«Es gibt keinen Kampf zwischen Umwelt und Ökonomie»

Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan

«Es gibt keinen Kampf zwischen Umwelt und Ökonomie»
Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan vor der Politischen Vertretung der Umweltschutzorganisation in Berlin. © Markus Altmann

Greenpeace hat die Anstrengungen von Deutschland beim Klimaschutz kritisiert. «Es ist eine herbe Enttäuschung, dass ausgerechnet Deutschland sein Klimaschutzziel ignoriert», sagte Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan.

Wie Morgan in einem Interview mit der Autogazette sagte, handele die Bundesregierung «unverantwortlich, in dem sie nach außen zeigt, dass ein reiches Industrieland wie Deutschland es seit Jahren nicht schafft, seinen CO2-Ausstoß zu senken und sein Klimaziel meilenweit verfehlt», so die Co-Chefin von Greenpeace International.

Stärkeres Bekenntnis zum Klimaschutz gefordert

Von der an diesem Montag im polnischen Kattowitz beginnenden Weltklimakonferenz erhofft sich Morgan ein stärkeres Bekenntnis der Länder zum Klimaschutz. «Wir brauchen eine Entscheidung aller Länder, ihre Ambitionen für 2030 zu erhöhen», sagte Morgan. Wie die Greenpeace-Chefin hinzufügte, müssten die Bestrebungen der Länder «konsistent sein mit Blick auf das 1,5 Grad-Ziel. Es müssen sich alle darüber bewusst sein, dass der Unterschied zwischen 2 und 1,5 Grad enorm ist. Betroffen von der Erderwärmung und der Erhöhung des Meeresspiegels sind nicht nur Inselländer, sondern wir alle».

«Die Klimakatastrophe lässt sich noch verhindern»

Autogazette: Frau Morgan, steht die Welt vor einer Klimakatastrophe, wie UN-Generalsektär Antonio Guterres kurz vor dem Start der Weltklimakonferenz in Kattowitz gesagt hat?

Jennifer Morgan: Wir steuern zumindest mitten darauf zu. Die gute Nachricht ist: Die Klimakatastrophe lässt sich noch verhindern. Dazu sind einschneidende und schnelle Veränderungen nötig, wie der jüngste Bericht des Weltklimarats IPCC gerade gezeigt hat. Uns bleiben nur noch wenige Jahre, um den globalen Ausstoß an Treibhausgasen radikal zu senken.

Autogazette: Wieviel Zeit bleibt denn noch?

Morgan: Wir müssen bis zum Jahr 2030 den globalen C02-Ausstoß halbieren und die Emissionen danach weiter Richtung null senken. Wenn wir daran scheitern, in den kommenden zwei Jahren eine deutliche Trendumkehr einzuleiten, wird die Welt sich Ende des Jahrhunderts um weit mehr als 2 Grad erhitzen. Das 1,5 Grad Ziel, mit dem etwa kleine Inselstaaten halbwegs sicher sind, wäre dann in weiter Ferne.

«Dieses Ziel gibt uns ein bisschen Hoffnung»

Jennifer Morgan zeigt sich enttäuscht von den verfehlten Klimazielen der Bundesregierung. Foto: Markus Altmann

Autogazette: Die EU-Kommission will bis zum Jahr 2050 zu einer Klimaneutralität kommen. Ist das ein gutes Zeichen für den Klimaschutz?

Morgan: Dieses Ziel gibt uns ein bisschen Hoffnung, wenngleich wir uns Klimaneutralität für die EU bereits für 2040 gewünscht hätten.

Autogazette: Das Ziel ist für Sie also nicht ambitioniert genug?

Morgan: Es hätte ambitionierter ausfallen müssen. Die Industrienationen und damit auch Europa stehen beim Klimaschutz besonders in der Verantwortung, denn die haben jahrelang von ihrem hohen CO2-Ausstoß profitiert.

«Auch die EU muss noch einmal nachbessern»

Die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze beim UN-Klimagipfel in Kattowitz. Foto: dpa

Autogazette: Kann Europa mit diesen Klimazielen dennoch weltweit Vorreiter beim Klimaschutz sein?

