«Lösen mit Erdgas die CO2-Frage»

Timm Kehler, Geschäftsführer erdgas mobil

«Lösen mit Erdgas die CO2-Frage»
Timm Kehler, Geschäftsführer von erdgas mobil © erdgas mobil

Die Zahl der neu zugelassenen Erdgas-Fahrzeuge hat in Deutschland zuletzt abgenommen. Die Aussichten für den alternativen Kraftstoff seien aber gut, wie Timm Kehler, Geschäftsführer von erdgas mobil, der Autogazette sagte.

Die Voraussetzungen sind eigentlich gut. Trotz zahlreicher Modelle und einem Tankstellennetz wie nie zuvor gehen die Neuzulassungen von Erdgasfahrzeugen in Deutschland zurück. «Von der Ausgangslage waren sind wir also so gut wie nie zu vor», sagt Timm Kehler vom Verband erdgas mobil im Interview mit der Autogazette, «wir stellen aber laut Marktforschungen fest, dass die Leute schlichtweg nicht wissen, dass diese Fahrzeuge vorhanden sind oder dass sie 500 Meter von der nächsten Erdgas-Zapfsäule entfernt wohnen. Sie wissen schlichtweg nicht, dass Erdgas ein extrem günstiger Treibstoff ist. Intensive Kommunikation wäre der Schlüssel zum Erfolg.»

Die erdgas mobil GmbH ist eine Initiative führender deutscher Energieversorgungsunternehmen, die Erdgas und Bio-Erdgas als alternative Treibstoffe der Zukunft zu etablieren versucht. Aufgrund der von der EU verabschiedeten Richtlinie, die vorsieht, dass jedes Mitgliedsland bis 2016 eine Erdgasstrategie vorlegen muss, könnten die Aussichten für Erdgas als Treibstoff gut aussehen.

Doch Kehler hat Bedenken. «Ich bin hier in Berlin manchmal sehr überrascht, mit welcher Lässigkeit unsere Entscheider diese Weichenstellungen in Brüssel aufnehmen. Die Gefahr besteht in der Tat, dass wir wieder in eine Situation kommen, dass Brüssel langfristig auch im Sinne der europäischen Bevölkerung entschieden hat, dann aber erst kurz vor Schluss in Berlin gesehen wird: Hoppla, wir müssen etwas umsetzen. Wir haben es ja bei E 10 alle gesehen. Wir müssen aufpassen, dass in Deutschland diese Weichenstellung, zu der neben Erdgas auch Wasserstoff und Elektro gehören, ernst genommen wird.»

Erdgasantrieb als Herausforderung für Händler

Mittelfristig geben besonders die Märkte in China und den USA («Der Markt ist in den USA, China oder anderen Ländern deutlich weiterentwickelt, auch auf dem technologischen Sektor sind die Länder ein bis zwei Schritte weiter») Hoffnung, dass sich auch in Europa und Deutschland Erdgas als Treibstoff durchsetzen wird.

«Wir haben erst seit Mitte des Jahres diese breite Palette an Angeboten. Ein Golf ist ebenso wie der Skoda Octavia seit Mitte des Jahres mit Erdgas erhältlich. In fast einem Viertel aller Fahrzeuge in Deutschland könnte mittlerweile ein Erdgasantrieb stecken. Das beschreibt das Potenzial. Wir können also ziemlich schnell in große Stückzahlen gehen. Wenn die Händler den Erdgasantrieb als eine Herausforderung für sich begreifen, sind 10.000 Fahrzeuge sicherlich ein realistisches Ziel.»

«Intensive Kommunikation wäre der Schlüssel zum Erfolg»

Der Bundestag will die Steuerermäßigung für Erdgas verlängern.
Die Meisten wissen nicht, wo sich eine Erdgas-Tankstelle befindet AG/Mertens

Autogazette: Herr Kehler, nachdem die Zahl erdgasbetriebener Fahrzeuge in den letzten Monaten kontinuierlich zart anstieg, hat sich nun der Trend verkehrt. Können Sie sich die rückläufige Tendenz erklären?

