«Wir brauchen realistisch erreichbare Klimaschutzziele»

Schaeffler-Entwicklungschef Peter Gutzmer

«Wir brauchen realistisch erreichbare Klimaschutzziele»
Schaeffler-Etwicklungschef Peter Gutzmer in seinem Büro in Herzogenaurach. © Schaeffler

Deutschland hat sich vom Klimaschutzziel 2020 verabschiedet. Das hat Schaeffler-Entwicklungsvorstand Peter Gutzmer nicht überrascht, wie der Manager im Interview mit der Autogazette sagte.

Für Schaeffler-Entwicklungsvorstand Peter Gutzmer muss die Politik die künftige Klimapolitik «im Konsens mit der Industrie darstellen, nicht gegen sie», sagte der Manager im ersten Teil des Interviews mit der Autogazette. Dass Deutschland sich gerade von den Klimaschutzzielen 2020 verabschiedet hat, habe ihn nicht überrascht. «Diese ambitionierte Zielsetzung war von Anfang an nicht mit einer Plausibilisierung der dafür nötigen Maßnahmen verbunden.»

Deutschland sei als großer in globale Systeme integrierter Wirtschaftsstandort gar nicht in der Lage gewesen, «ein derart einseitiges sowie nicht mit und auf die anderen Sektoren abgestimmtes Ziel zu erreichen».

Wie zuletzt schon der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte der Manager Deutschland bei der Klimapolitik vor Alleingängen. «Am Ende des Tages ist wirtschaftliches Handeln von Kompromissen und Optimierungen geprägt. Wir haben in Deutschland bereits durch unsere hohen Energiepreise Industriezweige verloren. Da gilt es aufzupassen, dass nicht weitere folgen», sagte Gutzmer, der auch stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Schaeffler ist.

«Wirtschaftliches Handeln von Kompromissen geprägt»

UN-Klimakonferenz. Foto: dpa
Die Weltklimakonferenz fand im November 2017 in Bonn statt. Foto: dpa

Autogazette: Herr Gutzmer, Frau Merkel hat auf der Weltklimakonferenz in Bonn gesagt, dass Klimapolitik auch eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik ist. Teilen Sie diese Meinung?

Peter Gutzmer: Absolut, weil wir im globalen Wettbewerb stehen und das mit einer zielgerichteten unterstützenden Wirtschaftspolitik verbinden. Gerade Deutschland muss beide Aspekte zukunftsorientiert zusammen bringen.

Autogazette: Ist diese Auffassung auch in der deutschen Industrie mehrheitsfähig?

Gutzmer: (lacht) Im Moment ist diese Meinung wohl noch nicht mehrheitsfähig. Wir haben auch die erforderliche Priorisierung noch nicht gefunden.

Autogazette: Der Bundesverband der Deutschen Industrie warnte Deutschland unlängst in der Energie- und Klimapolitik vor Alleingängen und sprach von möglichen Produktionsverlagerungen ins Ausland. Sehen Sie eine solche Gefahr?

Gutzmer: Ja, das kann bei einseitiger Priorisierung leider ein Punkt werden. Am Ende des Tages ist wirtschaftliches Handeln von Kompromissen und Optimierungen geprägt. Wir haben in Deutschland bereits durch unsere hohen Energiepreise Industriezweige verloren. Da gilt es aufzupassen, dass nicht weitere folgen. Für die Politik geht es nun in der sozialen Konsensfindung darum, die richtige inhaltliche und zeitliche Balance zu finden.

«Klimapolitik im Konsens mit Industrie darstellen»

Hochofen bei ThyssenKrupp. Foto: dpa
Energieintensive Branche: Ein Stahlkocher am Hochofen bei ThyssenKrupp. Foto: dpa

Autogazette: Welche Erwartungen haben Sie an die Politik?

Gutzmer: Deutschland muss die künftige Klimapolitik unter Beachtung von im globalen Wettbewerb relevanten wirtschaftlichen Gesichtspunkten im Konsens mit der Industrie darstellen, nicht gegen sie.

