«Halten am Standort Berlin fest»

Interview mit BMW Motorradchef von Kuenheim

Hendrik von Kuenheim ist Chef von BMW Motorrad. Im Interview mit der Autogazette spricht der Manager über die jüngsten technischen Probleme, eine generelle ABS-Pflicht und die Niederlage bei der Auftragsvergabe für Maschinen für die Berliner Polizei.

Die Motorrad-Sparte von BMW hatte in den zurückliegenden Monaten mit einer Vielzahl technischer Probleme zu kämpfen. Zuletzt verlor das Unternehmen zudem einen Auftrag über 35 Maschinen für die Berliner Polizei gegen den italienischen Mitbewerber Moto Guzzi.

«Nicht nachvollziebare Entscheidung»

«Die für uns nicht nachvollziehbare Entscheidung gegenüber einem großen Arbeitgeber der Stadt hat uns hart getroffen», sagte der Leiter von BMW Motorrad, Hendrik von Kuenheim, im Interview mit der Autogazette. «Wir, unsere Mitarbeiter, als auch die Öffentlichkeit können nur schwer nachvollziehen, dass trotz deutlicher technischer Vorteile unserer Motorräder ausschließlich finanzpolitische Erwägungen den Ausschlag gegeben haben», fügte der Manager hinzu.

«Fehler lassen sich nicht ausschließen»

Autogazette: Die Pannen bei BMW nehmen kein Ende: Es gab Probleme mit undichten Bremsleitungen, Handprotektoren, die zu ungewollten Bremsungen führten und Problemen mit der Wegfahrsperre. Kann man sich noch unbesorgt ein Motorrad von BMW kaufen?

Hendrik von Kuenheim: Selbstverständlich kann man sich unbesorgt ein BMW Motorrad kaufen. Ich räume aber ein, dass es einige Einzelthemen gab, die für die Betroffenen manchmal sehr ärgerlich waren. Diese Fehler haben wir abgestellt oder sind gerade dabei sie abzustellen. Bei einem komplexen Produkt, wie einem Automobil oder einem Motorrad lassen sich Fehler nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen. Entscheidend ist, dass man bei der Fehlerbehebung rasch und entschlossen handelt.

Autogazette: Warum häufen sich bei BMW als Hersteller von Premium-Motorrädern derart die Fehler?

Kuenheim: Statistisch gesehen sind unsere Motorräder weit weniger auffällig, als es derzeit den Anschein haben mag. Das ist für einen eventuell betroffenen Kunden zwar unerheblich, denn er erwartet zu Recht hohe Qualität. Diese Erwartungen erfüllen wir derzeit nicht immer in vollem Unfang. Allerdings haben wir in unseren Anstrengungen nie nachgelassen. Die internen Kennzahlen zur Qualitätsbewertung sind im 10-Jahres-Rückblick besser geworden.

Autogazette: Was haben Sie getan, um das schlechte Qualitätsmanagement in Ihrem Hause zu verbessern?

Kuenheim: Im Geschäftsfeld BMW Automobile haben wir vor Jahren Qualitätsmaßnahmen gestartet und stehen inzwischen bei der Produktqualität und Kundenzufriedenheit im Wettbewerbsvergleich ganz, ganz vorne. Dieses Ziel gilt heute uneingeschränkt auch für BMW Motorrad und erste Erfolge zeigen sich an Hand guter Modellanläufe. Wir handeln entschieden und verbessern alle Prozesse in der Organisation, der Entwicklung und der Produktion. Beispielsweise kümmern wir uns intensiv darum, schon in der frühen Phase der Entwicklung eines neuen Motorrads Fehlermöglichkeiten von vorn herein auszuschließen.

Autogazette: Können Sie verstehen, dass viele Ihrer Kunden nur noch mit Unbehagen auf ihre Maschine steigen, wie aus den unterschiedlichen Internetforen hervorgeht?

Kuenheim: Ein echtes Unbehagen können wir aus den Beiträgen in den Foren nicht erkennen. Allerdings nehmen wir die Meinung und die Kritik unserer Kunden sehr, sehr ernst, denn letztlich entscheiden sie über unseren Erfolg. Das man sich über seine Erfahrungen in Internetforen austauscht, ist sehr verständlich.

«Unser Motorrad ist das bessere Angebot»

BMW Motorradwerk in Berlin-Spandau Foto: dpa

Autogazette: In Berlin wechselt die Polizei gerade von Motorrädern der Marke BMW zu Moto Guzzi. Geht Ihnen auch bei den Behörden das Vertrauen verloren?