Timm Kehler: Diese Frage stellen wir uns auch regelmäßig. Das Modellprogramm mit CNG (Erdgas) ist so gut wie nie zuvor. Wir haben eine Breite im Angebot, die wir uns schon immer gewünscht hatten. Wir haben einen technischen Reifegrad der Produkte, der alle Fragen zur Technik aufgelöst hat, die zu Beginn des Themas Erdgas bestanden hatten. Reichweite, Kofferraumvolumen und Fahrverhalten sind für Erdgas-Fahrzeuge keine Schwierigkeit mehr. Das Gleiche gilt für die Infrastruktur. Wir hatten noch nie so viele Tankstellen wie heute (rund 920 in Deutschland). Die Qualität des Netzwerkes war noch nie auf solch hohem Niveau so gut wie heute im Hinblick auf Öffnungszeiten, Kartenangebot, aber auch schlichtweg die Standortfrage. Nur noch ein Bruchteil der Erdgas-Tankstellen befindet sich auf Betriebshöfen, der Rest ist an den gut frequentierten Markenstandorten zu finden. Von der Ausgangslage sind wir also so gut wie nie zu vor.

Autogazette: Warum nimmt der Kunde das Angebot dann nicht an?

Kehler: Wir stellen laut Marktforschungen fest, dass die oben genannten Aspekte nicht bekannt sind. Das Thema ist geprägt von immensen Informationsdefiziten. Die Leute wissen schlichtweg nicht, dass diese Fahrzeuge vorhanden sind oder dass sie 500 Meter von der nächsten Erdgas-Zapfsäule entfernt wohnen. Sie wissen schlichtweg nicht, dass Erdgas ein extrem günstiger Treibstoff ist. Intensive Kommunikation wäre der Schlüssel zum Erfolg.

Autogazette: Gibt es Strategien für die intensive Kommunikation?

Kehler: Sicher sind bei der Sichtbarkeit des Tankstellennetzes noch Schritte zu gehen. Die rund 920 Tankstellen sind momentan zu Gast bei den uns bekannten Mineralölmarken. Wir müssen es schaffen, dass dieses Angebot sichtbarer wird. Das geht zum einen auch über unsere neue App oder unser Internetportal. Zudem erfolgt dieses über das gemeinsame Erdgas-Label. Unterm Strich haben wir in Deutschland ähnlich viele Erdgas-Tankstellen wie Postbankfilialen. Aber die Sichtbarkeit muss durch ein einheitliches Branding geschärft werden. Das ist unsere Aufgabe.

Autogazette:Und die Aufgabe der Hersteller?

Kehler: Sie müssen ihre Klaviatur der Marketingkommunikation intensiv spielen, um dem Thema die Aufmerksamkeit zu geben, die es verdient.

«Lösen mit Erdgas auf kostengünstigste Weise die CO2-Frage»

Billiges Benzin bremst alternative Antriebe aus.
Ein Tankstutzen für ein Erdgasfahrzeug. dpa

Autogazette: Glauben Sie denn, dass die Hersteller diese Klaviatur spielen werden?

Kehler: Wir sind zurzeit in der Phase, in der die Hersteller getrieben durch die Politik den Elektrofahrzeugen Vorschub leisten. Wenn diese Karotte ausgestreckt wird, laufen alle anderen hinterher. Gemessen an den Marktanteilen, dürften wir eigentlich auch nicht so viel Werbung zur Elektromobilität sehen. Wir müssen deshalb gemeinsam mit den Herstellern versuchen, die Politik davon zu überzeugen, dass Erdgasfahrzeuge eine Lösung und kein Problem darstellen. Wir lösen mit Erdgas auf kostengünstigste Weise die CO2-Frage. Viele unabhängige Analysen haben bestätigt, dass die Erdgastechnologie im Vergleich aller alternativen Antriebsarten die Technik ist, die CO2 am günstigsten aus dem Verkehr herausnimmt. Nicht nur der Kunde spart mit dem Treibstoff, sondern auch wir als Volkswirtschaft. Man muss sich keine aufwändige Technologie leisten, um CO2 aus dem Verkehr zu nehmen.

Autogazette: Hätte eine Forderung von Kanzlerin Angela Merkel, eine Million Erdgas-Fahrzeuge bis 2020 auf die Straße zu bringen, mehr Erfolg?

Kehler: Im Ausland braucht es nicht einmal so eine klare Forderung, da wächst der Markt auch ohne Anschub einer Kanzlerin. Allerdings ist das zentrale Thema – und da sind wir erneut bei den Informationsdefiziten – die Preisgestaltung an den Tankstellen . . .

Autogazette:. . . das so genannte Benzinäquivalent . . .

