierbei vorrangig darum, dessen Vertrauen in diese neue Technologie zu gewinnen. Wir sind überzeugt davon: Das automatisierte Fahren wird die individuelle Mobilität maßgeblich verändern. Wo heute Fahrer noch permanent die Kontrolle über ihr Fahrzeug ausüben müssen, werden diese in Zukunft die Fahraufgabe an das Fahrzeug delegieren können.

Autogazette: Das setzt voraus, dass der Fahrer auch das entsprechende Vertrauen in die Technik hat.

Degenhart: Um das notwendige Vertrauen dafür zu schaffen, setzen wir auf erweiterte und neue Bedienkonzepte, die dem Fahrer unmittelbar signalisieren, was das Auto aktuell tut und welche Aktion es als nächstes durchführt. Das Head-up-Display ist dabei ein zentrales Element, weil es dem Fahrer Informationen zum Fahrgeschehen und der Fahrstrategie direkt ins Sichtfeld einblendet. Dieser Ansatz wird als „Augmented Reality“ bezeichnet. Öffentlichkeitswirksame Fahrten wie auf dem Hockenheimring unterstützen diese Vertrauensbildung natürlich und sind für Automobilbegeisterte und Technikinteressierte beeindruckende Belege für die Leistungsfähigkeit der Forschungs- und Entwicklungsbereiche der Automobilindustrie.

«Die Automation beginnt auf der Autobahn»

Autonomes Fahren immer beliebter.
Autonomes Fahren entlastet den Fahrer Continental

Autogazette: Einige Hersteller bieten mit einem Staupiloten bereits teilautomatisierte Fahrfunktionen an. Ab welchem Jahr wird hochautomatisiertes und wann wird vollautomatisierten Fahren Ihrer Meinung nach möglich sein?

Degenhart: Rein aus technologischer Sicht erwarten wir die Serienreife für hochautomatisierte Fahrfunktionen im Autobahnumfeld etwa im Jahr 2020. Vollautomatisiertes Fahren erwarten wir ungefähr 2025. Die Automation beginnt auf der Autobahn, denn die dortige Komplexität werden wir als erstes beherrschen. In Innenstädten ist diese weitaus höher. Daher wird es diese Funktionalität erst weit später geben. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar: An einer dicht befahrenen Kreuzung müssen zum Beispiel Fußgänger, Fahrradfahrer und Gegenverkehr zuverlässig erkannt werden. Dies erfordert ein sogenanntes virtuelles Umfeldmodell, das über das heute verfügbare noch stark hinausgeht. Denn dafür müssen unzählige Daten von Kameras, Radar und anderen Sensoren sorgsam und schnell analysiert und fusioniert, also zu einem sinnvollen Gesamteindruck zusammengefasst werden. Auf dieser Basis erfolgt dann die abschließende Festlegung der Fahrstrategie.

Autogazette: Wo liegt für Sie das größte Problem auf dem Weg zum automatisierten Fahren: ist es technischer oder gesetzlicher Art?

Degenhart: Die technologischen Anforderungen können wir in der Automobilindustrie sehr gut einschätzen. Denn an automatisiert fahrenden Fahrzeugen forschen wir bereits seit mehr als einer Dekade. Beim hoch- und vollautomatisierten Fahren kommt es besonders auf den anspruchsvollen Prozess einer etwaigen Rückgabe der Kontrolle über das Fahrzeug vom automatischen Chauffeur an den Fahrer an. Diese Rückgabe ist abhängig davon, was der Fahrer gerade tut. Die Markteinführung wird jedoch nicht allein durch den Zeitrahmen der Entwicklung von notwendigen Technologien bestimmt.

Autogazette: Es kommt hier also insbesondere auf den Gesetzgeber an?

Degenhart: Genau, der Gesetzgeber wird hier maßgeblich über das Wann und Wie entscheiden, schließlich müssen die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen erst noch geschaffen werden. Wir sind überzeugt davon, dass dies rechtzeitig erfolgen wird. Denn alle Beteiligten sind sich einig darin: Unfälle gehören ins Museum. Die Fahrerassistenzsysteme sind dafür die Wegbereiter. Ihre zusehende Vernetzung ermöglicht dann das automatisierte Fahren, womit sich weiter die Verkehrssicherheit erhöht und die Emissionen verringern.