Autogazette: Was bedeutet die derzeitige Klimapolitik für Schaeffler? Sie sind ja kein Unternehmen mit einem hohen Energie-Bedarf.

Gutzmer: Wie kommen Sie darauf? Wir haben in wichtigen Bereichen unserer produktiven Wertschöpfungskette durchaus auch einen hohen Energieanteil. So haben wir beispielsweise große Wärmebehandlungsbereiche oder Schmieden, also Bereiche, die durchaus größere Energieaufwände bedingen.

Autogazette: Würde sich der Strom weiter verteuern, dann müssten Sie Teile der Produktion auf den Prüfstand stellen?

Gutzmer: Möglicherweise, aber Umwelt- und Klimapolitik ist ja nicht nur eine Frage des Stromes. Es gibt Einflüsse durch eine Vielzahl weiterer Faktoren neben denen aus dem Umwelt- und Energiebereich in den Produktfeldern, in denen wir tätig sind.

«Mich überrascht Nichterreichen des Klimaschutzzieles nicht»

Autogazette: Folgt man Ihrer Argumentation und der des BDI, dann schließen sich Klimapolitik und Wettbewerbsfähigkeit aus. Ist aber nicht genau das Gegenteil der Fall? Bleibt der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht nur dann wettbewerbsfähig, wenn wir uns nachhaltig aufstellen?

Gutzmer: Aus meiner Sicht müssen sie sich nicht grundsätzlich ausschließen! Wir müssen Optimierungen und Kompromisse finden, schließlich gibt es nicht nur einen sondern viele Wege. Vor allem aber braucht es die Bereitschaft zu einer gesamtheitlichen Betrachtung: Schließlich gibt es Unterschiede zwischen Dienstleitungsunternehmen aus dem IT-Bereich und Unternehmen aus dem klassischen produktiven Wertschöpfungs-Umfeld. Versäumen wir das, dann wir Deutschland als Industriestandort Einbußen hinnehmen müssen.

Autogazette: Deutschland wird das Klimaschutzziel 2020, das eine Verringerung der CO2-Emissionen um 40 Prozent zu 1990 vorsieht, nicht mehr erreichen. Hätte es größerer Anstrengungen bedurft, dieses Ziel zu erreichen?

Gutzmer: Mich überrascht das Nichterreichen dieses Ziel nicht. Diese ambitionierte Zielsetzung war von Anfang an nicht mit einer Plausibilisierung der dafür nötigen Maßnahmen verbunden. Ich werte es als ein Ziel, um eine Entwicklung in Gang zu bringen, die dazu beiträgt in die Nähe eines solchen Zieles zu kommen. Wir als großer in globale Systeme integrierter Wirtschaftsstandort sind gar nicht in der Lage, ein derart einseitiges sowie nicht mit und auf die anderen Sektoren abgestimmtes Ziel zu erreichen.

«Stelle Ziel nicht per se in Frage»

Autogazette: Wieso?

Gutzmer: Weil das Erreichen dieses Ziels den Verzicht auf Gewohnheiten und Lebensformen und letzten Endes auch gelebter Freizügigkeit erzwingt. Bei allem Verständnis für die Umwelt ist der einzelne Mensch nicht bereit, seine Gewohnheiten allein dafür aufzugeben. Die Zusammenhänge sind zu viel zu komplex und nicht ad hoc verständlich.

Autogazette: Das Pariser Klimaschutzabkommens sieht bis 2050 für die EU und für Deutschland eine CO2-Reduktion zwischen 80 und 95 Prozent vor. Für Sie auch ein unrealistisches Ziel?

Gutzmer: Über einen derart langen Zeitraum Prognosen zu treffen, ist enorm schwer. Ich stelle das Ziel aber nicht per se in Frage. Aber mit dem Wissen von heute, dem erwarteten Mobilitätsbedarf von morgen und dem extrapolierbaren Individualitätsverhalten der Menschen ist dieses Ziel aus heutiger Bewertung und Plausibilisierung weder erreichbar noch finanzierbar.

