VW-Aufsichtsrats-Chef Pötsch: Wir brauchen auch Demut

Vor Hauptversammlung

VW-Aufsichtsrats-Chef Pötsch: Wir brauchen auch Demut
VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch. © dpa

Es dürfte für den VW-Vorstand und den Aufsichtsrat des Autobauers angenehmere Termine geben als die Hauptversammlung an diesem Mittwoch. Erstmals seit dem Diesel-Skandal muss sich das Management den Fragen der Aktionäre stellen.

Schon bevor die Braunschweiger Staatsanwaltschaft die brisante Nachricht herausgab, konnte sich die VW -Spitze auf einen höchst unangenehmen Tag einrichten. Doch bei der Hauptversammlung an diesem Mittwoch sorgen die neuen Ermittlungen wegen möglicher Marktmanipulation gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und den amtierenden VW-Markenchef Herbert Diess für zusätzlichen Zündstoff.

Sie rücken eine für viele Aktionäre wichtige Frage wieder in den Fokus: Wann wusste der Vorstand von den manipulierten Abgaswerten, und hat er die Finanzwelt zu spät informiert? Diesen Vorwurf machen viele Investoren der VW-Führung seit langem, er ist die Grundlage für milliardenschwere Schadenersatzklagen. Erstmals nach dem Bekanntwerden des Abgas-Skandals müssen Aufsichtsrat und Vorstand den Anteilseignern Rede und Antwort stehen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es im Konzern, Vorstand und Aufsichtsrat müssten sich wohl einen Tag lang nur anschreien lassen.

Das Unternehmen mit seinen weltweit rund 600 000 Mitarbeitern steckt seit dem Auffliegen der Diesel-Affäre im vergangenen Herbst in der größten Krise seiner etwa 80-jährigen Geschichte. Allein mit Blick auf die Gegenanträge droht ein Scherbengericht.

DSW will Sonderprüfung

Aktionäre wie die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) wollen VW wegen der angeblich zu späten Information an die Finanzwelt zu einer unabhängige Sonderprüfung zwingen. Außerdem schmeckt es vielen Investoren gar nicht, Vorstand und Aufsichtsrat zu entlasten - so wie es die Tagesordnung vorsieht. Sie fordern das Gegenteil angesichts der Krise und des bisherigen Umgangs mit ihr. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass einer Sonderprüfung zugestimmt oder dem Vorstand die Entlastung verweigert wird - denn die Mehrheitsverhältnisse bei VW sind eindeutig. Mehr als die Hälfte der Aktien werden von der Großfamilie Porsche/Piëch kontrolliert.

Wichtig ist also vor allem, wie sich die Familie positioniert. Wolfgang Porsche und Hans Michel Piëch haben sich zuletzt in einem Interview der "Bild"-Zeitung jedenfalls demonstrativ hinter die VW-Chefetage gestellt. Kritik kommt dagegen vor allem von kleineren Anlegern. Der Dachverband der Kritischen Aktionäre meint: "Der Vorstand ist seiner Pflicht nicht nachgekommen, den Abgas-Skandal lückenlos aufzuklären.

Die Interessenvertretung sieht den Konzern ohnehin dem Abgrund nahe: "Offenbar hat die VW AG mit dem Diesel auf Technik gesetzt, die vom Konzern nicht kostendeckend gesetzeskonform auf den Markt gebracht werden konnte. Mit weiteren Investitionen in die Entwicklung neuer Dieselantriebe gefährdet der Vorstand jetzt die Zukunft des Konzerns", schreiben die Kritiker. Es sei offensichtlich, dass Diesel künftig nur mit deutlich teurerer Reinigungstechnik zu verkaufen seien. In China, dem VW-Zukunftsmarkt Nummer eins, spielten sie dabei schon heute keine Rolle mehr. Hat VW aufs falsche Pferd gesetzt und will es ohne Alternative totreiten?

Lange Sitzung befürchtet

Solche Fragen wird Volkswagen am Mittwoch zuhauf beantworten müssen. Zwar hatte sich der Konzern vergangene Woche bereits in seiner neuen Strategie zu Elektroautos und Digitalisierung bekannt - die Kritiker dürfte dies aber nicht zum Schweigen bringen. Im Konzern rechnet man damit, dass die Hauptversammlung bis in die Nacht andauern könnte. "Wir brauchen auch Demut", sagt VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch mit Blick auf die Hauptversammlung. "Wir haben uns selbst in diese Lage gebracht. Nun müssen wir alles dafür tun, um sie so gut wie möglich zu bewältigen." Doch viele Antworten dazu fehlen VW noch.

Da sind etwa die USA. Der dort für "Dieselgate" zuständige Richter Charles Breyer gab Volkswagen und den Klägern kürzlich mehr Zeit für einen Kompromissvorschlag. Er verschob die Frist für Details zu einem Vergleich auf den 28. Juni - ursprünglich hätte es just am Vorabend des Anteilseigner-Treffens mehr Gewissheit geben sollen. So aber müssen die Verantwortlichen die Aktionäre am Mittwoch vertrösten.

Es geht in den USA um gigantische Summen. Bisher hat der VW-Konzern gut 16 Milliarden Euro zurückgestellt als Vorsorge für Rückrufe und Rückkäufe, mögliche Zahlungen an betroffene Kunden und Rechtsrisiken. Doch ob das reicht? Die Weichenstellungen bei Richter Breyer sind dafür maßgeblich, denn der dickste Batzen droht VW in den USA. In der bisher veranschlagten Summe sehen Analysten eher eine Untergrenze. "Wir gehen nach wie vor weltweit von Gesamtkosten infolge des Diesel-Skandals in Höhe von 20 bis 30 Milliarden Euro aus", sagt etwa Frank Schwope von der NordLB. Diese Spanne dürfte eher über- als unterschritten werden. Und: Die gesamten Kosten des Skandals dürften "frühestens in zehn Jahren feststehen".

Blick nach vorn richten

Eine andere offene Baustelle ist die Schuldfrage. Volkswagen hat dazu die US-Kanzlei Jones Day mit einer Untersuchung beauftragt. Doch deren bisherige Ergebnisse bleiben noch bis mindestens zum Jahresende unter Verschluss. Denn ein Zwischenstand sei "mit unvertretbaren Risiken für Volkswagen verbunden", hatten die Wolfsburger Ende April erklärt und zur Begründung auf die laufenden Verhandlungen in den Vereinigten Staaten verwiesen. Zuvor hatten sie versprochen, bis Ende April erste Ergebnisse zu liefern. Damit bleibt unklar, wer für die Fehler von historischem Ausmaß die Verantwortung trägt, was vielen Aktionären gar nicht schmeckt. Auch deshalb fordern sie eine Sonderprüfung.

Angesichts dieser Gemengelage scheint es fraglich, ob es Volkswagen am Mittwoch überhaupt gelingt, den Blick nach vorn zu richten. In Aufsichtsratskreisen heißt es, die Hauptversammlung sei immerhin für einen Schnitt geeignet: gewissermaßen als Schlusskapitel für die schlimmste Zeit der nun schon neun Monate währenden Krise. In einem Jahr schaue es schon wieder anders aus - die Hoffnung sei berechtigt. (dpa)

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