«Gesetzesanpassungen müssen einheitlich geschehen»

Autonomes Fahren wird positiv gesehen
Die Systeme erkennen das Fahrzeugumfeld Continental

Autogazette: Das Wiener Abkommen für den Straßenverkehr ist im März modifiziert worden, aber in Deutschland noch nicht in die nationale Gesetzgebung überführt worden. Läuft Deutschland damit Gefahr, dass ein Land wie die USA uns bei dem Zukunftsthema der Branche davonfährt?

Degenhart: Diese Anpassung ebnet entscheidend den Weg zum automatisierten Fahren. Denn erstmalig ist im Wiener Übereinkommen beschrieben, dass die Kontrolle des Fahrzeuges auch von Systemen übernommen werden kann. Es dauert aber mindestens 18 Monate vom Beschluss bis zum Inkrafttreten dieser Änderung. Insgesamt sind wir zuversichtlich, dass der Gesetzgeber in Deutschland die notwendigen Anpassungen des Rechtsrahmens unterstützen wird.

Autogazette: Continental testet seine autonom fahrenden Fahrzeuge bislang nicht in Deutschland, sondern in den USA, wo autonomes Fahren beispielsweise in Nevada bereits heute auf öffentlichen Straßen möglich ist. Steht die Politik in anderen Ländern Innovationen offener gegenüber als hierzulande?

Degenhart: Unsere Fahrzeuge könnten auch auf deutschen Straßen unterwegs sein. Bisher war dies aber nicht zwingend erforderlich. Wir fahren derzeit hochautomatisiert im öffentlichen Straßenverkehr in den USA und in Japan. Erfahrungen im europäischen Umfeld und Deutschland sammeln wir im Rahmen unserer Forschungskooperation mit der BMW Group. Ziel unserer Zusammenarbeit ist es, mit unseren Testfahrzeugen im Jahr 2015 hochautomatisiert auf europäischen Autobahnen zu fahren. Als Kooperationspartner leisten wir hierbei in mehreren Kernbereichen wichtige Beiträge. Neben der Entwicklung und Integration der Umfeldsensorik in Form von Fernbereichsradar und Kameras unterstützen wir unseren Partner bei der Entwicklung der Sicherheitsarchitektur. Diese stellt eine stabile Fahrweise der Versuchsträger selbst bei auftretenden Fehlfunktionen sicher.

Autogazette: Was müsste die Politik Ihrer Meinung nach tun, damit die deutsche Industrie beim automatisierten Fahren nicht wieder nur zweiter Sieger wird?

Degenhart: Wo fährt denn Ihrer Meinung nach die deutsche Industrie hinterher? Sowohl beim elektrischen als auch beim automatisierten Fahren sind deutsche Unternehmen im Wettbewerb ganz klar an der Spitze. Für das automatisierte Fahren bedarf es nun vor allem der Unterstützung durch die Politik, damit Rechtssicherheit entsteht. Die notwendigen, Gesetzesanpassungen müssen jedoch einheitlich auf europäischer Ebene erfolgen. Keinem Autofahrer ist geholfen, wenn er in Deutschland hochautomatisiert fahren darf, im europäischen Ausland die Funktion dann aber abschalten müsste.

«Fahrassistenzsysteme werden immer beliebter»

Die Roadmap von Continental zum autonomen Fahren.
So sieht die Roadmap von Continental aus Continental

Autogazette: Wie wichtig ist autonomes Fahren für Continental unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten?

Degenhart: Es ist noch zu früh um über konkrete Zahlen zu sprechen. Als Zulieferer mit Systemkompetenz auf dem Feld des automatisierten Fahrens erwarten wir jedoch, wieder zu den Top-Lieferanten zu gehören und damit entsprechend beachtliche Umsätze zu generieren.

Autogazette: Welchen Umsatz machen Sie derzeit mit Fahrassistenzsystemen und welchen Umsatz erwarten Sie in einigen Jahren, wenn sich die Technik in der Breite durchgesetzt haben wird?

