«Autonomes Fahren wird Carsharing revolutionieren»

Car2go-Europachef Thomas Beermann

«Autonomes Fahren wird Carsharing revolutionieren»
Thomas Beermann verantwortet das Europa-Geschäft von car2go. © Daimler

Die Daimler-Tochter car2go ist immer noch nicht profitabel. Im Interview mit der Autogazette spricht Europa-Chef Thomas Beermann über Wachstumsziele, Mitbewerber und darüber, weshalb autonomes Fahren Carsharing revolutionieren wird.

Der Carsharing-Anbieter car2go wird dieses Jahr wegen seiner Expansionsstrategie immer noch nicht profitabel sein. Wann die Profitabilität erreicht sein wird, steht aber noch nicht fest. «Wann wir dieses Ziel genau erreichen werden, hängt von mehreren Faktoren ab, zum Beispiel von der weiteren Rollout-Geschwindigkeit. Es ist ein Unterschied, ob wir jährlich zwei, vier oder sechs neue Städte ins Programm aufnehmen», sagte car2go-Europachef Thomas Beermann im Interview mit der Autogazette.

Wachstumskurs geht weiter

Wie Beermann ankündigte, werde car2go seine Wachstumsstrategie fortsetzen. «Als nächster großer Standort wird Chongqing in China hinzukommen. China ist für Carsharing ein spannender Markt, dort gibt es hundert Städte, die mehr als eine Million Einwohner haben.» Aber auch auf dem europäischen Markt werde es in den kommenden Jahren «weitere Rollouts» geben. «Das Wachstum in Europa wird perspektivisch darauf basieren, dass wir auch in kleinere Städte gehen, die zwischen 300.000 und 700.000 Einwohner haben», so Beermann. Derzeit ist car2go weltweit an 30 Standorten mit 13.500 Fahrzeugen präsent.

«Städte entwickeln sich unterschiedlich schnell»

Ein car2go-Smart in Wien Daimler

Autogazette: Herr Beermann, ursprünglich sollte car2go 2015 profitabel sein. Dieses Ziel ist mittlerweile einkassiert worden. Was läuft derzeit nicht so wie geplant?

Thomas Beermann: Das würde ich so nicht stehen lassen wollen. Wir haben weltweit Städte, die bereits profitabel sind oder an der Schwelle zur Profitabilität stehen. Dazu gehören Städte wie Berlin, Hamburg, Wien, Mailand oder Rom. Aber natürlich haben wir auch Städte, die noch nicht so weit sind. Das hängt zum Beispiel vom Zeitpunkt ab, wann wir den Betrieb aufgenommen haben.

Autogazette: Wann soll denn das Ziel der Profitabilität erreicht sein?

Beermann: Wann wir dieses Ziel genau erreichen werden, hängt von mehreren Faktoren ab, zum Beispiel von der weiteren Rollout-Geschwindigkeit. Es ist ein Unterschied, ob wir jährlich zwei, vier oder sechs neue Städte ins Programm aufnehmen.

Autogazette: Bislang haben Sie immer gesagt, dass ein neuer Standort 24 bis 36 Monate benötigen würde, um den Break even zu erreichen. Lässt sich diese Planung aufrechterhalten?

Beermann: In den meisten unserer Standorte sind wir seit weniger als 36 Monaten am Start. Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass sich Städte unterschiedlich schnell entwickeln.

«Verfügbarkeit von Fahrzeugen erhöht»

Flinkster und Car2go gehen zusammen.
Über die Moovel-App können Fahrzeuge angemietet werden Daimler

Autogazette: Sie sagten, dass es acht bis zehn Mieten pro Tag und pro Auto bedarf, um in die Profitabilität zu kommen. Wo liegen Sie jetzt?