Kuenheim: Die Berliner Polizeibehörde verfügt ja über sehr viele BMW Motorräder. Wir sind darüber hinaus sicher, dass die Berliner Polizisten ihren Dienst auch zukünftig lieber auf Motorrädern aus dem Spandauer BMW-Werk verrichten würden. Dem Beschaffungsvorgang liegen keinerlei Qualitätsfragen zu Grunde, vielmehr basiert die getroffene Entscheidung ausschließlich auf finanziellen Erwägungen der zuständigen Behörde.

Autogazette: Ihr Angebot für diese Ausschreibung lag angeblich 150.000 Euro über dem der Italiener. Hatten Sie unrealistische Preisvorstellungen?

Kuenheim: Wir haben keinen Einblick in die Kostenkalkulation des Wettbewerbers aber unsere Behördenmotorräder genießen bei unseren Kunden weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Deswegen sind wir nicht nur in Deutschland sondern international mit großem Abstand Marktführer im Behördengeschäft. Dieser Erfolg beweist, dass wir keine unrealistischen Vorstellungen haben. Unser Motorrad ist technisch das deutlich bessere Angebot.

«Halten am Standort Berlin fest»

Autogazette: Ist es nicht peinlich, dass Sie als deutscher Hersteller mit einem Motorrad-Werk in Berlin-Spandau diesen Auftrag nicht erhalten haben?

Kuenheim: Die für uns nicht nachvollziehbare Entscheidung gegenüber einem großen Arbeitgeber der Stadt hat uns hart getroffen. Das BMW-Motorradwerk in Spandau produziert mit mehr als 2000 Mitarbeitern jährlich rund 100.000 Motorräder, darunter 7000 Behördenmaschinen. Damit zählen wir zu den wenigen wichtigen Industrieunternehmen in Berlin. Dazu kommen zahlreiche Zulieferer und deren Mitarbeiter im Großraum Berlin-Brandenburg. Gemeinsam erbringen wir ein sehr hohes Steueraufkommen. Trotz allgegenwärtiger Kostennachteile halten wir am Standort Berlin fest. Allein in diesem Jahr fließen rund 30 Millionen in das Werk, um es weiter wettbewerbsfähig zu halten. Unser über 60-jähriges Engagement für die Stadt Berlin wird mit der Entscheidung nicht honoriert. Wir, unsere Mitarbeiter, als auch die Öffentlichkeit können nur schwer nachvollziehen, dass trotz deutlicher technischer Vorteile unserer Motorräder ausschließlich finanzpolitische Erwägungen den Ausschlag gegeben haben.

«Konzept nie aus Augen verloren»

BMW C1 Foto: BMW

Autogazette: Es gibt Gerüchte, dass BMW seinen Motorroller C1 wieder aufleben lassen will. Wann wird er auf den Markt kommen?

Kuenheim: Wir haben das Konzept des C1 nie ganz aus den Augen verloren. Allerdings gibt es keinerlei Entscheidungen für eine Neuauflage. Die BMW Group und damit auch BMW Motorrad beschäftigt sich intensiv mit Fragen der Mobilität und der Kundenbedürfnisse der Zukunft. Im nächsten Schritt geht es dann um die Entwicklung neuer Fahrzeugkonzepte mit zwei, drei oder vier Rädern. Dabei haben wir vor allem die Ballungsräume dieser Welt im Visier. Ein Fahrzeugangebot hierzu ist der nächste konsequente Schritt, den wir in der ersten Hälfte des nächsten Jahrzehnts auf den Strassen sehen werden.

Autogazette: Passt der C1 aufgrund der veränderten Mobilitätsbedürfnisse nicht bestens in unsere Zeit?

Kuenheim: Diese Meinung teile ich mit Ihnen: Die Märkte haben sich verändert. Mehr denn je stellt das motorisierte Zweirad ein ganz hervorragendes Konzept für die Frage der Mobilität besonders in Großstädten dar. Der C1 war seiner Zeit deutlich voraus. Er ist heutzutage so gefragt, dass man für einen gut erhaltenen C1 oft mehr als den damaligen Neupreis erhält. Ob sich so ein Fahrzeugprojekt überhaupt wirtschaftlich darstellen lässt - zum Beispiel in einem Werk wie in Berlin - ist Teil laufender Untersuchungen.

Autogazette: BMW konnte in 2007 über 102.000 Maschinen absetzen. Welchen Absatz erwarten Sie in diesem Jahr angesichts des schwierigen Marktumfeldes?