Degenhart: Fahrerassistenzsysteme werden immer beliebter. Ihr Wertanteil im Auto wächst seit Jahren überdurchschnittlich. 2010 belief sich das Marktvolumen noch auf weniger als eine Milliarde Euro. Bis 2020 werden es nach unserer Schätzung 10 Milliarden Euro sein. Im Continental-Konzern trägt dies entsprechend zu unserer Wachstumsstrategie bei. Unser Geschäft mit Fahrerassistenzsystemen wird in den kommenden Jahren um schätzungsweise 30 Prozent pro Jahr wachsen. Von heute rund 500 Millionen Euro auf etwa anderthalb Milliarden Euro in 2018. Wir industrialisieren diese Technologie bereits seit 1999. Im Jahr 2015 allein werden wir rund 10 Millionen Sensoreinheiten produzieren, wovon Nah- und Fernbereich-Radar-Sensoren mehr als ein Drittel ausmachen.

Autogazette: Ein automatisiert fahrendes Auto muss letztlich auch für den Kunden bezahlbar sein. Welche Mehrkosten werden dafür auf den Autofahrer zukommen?

Degenhart: Im Rahmen der repräsentativen Continental Mobilitätsstudie 2013 haben wir weltweit 5400 Autofahrer zu ihren Erwartungen an das automatisierte Fahren befragt. Generell schätzen die Befragten in den USA die Kosten dafür eher geringer ein als die Befragten in Japan, China und Deutschland. So sind Autofahrer in Deutschland bereit, für automatisiertes Fahren auf der Autobahn durchschnittlich 2.900 Euro zu bezahlen, gefolgt von China mit 2.600 Euro, Japan mit 2.300 Euro und den USA mit 1.100 Euro. Gemessen an den lokalen Pkw-Durchschnittspreisen, entspricht dies in China und Japan jeweils 14 Prozent, in Deutschland 10 Prozent sowie in den USA 5 Prozent der durchschnittlichen Anschaffungskosten eines Neuwagens. Besonders wichtig ist hierbei das weit verbreitete Bewusstsein dafür, dass diese Funktionen mit ihrem hohen Mehrwert für den Konsumenten nicht zum Nulltarif zu haben sind.

«Interaktion zwischen Fahrzeug und Fahrer schafft Vertrauen»

Autonomes Fahren
Selbstfahrend unterwegs auf der Autobahn Continental

Autogazette: Wie beurteilen Sie die soziale Akzeptanz der Kunden mit Blick auf autonomes Fahren?

Degenhart: Autofahrer weltweit stehen dem automatisierten Fahren grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. In unserer Studie befürwortet eine klare Mehrheit der Befragten eine entsprechende Technologie. Sie wünschen sich vor allem, durch Autobahnbaustellen und -staus sowie auf langen Autobahnfahrten chauffiert zu werden. Gleichzeitig zeigen die Studienergebnisse, dass dem automatisierten Fahren noch nicht im gleichen Maße vertraut wird wie den verfügbaren Fahrerassistenzsystemen. Ein Großteil der weltweit befragten Autofahrer bezweifelt sogar, dass automatisiertes Fahren zuverlässig funktionieren wird. Die Studienergebnisse zeigen jedoch auch: Je höher die Akzeptanz für Fahrerassistenzsysteme, desto höher die Akzeptanz für automatisiertes Fahren.

Autogazette: Wer schon Erfahrungen mit Fahrassistenzsystemen gemacht hat, der steht auch autonomen Fahren aufgeschlossener gegenüber?

Degenhart: Genau. Erfahrungen mit Fahrerassistenzsystemen haben einen positiven Einfluss auf die Bewertung des automatisierten Fahrens. Mit zunehmender Einführung von neuen, notwendigen Fahrerassistenzsystemen dürfte somit die Akzeptanz für automatisiertes Fahren weiter steigen. Darüber hinaus werden Anzeige- und Bedienkonzepte für die Akzeptanz eine entscheidende Rolle spielen. Das Head-up-Display entwickeln wir hierfür weiter. Es wird zukünftig Objekte und Informationen direkt im Sichtfeld des Fahrers markieren und einblenden. Dem Fahrer kann damit gezeigt werden, was die Fahrzeugelektronik wahrnimmt und als nächstes tun wird. Eine solche Interaktion zwischen Fahrzeug und Fahrer schafft Vertrauen in die Technik.