Morgan: Wenn es dieses Ziel für 2040 ausgegeben hätte, hätte man Vorreiter sein können. So aber kommt der EU keine Vorreiterrolle zu. Jetzt ist wichtig, was die EU bis 2030 macht. Das ist eine der wichtigen bislang ungeklärten Fragen. Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, dass jedes Land beim Senken der CO2-Emissionen schrittweise ambitionierter wird. Auch die EU muss also noch einmal nachbessern.

Autogazette: Welches Land ist für Sie Vorreiter beim Klimaschutz?

Morgan: Costa Rica. Das Land versorgt sich schon heute nahezu vollständig aus erneuerbaren Energien. Der Verkehr wird dort sehr stark auf die Elektromobilität umgebaut, Elektrobusse fahren mit erneuerbaren Energien. Auch Marschall Island ist ein gutes Beispiel. Leider gibt es nicht viele andere Ländern, die zu loben sind.

Autogazette: Wie beurteilen Sie die deutschen Anstrengungen beim Klimaschutz? Von seinem Klimaschutzziel für 2020 hat man sich ja verabschiedet.

Morgan: Es ist eine herbe Enttäuschung, dass ausgerechnet Deutschland sein Klimaschutzziel ignoriert. Die Bundesregierung handelt unverantwortlich, in dem sie nach außen zeigt, dass ein reiches Industrieland wie Deutschland es seit Jahren nicht schafft, seinen CO2-Ausstoß zu senken und sein Klimaziel meilenweit verfehlt.

Autogazette: Umweltverbände haben die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht verklagt. Sie fordern eine ehrgeizigere Klimapolitik. Warum hat sich Greenpeace dieser Klage nicht angeschlossen?

Morgan: Greenpeace hat Ende Oktober gemeinsam mit drei Familien die Bundesregierung vor dem Berliner Verwaltungsgericht verklagt, weil die Bundesregierung zu wenig für den Klimaschutz tut. Die Familien betreiben Landwirtschaftsbetriebe und leiden schon heute unter den Auswirkungen des Klimawandels.

«Es geht trotz Trump beim Kohleausstieg voran»

Domald Trump. Foto: dpa
US-Präsident Donald Trump. Foto: dpa

Autogazette: Auf der Weltklimakonferenz soll auch ein Regelwerk verabschiedet werden, wie der Anstieg der globalen Erderwärmung auf weniger als 2 Grad erreicht werden kann, möglichst sogar auf nur 1,5 Grad. Ist dieses Ziel nach dem Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen noch möglich?

Morgan: Der jüngste Bericht des IPCC zeigt klar auf, wie alle Länder dieses Ziel erreichen können. Dort steht auch, dass die ambitioniertesten Klimaziele zugleich das Beste für die Wirtschaft und die Nachhaltigkeit sind. Natürlich erhöht der Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen die Herausforderung für alle anderen Länder, aber das Ziel ist auch so zu erreichen. Auch unter Präsident Trump sind im vergangenen Jahr in den USA mehr Kohlekraftwerke vom Netz gegangen als im Jahr zuvor. Es geht also trotz Trump beim Kohleausstieg voran. Die Regulierungen werden zum Glück nicht von einem Tag zum anderen geändert.

Autogazette: Schadet Trump den Bestrebungen des Klimaschutzes also nicht mit seiner Haltung?

Morgan: Es ist auf nationaler Ebene in den USA mehr passiert als man denkt. Es gibt eine starke klimapolitische Bewegung, zu der gehören Unternehmen, Bundesstaaten, Städte, Abgeordnete und vor allem Tausende von Bürgerinnen und Bürgern. Es gibt so etwas wie einen Green New-Deal. Dadurch, dass Trump so radikal und unmoralisch vorgeht, verstärkt sich die Solidarität zwischen den verschiedenen Akteuren in den USA.

«Natürlich muss der Verkehr sich mehr anstrengen»

Schlechte Luft in den Städten: Nur noch mit Fahrverboten lassen sich in vielen Städten die Grenzwerte einhalten. Foto: dpa

Autogazette: Während der Energiesektor seit 1990 seine Treibhausgasemissionen deutlich gesenkt hat, ist der des Verkehrs gestiegen. Ist der Verkehrssektor der Sektor, der Ihnen besondere Sorgen bereitet?