Kehler: . . . Erdgas ist mehr als 50 Prozent günstiger als ein Liter Benzin. Die Preisauszeichnung von Erdgas in Kilogramm, das tatsächlich einen Wert wie eineinhalb Liter Super hat, bringt die Differenz nicht herüber. Das Kilo Erdgas kostet etwa 1,11 Euro, der Liter Super 1,52 Euro. Der Kunde sieht zwar, dass es günstiger ist, vermisst aber die ausgeschriebene Differenz von 50 Prozent. Da müssen wir andere Ansätze finden. Wenn nämlich auf einmal statt 1,11 Euro 72 Cent stehen, kann jeder den wahren Preisunterschied erkennen.

«Auto-Hersteller setzen auf CNG»

Auch die E-Klasse von Mercedes kann mit Erdgas-Antrieb geordert werden Mercedes

Autogazette: Bei Autogas stehen allerdings auch 73 Cent. Trotzdem müssten es dann doch viel mehr Autofahrer sein, die Autogas tanken?

Kehler: Die Hersteller setzen in ihrem Angebot sehr breit auf CNG. Autogas wird eher als Nachrüstlösung angesehen, während Erdgas ab Werk für Vertrauen sorgen soll.

Autogazette: Sind sinkende Benzin- und Dieselpreise zudem Gift für Erdgas als Kraftstoff?

Kehler: Nicht unbedingt. Bereits 2008, als die Preise für Benzin und Diesel sehr niedrig waren, konnten wir ebenso mit Preissenkungen aufzeigen, dass die Differenz weiter gegeben ist und der Kunde den Vorteil hat, dass er Geld spart. Das ist unsere Botschaft, mit der wir uns in den letzten zehn, 15 Jahren Reputation erarbeitet haben.

Autogazette: Ist es für den Verbraucher wichtiger zu sparen oder ist der Umweltgedanke wichtiger?

Kehler: Das Eine bedingt das Andere. Die Umwelt liegt uns allen sehr am Herzen. Klimaschutz ist eine Generationenaufgabe. Wenn wir sie jetzt nicht anpacken, wird es auch für unsere Kinder und Kindeskinder keine Lösung geben. Wenn es um das individuelle Interesse geht, möchte der Kunde natürlich den meisten Wert für sein Geld bekommen. Es ist nicht verwerflich, wenn sich die individuelle Kaufentscheidung am Preis und den Kosten orientiert, sofern auch festgestellt ist, dass der Umweltaspekt auch stimmt.

«Müssen dafür sorgen, dass die Saat auch wirklich aufgeht»

Autogazette: Sehen Sie denn durch das breite Angebot der Hersteller optimistisch in die Zukunft?

Kehler: Es fehlt der psychologische Aspekt, in der Kommunikation sichtbarer zu werden. Diese Fragestellung ist aber wesentlich leichter aufzulösen als wirklich gute Autos zu entwickeln.

Autogazette: Eine neue europäische Richtlinie sieht vor, dass die Länder bis 2016 eine Strategie aufstellen sollen, um Erdgas als Kraftstoff zu fördern. Wird ein Push kommen oder werden die Forderungen innerhalb der einzelnen Staaten eher stiefmütterlich behandelt werden?

Kehler: Ich bin hier in Berlin manchmal sehr überrascht, mit welcher Lässigkeit unsere Entscheider diese Weichenstellungen in Brüssel aufnehmen. Die Gefahr besteht in der Tat, dass wir wieder in eine Situation kommen, dass Brüssel langfristig auch im Sinne der europäischen Bevölkerung entschieden hat, dann aber erst kurz vor Schluss in Berlin gesehen wird: Hoppla, wir müssen etwas umsetzen. Wir haben es ja bei E 10 alle gesehen. Wir müssen aufpassen, dass in Deutschland diese Weichenstellung, zu der neben Erdgas auch Wasserstoff und Elektro gehören, ernst genommen wird.

Autogazette: Das müsste doch die Aufgabe von erdgas mobil sein, mit Frau Merkel diese Strategie auch durchzuführen.

Kehler: Da sehen wir uns auch in einer aktiven Rolle, diese Botschaften nach Berlin zu tragen. Ich habe aber auch ein sehr gutes Gefühl, dass wir im Wirtschafts-, Verkehrs- und Umweltministerium Unterstützung finden. Der aktuelle Entwurf des Klimaschutzplanes der Bundesregierung, der am 3. Dezember im Kabinett verhandelt wird, sieht eine Unterstützung für Erdgas als Kraftstoff vor. Der Koalitionsvertrag hat dieses ja auch schon vorgeprägt. Ein positiver Boden ist also vorhanden, man muss nur dafür sorgen, dass die Saat auch wirklich aufgeht.