Kuenheim: Auf Grund sehr attraktiver Produkte und unserer anhaltenden Modelloffensive können wir davon ausgehen, dass wir in diesem Jahr sehr knapp an das Rekordergebnis des Vorjahres anschließen können. Das ist vor dem Hintergrund der weltweit teilweise erdrutschartig eingebrochenen Märkte ein deutliches Signal für die Begehrlichkeit unserer Produkte. In nahezu allen relevanten Märkten konnten wir Marktanteile hinzugewinnen. Man kann von einer BMW Motorrad Sonderkonjunktur sprechen.

«ABS-Pflicht kein Allheilmittel»

Autogazette: Sie sind auch Präsident des Motorrad-Weltverbandes IMMA. Was muss getan werden, damit wieder mehr junge Leute sich fürs Motorradfahren entscheiden?

Kuenheim: Die Jugend für das motorisierte Zweirad zu begeistern ist eine der großen Herausforderungen der Motorradindustrie. Die vielfältigen Aktionen speziell für Kinder und Jugendliche auf der weltgrößten Motorradmesse, der INTERMOT, die gerade in Köln stattgefunden hat, oder das Internet-Portal www.vivalamopped.com zeigen, dass die Vernetzung von Musik, Motorradführerschein und Roller bzw. Motorrad dazu beitragen junge Zielgruppen zu erschließen. BMW Motorrad tut auch einiges, um Neueinsteiger beim Erwerb des Führerscheins oder der Fahrerausstattung zu unterstützen.

Autogazette: Der Führerschein ist doch schlicht zu teuer...

Kuenheim: ...natürlich wünschen wir uns, dass die finanziellen Hürden zum Führerscheinerwerb - gerade auch in Deutschland - niedriger lägen. Vor dem Hintergrund der immer größer werdenden Verkehrsdichte in urbanen Ballungsräumen eröffnen sich für das Motorradfahren meines Erachtens große Chancen. Es ermöglicht eine kostengünstige und umweltfreundliche individuelle Mobilität bei geringem Platzbedarf - für jung und alt. Viele Großstädte in Europa, allen voran Barcelona, Paris, London und Rom haben dies bereits erkannt und richten ihre Verkehrspolitik darauf ein.

Autogazette: Der Bundesrat will die ABS-Pflicht für Motorräder zur Pflicht machen. Kommt ein solcher Vorstoß nicht viel zu spät, damit das Motorradfahren sicherer wird?

Kuenheim: BMW Motorräder bewegen sich im oberen Marktsegment und sind zum Beispiel in Deutschland bereits zu fast 99 Prozent mit ABS ausgerüstet. Andere Hersteller ziehen nach, wobei das nötige technische Know how nicht bei allen in der Höhe wie bei BMW vorliegt. Wir sehen allerdings in einer generellen ABS-Pflicht für alle motorisierten Zweiräder kein Allheilmittel zur Reduzierung der Motorrad-Unfälle.

Autogazette: Wie kann die Sicherheit denn erhöht werden?

Kuenheim: Damit das Motorradfahren sicherer wird, müssen alle Beteiligten ihren Beitrag leisten. Neben der Weiterentwicklung der Motorradtechnologie geht es auch um Sicherheitstrainings, die Optimierung der Straßeninfrastruktur und vor allem das Miteinander im Straßenverkehr: Die Mehrheit der Unfälle, an denen Motorradfahrer beteiligt sind, wird nicht durch diese selbst, sondern den Autofahrer verursacht. Das ABS-Bremssystem ist bei der heute existierenden Angebotsvielfalt motorisierter Zweiräder über 50 ccm nicht immer die technisch optimale Bremsen-Technologie. Alle Hersteller bringen die für ihre Produkte effizientesten und sichersten Bremsentechnologien, das «Advanced Braking Systems», auf den Markt. Die Mitglieder des europäischen Motorrad-Verbands ACEM haben sich zudem schon 2004 zu den Zielen der European Road Safety Charter bekannt und sich verpflichtet bis 2010 die Mehrheit der Motorräder mit «Advanced Braking Systems» anzubieten. Darüber hinaus hat sich die europäische Motorradindustrie dieses Jahr entschieden, das Ziel auf 75 Prozent Ausrüstungsquote bis 2015 zu erhöhen. Eine generelle ABS-Pflicht würde diese Vielfalt innovativer und sicherer Bremssysteme im Keim ersticken. Zum anderen würden eventuell notwendige Preiserhöhungen sich in diesem ohnehin anfälligen und preissensiblen Markt sehr negativ auswirken.

Das Interview mit Hendrik von Kuenheim führte Frank Mertens

Keine Beiträge vorhanden