Beermann: In den Städten, wo wir bereits profitabel sind, liegen wir in diesem Rahmen. Durch die Anpassung der Geschäftsgebiete in einigen Standorten werden wir dieses Ziel von acht bis zehn Mieten auch in den anderen Städten erreichen können, da wir dadurch die Verfügbarkeit von Fahrzeugen erhöht haben. Pro Quadratkilometer wurden durch die Geschäftsgebietsreduzierung die Verfügbarkeit auf sechs bis acht Fahrzeuge erhöht. Der Kunde kann sich dadurch viel besser darauf verlassen, ein Fahrzeug zu bekommen, wenn er es braucht. Da Carsharing nicht nur eine ad on Mobilität sein soll und der Kunde möglichst häufig auf sein eigenes Auto verzichtet, werden wir unsere Flotte auch ausbauen.

Autogazette: Derzeit haben Sie weltweit 13.500 Autos. Wie viele sollen es 2017 sein?

Beermann: Wir wollen unsere weltweite Flotte bis 2017 nochmals deutlich ausbauen.

Autogazette: Allenthalben hört man, dass Carsharing boomt. Schaut man sich die Geschäftsentwicklung von car2go an, scheint dies ein Trugschluss zu sein. Gehen die Nutzerzahlen zurück?

Beermann: Ja richtig, Carsharing boomt. Unsere Nutzerzahlen wachsen kontinuierlich und liegen bei weit über 1 Million Kunden weltweit.

«Unser Geschäftsmodell ist durchdacht»

Car2go wird demnächst in China an den Start gehen.
China kommt als nächster Standort hinzu Daimler

Autogazette: Aber Ihre Ziele haben Sie schlicht verfehlt.

Beermann: Unser Geschäftsmodell ist erfolgreich und durchdacht. Wir sind deutlich schneller gewachsen, als wir uns das beim Start erwartet hatten. Zudem haben wir unser Portfolio an Mobilitätsdienstleistungen erweitert. Aber es gibt auch Städte, die von der Marktentwicklung her etwas länger brauchen als andere.

Autogazette: Derzeit ist car2go weltweit an 30 Standorten mit 13.500 Fahrzeugen präsent. Sie verantworten davon in Europa 15 Standorte. Wie viele Standorte sollen denn in Europa noch hinzukommen?

Beermann: Als nächster großer Standort wird Chongqing in China hinzukommen. China ist für Carsharing ein spannender Markt, dort gibt es hundert Städte, die mehr als eine Million Einwohner haben. In Europa peilen wir in den kommenden Jahren ebenfalls weitere Rollouts an. Das Wachstum in Europa wird perspektivisch darauf basieren, dass wir auch in kleinere Städte gehen, die zwischen 300.000 und 700.000 Einwohner haben.

Autogazette: Wie viele Städte sollen denn in Europa hinzukommen?

Beermann: Wir sind aktuell mit zahlreichen weiteren europäischen Städten im Gespräch – einige sind sehr vielversprechend. Wir werden in den kommenden Jahren weitere Standorte eröffnen. Welche das sind, ist derzeit noch nicht entschieden.

«Profitabilität war immer ein strategisches Ziel»

Auch die Fahrzeuge mit dem Stern kommen nun bei Car2go zum Einsatz.
car2go Black - hier sind Mercedes B-Klassen im Einsatz Daimler

Autogazette: Wächst der Druck der Mutter Daimler auf car2go, endlich in die Profitabilität zu gelangen?

Beermann: Profitabilität war immer ein strategisches Ziel unserer Gesellschafter.

Autogazette: Wie lässt es sich erklären, dass sie selbst in Städten wie Berlin Geschäftsgebiete wieder reduzieren? Ihnen sitzt deshalb ein ehemaliger car2go-Kunde gegenüber.

Beermann: Wir haben das sehr genau analysiert. Selbst mit dem verkleinerten Geschäftsgebiet haben wir noch ein größeres oder mindestens gleichgroßes Geschäftsgebiet wie unsere Wettbewerber. Wir haben uns die Nutzerzahlen genau angeschaut. Dabei haben wir festgestellt, dass die Fahrzeuge in den nun aus dem Angebot genommenen Geschäftsgebieten deutlich weniger angemietet wurden als in den innerstädtischen Bereichen. So werden im Innenstadtbereich die Fahrzeuge im Schnitt 8 bis 10 Mal pro Tag angemietet – oder sogar noch öfter. Im Außenbereich sind es teilweise nur drei Anmietungen und weniger. Wir wollen unseren Kunden dort eine höhere Verfügbarkeit an Autos einräumen, wo sie sie auch benötigen. Natürlich ist uns bewusst, dass wir damit Kunden auch treffen oder auch verlieren. Aber es ist eine Entscheidung fürs Wachstum und für das Gros der Kunden.