«USA und China ein bis zwei Schritte weiter»

Auch der Iveco Stralis kann mit flüssigem Erdgas betankt werden.
Lkw werden immer häufiger mit flüssigem Erdgas betankt Iveco

Autogazette: Gibt es vielleicht sogar eine Anschubhilfe für Erdgas durch die USA?

Kehler: Wenn wir uns im außereuropäischen Ausland umschauen, muss man feststellen, dass wir in Europa mitnichten technologische Vorreiter sind. Der Markt ist in den USA, China oder anderen Ländern deutlich weiterentwickelt, auch auf dem technologischen Sektor sind die Länder ein bis zwei Schritte weiter – insbesondere im Nutzfahrzeugbereich, wo wir einen Boom mit verflüssigtem Erdgas feststellen. China ist um Längen voraus mit rund 1500 LNG (verflüssigtes Erdgas)-Tankstellen. In den letzten zwölf Monaten wurden 60.000 neue Lkw mit LNG eingeführt. Damit kann China auf kostengünstige und pragmatische Weise die eklatante Emissionsproblematik lösen.

Autogazette: Die OPEC hat eine Studie veröffentlicht, in der festgestellt wird, dass bis 2040 fossile Brennstoffe weiterhin tonangebend beim Kraftstoff sind und über 90 Prozent des Marktes einnehmen werden. Aufgrund des Einsatzes bei Lkw wurde für Erdgas eine positive Prognose gestellt. Diese Tendenz müsste doch eigentlich auch in Deutschland ankommen?

Kehler: Gerade im Nutzfahrzeugbereich stehen wir mit Erdgas bereit, um nicht nur Stickoxid-Emissionen, sondern auch CO2-Emissionen zu senken.

Autogazette:Wird es für den uninformierten Verbraucher nicht verwirrend, wenn neben Autogas nun auch das Erdgas im flüssigen Zustand angeboten wird?

Kehler: Wir werden im klassischen Pkw-Bereich immer über CNG als Erdgas sprechen. Die verflüssigte Form wird auch in Zukunft immer ein spezieller Treibstoff für Lkw sein. Mit dem Diesel-Pkw tankt man auch nicht an der Lkw-Tankstelle. Wir werden keinerlei Marktüberlappung erleben.

«10.000 Fahrzeuge sind sicherlich ein realistisches Ziel»

Der VW Golf TGI BlueMotion.
Große Hoffnungen liegen auf dem Erdgas-Golf VW

Autogazette: Wie wird sich der Erdgas-Markt in Deutschland angesichts günstiger Prognosen entwickeln? Letztes Jahr waren es etwa 7600 Verkäufe . . .

Kehler: . . . dieses Jahr werden es ähnlich viele werden. Wir sind aber durchaus optimistisch für die Zukunft.

Autogazette: Wie kommt der Optimismus zustande?

Kehler: Wir haben erst seit Mitte des Jahres diese breite Palette an Angeboten. Ein Golf ist ebenso wie der Skoda Octavia seit Mitte des Jahres mit Erdgas erhältlich. In fast einem Viertel aller Fahrzeuge in Deutschland könnte mittlerweile ein Erdgasantrieb stecken. Das beschreibt das Potenzial. Wir können also ziemlich schnell in große Stückzahlen gehen.

Autogazette: Das heißt, dass Sie in naheliegender Zukunft bei den Verkaufszahlen in Deutschland den Eintritt in den fünfstelligen Bereich erwarten?

Kehler: Ganz sicher. Ein Golf verkauft sich rund 350.000 Mal im Jahr. Davon zwischen fünf und zehn Prozent mit Erdgas . . . Allein mit dem Golf kann eine fünfstellige Zahl also durchaus machbar sein.

Autogazette: Kann oder wird machbar sein?

Kehler: Wir sind natürlich auch abhängig von den Händlern. Wenn die Händler den Erdgasantrieb als eine Herausforderung für sich begreifen, sind 10.000 Fahrzeuge sicherlich ein realistisches Ziel.

Das Interview mit Timm Kehler führte Thomas Flehmer

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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