«Wir müssen auch in CO2-neutral denken»

Für die Klimaschutzziele braucht es eine CO2-Reduzierung. Foto: dpa
Für die Erreichung der Klimaschutzziele braucht es eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Foto: dpa

Autogazette: Die Rahmenbedingungen für die Erreichung dieser Klimaschutzziele sind für die Industrie nicht stimmig?

Gutzmer: Wir als Unternehmen stehen im globalen Wettbewerb. Und um international bestehen zu können, benötigen wir eine an globalen Kriterien abgestimmte, regional harmonisierte und vor allem nachhaltig stabile Gesetzgebung. Natürlich kann die Politik bestimmte Schwerpunkte setzen. Durch Förderungen lassen sich zum Beispiel in einer Region Arbeitsplätze sichern oder neu schaffen. Aber mit Blick auf ergänzende Bewertungen geschieht seitens der Politik zu wenig. Es wird derzeit stark in CO2-frei gedacht. Wir müssen aber auch in CO2-neutral denken und dabei gesamtsystemische sektorübergreifende Betrachtungen in den Mittelpunkt stellen. Der globale Konsens zwischen Wirtschaft und Politik in puncto erforderlicher sowie leistbarer – gern durchaus ehrgeiziger – Beiträge muss intensiviert werden.

Autogazette: Auf den Verkehrssektor entfallen in Deutschland ein Fünftel aller CO2-Emissionen. Kommt diesem Sektor neben der Industrie, Gebäuden und Energie eine herausgehobene Rolle bei der Reduktion zu?

Gutzmer: In absoluten Zahlen betrachtet hat der Verkehrssektor weniger erreicht als geplant. Aber das liegt nicht daran, dass nichts getan wurde. Ganz im Gegenteil. Denn tatsächlich gibt es einen überproportionalen Mehrbedarf in puncto der Mobilitätsbedürfnisse. In der Folge werden die durch neue innovative Technologien erzielten Ersparnisse leider wieder aufgefressen. Sicher ist es sinnvoll die Sektoren unterschiedlich zu bewerteten und sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Tendenzen zu einseitigen Mobilitäts-Einschränkungen sind weder gesellschaftspolitisch sinnvoll und akzeptiert noch zielführend. Hier helfen nur sektorübergreifende, technologisch lösungsorientierte Gesamtbewertungen.

«Ich bin für ehrgeizige gesetzliche Zielvorgaben»

Schaeffler-Entwicklungsvorstand Peter Gutzmer. Foto. Schaeffler
Peter Gutzmer spricht sich gegen Technologievorgaben aus. Foto: Schaeffler

Autogazette: Bis 2030 soll der Verkehr seine CO2-Reduktionen um 42 Prozent reduzieren. Derzeit liegt er indes über den Referenzwert von 1990. Benötigen wir einen schnellen Abschied vom Verbrenner?

Gutzmer: Ich bin durchaus für ehrgeizige gesetzliche Zielvorgaben. Aber ich bin deutlich gegen Technologievorgaben. Wir brauchen anspruchsvolle, aber sinnvolle und realistisch erreichbare Klimaschutziele, auch um das Bewusstsein der Menschen und unser Nutzungsverhalten zu verändern. Wir stehen für eine soziale freiheitliche Marktwirtschaft – und damit geht auch eine Technologiefreiheit einher. Mit Blick auf zu erreichende Ziele sollten wir die dafür bestmöglichen technologischen Lösungen nach vorne bringen.

Autogazette: Für Sie gehören dazu auch synthetische Kraftstoffe…

Gutzmer: …so kann es beispielsweise sein, dass synthetische Kraftstoffe zur CO2-Neutralität beitragen und damit den Verbrennungsmotor als bewährte und vorteilhafte Lösung in unserem stabilen Ökosystem in die Zukunft führen. Und das womöglich nicht allein, sondern im jeweils auf die jeweilige Situation hin optimalen Mix mit anderen Technologien rund um elektrische Lösungen. Lassen wir die Kräfte am Markt entscheiden. Und auch das Mobilitätsverhalten der Menschen wird sich weiter verändern.