Autogazette: Wenn Sie an die Vernetzung des Autos denken, dann wird automobiler Fortschritt vor allem durch die Software bestimmt. Wer wird am Ende diese Rennen für sich entscheiden: Unternehmen wie beispielsweise Daimler, VW, Continental oder doch Apple, Google und Co?

Degenhart: Das Fahrzeug wird Teil des Internets werden. Daran führt kein Weg vorbei. Die Automobilindustrie tut gut daran, sich vor dieser Entwicklung nicht zu verschließen. Bereits heute beschäftigt Continental mehr als 10.000 Software-Entwickler mit stark steigender Tendenz. Diesen Trend kann man in der Automobilindustrie bereits seit Jahren beobachten und nicht erst, seitdem große IT-Firmen das Auto als Geschäftsumfeld entdeckt haben. Zum Teil werden hier neue Wettbewerber entstehen. Darüber hinaus werden sich die Kenntnisse der verschiedenen Industrien aber auch gut ergänzen.

Autogazette:Sie setzen also auf Kooperationen?

Degenhart: Als Automobilzulieferer haben wir nicht die Kompetenz, die zu erwartenden sehr großen Datenmengen aus dem Straßenverkehr alleine zu verarbeiten, sicher zu übertragen oder daraus hochgenaue Kartendaten abzuleiten. Dafür gibt es spezialisierte und weltweit führende Firmen wie IBM, Cisco und Nokia HERE, mit denen wir für diese technologischen Herausforderungen Kooperationen eingegangen sind.

«Fehler im Smartphone relativ unkritisch»

Autogazette: IT-Firmen denken in Zyklen von einigen Monaten, Autobauer bringen alle fünf bis sechs Jahre ein neues Modell auf den Markt. Ist die Old Economy zu langsam geworden, um noch als Innovationstreiber zu gelten?

Degenhart: Man muss sich immer eines klar machen: Fehlfunktionen im Fahrzeug können zu einer Gefahr für Leib und Leben werden. Dagegen sind Fehler im Smartphone zwar ärgerlich, jedoch relativ unkritisch. Die Entwicklung eines Autos wird daher immer deutlich mehr Entwicklungsaufwand erfordern, als beispielsweise die Entwicklung eines Mobiltelefons. Zudem kann der Mobiltelefonhersteller kurzfristig ein Update zur Beseitigung von Fehlern per Mobilfunknetz verteilen. Dieses ist im Auto noch nicht zum Standard geworden. Die Aufgabe für die Automobilindustrie besteht nun darin, ihre Produkte und Lösungen auf dem jeweils neuesten Stand zu halten, etwa durch fortlaufende Softwareaktualisierung. Nur damit kann das Auto den Entwicklungen der digitalen Welt über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg folgen. Beispiele hierfür finden wir im Auto heute in erster Linie im Bereich Infotainment. Jetzt sollen die Nutzer die Chance bekommen, ihre digitale Erlebniswelt immer mehr mit ins Fahrzeug zu nehmen. Wichtige Funktionen und Applikationen können sie so im Fahrzeug sicher nutzen.

Autogazette: Wie wollen Sie das bewerkstelligen?

Degenhart: Wir arbeiten dafür beispielsweise mit dem auf Linux basierten Open Source Standard GENIVI. Hierbei integrieren wir Applikationen aus der Cloud oder vom Smartphone des Fahrers in die Anzeige- und Bedienlogik des Fahrzeugs. Das erfolgt bereits heute drahtlos und unabhängig vom Betriebssystem des Smartphones. Mit der immer stärkeren Vernetzung des Fahrzeugs werden zukünftig die Steuergeräte drahtlos updatefähig. Aber auch hier steht für uns immer die Sicherheit des Fahrers, der Passagiere und ihrer Daten an erster Stelle.

Autogazette: Was unternimmt Conti, um hier gegen die Giganten der IT-Branche nicht das Nachsehen zu haben?