Autogazette: Wer ist denn nun der erfolgreichere Carsharing-Anbieter? Car2go oder DriveNow?

Beermann: Bei über einer Million Kunden und 30 internationalen Standorten ist car2go eindeutig Marktführer.

«Unterschiedliche Einnahmen liegen am Business Mix»

DriveNow startet in Hamburg
DriveNow ist Konkurrent der Schwaben BMW

Autogazette: Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2014 kommt car2go pro Tag und pro Auto auf eine Einnahme von 18 Euro und DriveNow auf 24 Euro

Beermann: Unterschiedliche Einnahmen liegen auch am Business-Mix. Wir haben niedrigere Minutenpreise als unsere Wettbewerber und entsprechend weniger Einnahmen bei gleicher Mietzeit. Zudem bieten Wettbewerber Dinge wie Kombi-Pakete an, die wir bislang nicht im Angebot haben.

Autogazette: Das ist doch sinnvoll für den Kunden, ebenso deren Modellpalette. Sie bieten neben Smarts auch über car2go Black mittlerweile Mercedes B-Klassen an, die im Stadtgebiet in Berlin aber kaum sichtbar sind.

Beermann: Wir bieten nicht nur in Berlin Fahrzeuge an, sondern in vier weiteren deutschen Städten. Insgesamt sind es mehr als 200 Fahrzeuge. Wir werden das Geschäftsmodell car2go black aber auf jeden Fall weiter im Fokus haben. Wir haben das gestartet, um ein anderes Modell mit einem anderen Nutzungsansatz in den Markt zu bringen. Wir sind damit zufrieden und werden es weiter entwickeln.

«Weg zum autonomen Fahren erfogt in Teilschritten»

Autogazette: Sie sind Projektpartner von Bosch beim autonomen Valet Parking. Wann werden denn die ersten Autos autonom in ein Parkhaus einparken?

Beermann: Es ist für uns ein erster Schritt auf dem Weg zum autonomen Fahren, dem autonomen Carsharing. Wenn man eine Zukunftsvision hat, wie sie Dr. Zetsche auf der IAA skizziert hat, dass das car2go Auto autonom vorgefahren kommt, dann muss man damit irgendwann anfangen. Und das tun wir jetzt. Der Weg hin zum autonomen Fahren erfolgt ja in vielen Teilschritten und wir gehen den ersten jetzt mit diesem Projekt des autonomen Einparkens.

Autogazette: Wie sieht denn Ihre Vision hin zum autonomen Carsharing aus?

Beermann: Wenn wir zehn Jahre in die Zukunft schauen, dann brauchen viele im Ballungsraum kein eigenes Auto mehr, so die Meinung der Experten. Die Fahrzeuge werden emissionsfrei unterwegs sein und kommen in Teilbereichen autonom vorgefahren. In der ersten Phase geht es darum, dass der Kunde nicht mehr zum Carsharing-Auto laufen muss, sondern das Fahrzeug zum Kunden kommt. Wenn das Realität ist, dann können wir auch unsere Geschäftsgebiete erweitern. Denn wenn das Auto in einem dezentralen Bereich herum steht, fährt es halt einige Kilometer weiter in einen Bereich mit einer höheren Nachfrage. Autonomes Fahren wird perspektivisch das Carsharing revolutionieren.

Autogazette: Wird car2go der erste Anbieter sein, der autonomes Carsharing anbieten wird?

Beermann: Das ist ohne Frage unser Wunsch.

Das Interview mit Thomas Beermann führte Frank Mertens

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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