Autogazette: Wird die Wirkung synthetischen Kraftstoffs hier nicht überschätzt? Denn der Energiebedarf in der Produktion ist enorm hoch.

Gutzmer: Bereits heute steht so viel regenerativ erzeugte Energie zur Verfügung und die Kapazitäten werden weiter ausgebaut. Da macht es doch Sinn jeden der technisch eingeschlagenen Wege in Ruhe anzuschauen. Entsprechend sollte man synthetische Kraftstoffe als potentiellen Bestandteil einer weiter auszubauenden CO2-neutralen Energiekette nicht zu früh verteufeln. Wir müssen Wege finden, die vorhandene zunehmend volatile Menge an dezentral erzeugter Energie auch zu nutzen. Daher werden synthetische Kraftstoffe ein Bestandteil zukünftiger Mobilitätslösungen sein.

«Die Menschen wollen keine Einschränkungen»

Autogazette: Wie lange sehen Sie den reinen Verbrenner noch in dieser Kette?

Gutzmer: Sicher noch bis zum Jahr 2035, eher noch darüber hinaus.

Autogazette: Die Grünen wollen einen Zulassungsstopp für Verbrenner ab 2030. In Norwegen wird es ihn ab 2025 geben und Großbritannien hat ihn für 2040 angekündigt. Kommen wir nicht nur mit solchen Verboten zu einem Mobilitätswandel?

Gutzmer: Wie gesagt halte ich Technologieverbote in unserer freiheitlichen Grundordnung für den falschen Weg. Hier werden einseitig einschränkende, politisch orientierte Bewertungen angestellt.

Autogazette: Auch Sie haben sich von der Kaufprämie für Elektroautos einiges versprochen. Doch der Boom blieb aus: Seit Juli 2016 bis Ende Januar wurden gerade einmal rund 51.000 Anträge gestellt. Ist das ein Desaster mit Ansage?

Gutzmer: Das hat mich schon überrascht. Auch ich hatte gedacht, dass das die Nachfrage nach Elektroautos deutlich motiviert. Doch wir haben hier wohl in Bezug auf den Verbraucher nicht zu Ende gedacht. Die Verunsicherung der Menschen vor der Nutzung einer neuen Technologie ist ausgeprägter als gedacht. Denn es geht hier um das Gesamtsystem Mobilität, nicht nur das E-Auto. Der prägnanteste Punkt ist sicher die noch lückenhafte Ladeinfrastruktur. Die Menschen wollen keine Einschränkungen oder mit großen Unbekannten behaftete Veränderungen. Sie wollen ihr Auto in gewohnter Weise nutzen und es genauso so schnell und sicher aufladen wie sie es betanken.

«Brauchen einfach zu bedienende Schnelllademöglichkeiten»

Schnelllademöglichkeiten für E-Autos sind für Peter Gutzmer enorm wichtig. Foto: dpa

Autogazette: Für Sie hängt es also insbesondere an der Ladeinfrastruktur?

Gutzmer: Natürlich. Höhere Kosten und die reduzierte Reichweite sind weitere Beschränkungen von Gewohntem, doch die Lademöglichkeiten sind das wesentliche Argument. Wir brauchen einfach zu bedienende Schnelllademöglichkeiten an den Hauptverkehrsadern. Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass die Menschen es zunehmend akzeptieren werden, dass sie überwiegend zu Hause laden werden. Ich bin ziemlich optimistisch, dass in zehn Jahren mindestens 25 Prozent der jährlich in den Markt gebrachten Autos Elektroautos sein werden. Regional vielleicht sogar mehr. Letztlich werden aber immer noch rund 75 Prozent der anderen Fahrzeuge nach wie vor über einen Verbrennungsmotor verfügen – und damit auch die Vorteile einer vorhandenen robusten Infrastruktur sowie weiterer Nutzungsvorteile. So etwas werden Sie durch Verbote nicht ändern können.

Das Interview mit Peter Gutzmer führte Frank Mertens

Lesen Sie auch Teil 2 des Interviews mit Peter Gutzmer

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