Morgan: Natürlich muss der Verkehr sich mehr anstrengen, aber das ist machbar. Wir wissen, was zu tun ist. Was dabei fehlt sind die politischen Leitplanken. Problematischer als der Verkehr ist die Landwirtschaft mit der Fleischproduktion. Hier liegt die größere Herausforderung.

Autogazette: Sie sind selbst Vegetarierin. Spielten die Treibhausgasemissionen dabei eine Rolle?

Morgan: Oh ja, das war der Haupttreiber. In 1989 habe ich eine Studie über den hohen Energieaufwand bei der Fleischproduktion gelesen. Danach habe ich gesagt, dass ich nicht für den Klimaschutz eintreten kann, wenn ich Fleisch esse.

Autogazette: Sie sagen, man wisse, was beim Verkehr zu tun ist. Was ist denn zu tun?

Morgan: Wir brauchen neue Verkehrskonzepte, insbesondere in den Städten. Dabei müssen Busse, Bahnen, Carsharing und der Radverkehr so verzahnt werden, dass Menschen nicht mehr auf das eigene Auto angewiesen sind, um ihre täglichen Wege schnell und bequem zurückzulegen. Mit weniger und anderen Autos werden Städte sicherer und attraktiver. Damit der Verkehr seinen Beitrag zu den Pariser Klimaschutz leistet, dürfen ab dem Jahr 2025 keine weiteren Diesel und Benziner mehr zugelassen werden. Und natürlich müssen Elektroautos so schnell wie möglich mit sauberem erneuerbaren Strom betrieben werden.

Autogazette: Sie wünschen sich den Abschied vom Verbrennungsmotor bis 2025, in Deutschland wird so ein Verbot abgelehnt. Ist es für Sie nicht nachvollziehbar, dass ein Land mit einer großen Autoindustrie so etwas ablehnt?

Morgan: Wenn ich CEO eines Autokonzerns wäre, würde ich nach China schauen. Der größte Markt der deutschen Hersteller verabschiedet sich vom Verbrennungsmotor. Wenn die deutschen Hersteller ihre Marktposition verteidigen wollen, müssen sie sich an die Spitze dieser Veränderung setzen.

«Unter klimapolitischen Aspekten ist dieses Ziel ein Witz »

Für die Klimaschutzziele braucht es eine CO2-Reduzierung. Foto: dpa
Für die Erreichung der Klimaschutzziele braucht es eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Foto: dpa

Autogazette: Die EU will die CO2-Grenzwerte bis 2030 um 35 Prozent reduzieren. Überfordert dies die Autoindustrie?

Morgan: Nein, unter klimapolitischen Aspekten ist dieses Ziel ein Witz. Aber es hätte auch unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten höher ausfallen müssen. Je ehrgeiziger das Ziel, desto weiter vorn stehen die europäischen Hersteller beim Umstieg auf saubere Autos. Das Gejammer jetzt erinnert mich an das Klagen der Industrie über den Katalysator oder Partikelfilter – das kann ich nicht ernst nehmen.

Autogazette: VW-Chef Herbert Diess sieht angesichts dieser CO2-Grenzwerte eine Gefahr von Arbeitsplatzverlusten. Geht Klimaschutz zu Lasten von Arbeitsplätzen?

Morgan: Hier wird mit Ängsten gespielt. Wer den Klimawandel ernst nimmt und auch an die ökonomische Zukunft von Deutschland denkt, der muss über den Strukturwandel sprechen. Es gibt keinen Kampf zwischen Umwelt und Ökonomie. Beides geht heute nur zusammen. Doch man muss verstehen, dass es kein Zurück gibt. Abgase bleiben nun einmal in der Atmosphäre.

Autogazette: Kann eine intelligente Klimapolitik zu einer besseren Wirtschaftsleistung beitragen?