Degenhart: Wir sind überzeugt davon, dass wir nur gemeinsam das Auto sicher und komfortabel zum Teil des Internets machen können. In unseren Kooperationen mit führenden IT-Unternehmen haben wir gelernt, wo die Herausforderungen liegen. Sie betreffen sowohl die Geschäftsmodelle als auch die Anforderungen an die Qualität, die Sicherheit für Verkehrsteilnehmer und aller Daten sowie die Zuverlässigkeit. Wir helfen dabei, das Internet von der Datenautobahn auf die Straße zu bringen. Deshalb sehen wir uns in der Rolle als Systemintegrator klar bestärkt.

Autogazette: Planen Sie weitere IT-Partnerschaften?

Degenhart: Wann immer wir einen Bedarf für eine Kooperation sehen, werden wir dazu nach geeigneten Partnern Ausschau halten. Mit unseren Kooperationspartnern IBM, Cisco und Nokia HERE decken wir aber bereits heute einen großen, entscheidenden Bereich ab.

Autogazette: Ist Google dabei für Sie als Kooperationspartner interessant?

Degenhart: Ohne die Unterstützung der Zuliefer-Industrie wird das Auto jedenfalls nicht Teil des Internets werden.

«Lenkrad und Pedale werden weiter benötigt»

Die Knutschkugel von Google fährt autonom
Der Prototyp von Google Google

Autogazette: Was halten Sie von dem im Mai vorgestellten autonom fahrenden Google-Auto?

Degenhart: Google zeigt damit, dass selbstfahrende Fahrzeuge eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung haben. Gleichzeitig wird in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für solche Entwicklungen geschaffen. Wir fühlen uns durch solche Präsentationen in unserem Engagement für hochautomatisiertes Fahren bestätigt.

Autogazette: Ist ein Auto ohne Lenkrad, Gas- und Bremspedal auch für Sie vorstellbar?

Degenhart: Unsere Studie zeigt deutlich: die Autonutzer wollen sich in Zukunft häufiger als bisher chauffieren lassen. Sie sagen uns darüber hinaus, dass sie selbst darüber entscheiden wollen, ob sie selbst oder automatisiert fahren wollen. Solange sich dies nicht ändert, werden Lenkrad und Pedale weiter benötigt. Das Fahren mit Fahrzeug ohne Lenkrad und Pedale ist heute nur in einem speziell abgegrenzten und kontrollierbaren Umfeld vorstellbar.

Autogazette: Muss man ein Auto komplett neu denken, wenn man an die Mobilität der Zukunft denkt?

Degenhart: Die individuelle Mobilität der Zukunft steht vor großen Herausforderungen. Fossile Brennstoffe werden knapper, die Urbanisierung nimmt zu und die Menschen werden älter und fahren womöglich bis in die höchsten Lebensjahre. Darauf müssen wir Antworten liefern. Deshalb arbeiten wir an Technologien, die sichere, effiziente sowie intelligente Mobilität ermöglicht und zwar zu einem bezahlbaren Preis.

Autogazette: Ist es für ein Unternehmen wie Google einfacher als für einen Autobauer, ein automatisch oder autonom fahrendes Auto auf den Markt zu bringen, weil man schlicht keine Rücksicht auf Markenwerte, Image oder andere Modelle nehmen muss?

Degenhart: Es ist für IT-Unternehmen sicherlich schwieriger und aufwändiger, solche Autos zu bauen. Denn die dafür notwendigen Erfahrungen im Automobilbau liegen nicht vor. Darüber hinaus sind die hierbei erzielbaren Margen viel geringer als in der IT-Industrie und damit wohl nicht attraktiv genug, denn die Risiken sind andererseits wiederum viel höher. Daher rechnen wir nicht damit, dass IT-Unternehmen in den serienmäßigen Automobilbau einsteigen werden. Allerdings beobachten wir, wie sie ihre Geschäftsmodelle erfolgreich weiter entwickeln: Nach Büro und Wohnzimmer soll nun das Auto Teil des Internets werden. Fahrer und Passagiere sollen im Auto künftig mehr Zeit für das Nutzen von Internetdiensten erhalten. Darüber hinaus ist das Auto selbst als Datenerzeuger interessant. Denn Daten sind für die Wertschöpfung der Zukunft wichtiger als Rohöl.

Das Interview mit Elmar Degenhart führte Frank Mertens

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