Morgan: Schauen Sie sich nur die Verluste an, die die Bauern in Deutschland in diesem Jahr durch den Klimawandel erlitten haben. Sie wollten für Dürreschäden eine Milliarde Euro, bekommen haben sie über 340 Millionen Euro. Wer zahlt für diese Schäden des Klimawandels? Es sind nicht die Unternehmen, die seit Jahren beim Klimaschutz nichts machen.

«Autolobby hat ehrgeizigere Standards verhindert»

Autogazette: Unternimmt die deutsche Autoindustrie aus Ihrer Sicht genug, um nachhaltige Autos auf die Straße zu bringen?

Morgan: Überhaupt nicht.

Autogazette: Volkswagen beispielsweise investiert derzeit Milliarden in die Elektromobilität…

Morgan: …die deutsche Autoindustrie ist mitverantwortlich dafür, dass die EU bei ihren Klimazielen hinterherhinkt. Warum? Die Autolobby hat mit Unterstützung der Kanzlerin in Brüssel oftmals ehrgeizigere Standards bei den CO2-Grenzwerten verhindert.

Autogazette: Mit Blick auf die Proteste am Hambacher Wald hatte der VW-Chef die Braunkohleförderung von RWE kritisiert. Haben Sie mit Blick auf den Kohleausstieg einen neuen Verbündeten?

Morgan: (lacht) Mal sehen. Wenn VW oder ein anderes deutsches Autounternehmen es wirklich ernst meint, dann sollen sie jetzt einen Kohleausstieg bis 2030 fordern und 100 Prozent erneuerbare Energien. Zugleich wünsche ich mir eine Ankündigung, nicht weiter in Verbrennungsmotoren zu investieren.

«Es ist ein realistisches Angebot»

Autogazette: Greenpeace Energy hat gerade ein Übernahmeangebot für den Braunkohle-Tagebau des RWE -Konzerns im Rheinischen Revier abgeben. Ist das mehr als ein PR-Gag?

Morgan: Greenpeace Energy, ein unabhängig von Greenpeace operierender Ökostromanbieter, hat ein seriöses Angebot abgegeben. Es schlägt einen Umbau des rheinischen Reviers vor, der das Klima schützt, viele neue Jobs entstehen lässt, Investitionen und Wertschöpfung in die Kommunen bringt und das Rheinland zu einem Zentrum erneuerbarer Energien macht. Es ist ein realistisches Angebot, das man sich von RWE oder der Regierung wünschen würde.

Autogazette: Was erwarten Sie von der Kohlekommission?

Morgan: Ich erwarte, dass sie einen Kohleausstieg für das Jahr 2030 mit einem guten Strukturwandel für die betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter und Länder auf den Weg bringt. Wenn wir über Elektromobilität sprechen, dann passt Kohle damit nicht zusammen. E-Autos machen nur dann Sinn, wenn sie auch mit erneuerbarem Strom unterwegs sind.

«Betroffen von der Erderwärmung sind nicht nur Inselländer»

Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan im Gespräch mit Frank Mertens. Foto: Markus Altmann

Autogazette: Bundespräsident Frank-Walther Steinmeier und 15 weitere Staats- und Regierungschefs haben mehr Engagement beim Kampf gegen den Klimawandel gefordert. Stimmt Sie das mit Blick auf die Cop zuversichtlich?

Morgan: Es ist ein gutes Signal für Kattowitz. Es ist bei der Cop nun an der Zeit, eine politische Antwort auf den IPCC-Bericht zu geben.

Autogazette: Was ist Ihr Wunsch für den Weltklimagipfel?

Morgan: Ich wünsche mir ein Bekenntnis der Länder, mehr für den Klimaschutz zu tun als bisher. Wir brauchen eine Entscheidung aller Länder, ihre Ambitionen für 2030 zu erhöhen. Die Bestrebungen der Länder müssen konsistent sein mit Blick auf das 1,5 Grad-Ziel. Es müssen sich alle darüber bewusst sein, dass der Unterschied zwischen 2 und 1,5 Grad enorm ist. Betroffen von der Erderwärmung und der Erhöhung des Meeresspiegels sind nicht nur Inselländer, sondern wir alle.

Das Interview mit Jennifer Morgan führte Frank Mertens

Keine Beiträge vorhanden

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein
Bitte geben Sie Ihren Namen ein