Geckos in Handarbeit

Neue Wiesmann-Manufaktur

Roboter und Fließbänder kommen für den Sportwagenbauer Wiesmann nicht in Frage. Die Autos für Individualisten entstehen in einer einzigartigen gläsernen Manufaktur.

Von Sebastian Viehmann

1985 schüttelten Martin und Friedhelm Wiesmann die Köpfe, als sie über die Essen Motor Show schlenderten. Stümperhaft zusammengeschraubte Roadster-Repliken - sollten das die Alternativen zur etablierten Sportwagenwelt sein? Sie träumten von einem makellosen, in Handarbeit erstellten und technisch perfekten Roadster. Als Antrieb kam nur ein seidenweiches, aber kraftstrotzendes Aggregat von BMW in Frage.

Futuristische Ausstellungshalle

Mehr als 20 Jahre später lassen die beiden Brüder den V10-Motor ihres Wiesmann GT MF5 aufheulen, rollen durch die futuristische Ausstellungshalle ihrer nagelneuen Manufaktur, schälen sich lässig aus den Ledersitzen und sonnen sich im Blitzlichtgewitter der Fotografen. Ihr Traum hat sich erfüllt. Genauer gesagt: Er wird immer schöner.

Wahrhaft exklusive Sportwagen werden nicht in Zuffenhausen oder Maranello gebaut. Sie kommen aus einem beschaulichen Städtchen, das man zur geografischen Zuordnung gern mit dem Zusatz «bei Münster» versieht. Dülmen (Einwohnerzahl: knapp 47.400, besonderes Kennzeichen: liegt an der A 43) ist jedem eingefleischten Sportwagen-Fan ein Begriff. Denn dort entstehen die puristischen Edel-Raketen, bei denen BMW-Motoren unter der Haube stecken und über deren knackiges Heck ein kleiner Gecko krabbelt.

Exklusiver Fahrerkreis

Friedhelm (li.) und Martin Wiesmann Foto: press-inform

Zum Wiesmann Roadster MF3 (Sechszylinder, 343 PS) gesellen sich mittlerweile die geschlossenen Renner GT MF4 (Achtzylinder, 367 PS) und GT MF5 (Zehnzylinder, 507 PS, Spitze 310 Km/h, 0 auf 100 Km/h in 3,9 Sekunden). Die rassigen Fahrmaschinen haben einen enormen Kultstatus und kleben förmlich auf der Straße - eben genau wie ein Gecko.

Bislang dürfen sich erst knapp 1000 Sportwagen-Fans zum exklusiven Kreis der Wiesmann-Piloten zählen, die meisten davon in Deutschland. Trotzdem platzte die alte Fertigungsstädte aus allen Nähten. «2003 bauten wir noch 50 Autos pro Jahr, doch die Kunden erwarteten mehr. Um das zu schaffen, musste ein neues Gebäude her», sagt Martin Wiesmann. Die Brüder investierten schließlich sieben Millionen Euro in eine neue Manufaktur, blieben aber der Stadt Dülmen treu.

Waschkörbeweise Bewerbungen

Die Produktionsstraße Foto: press-inform

Die neue Manufaktur ist keine bloße Fertigungsstätte, sondern eine blitzblank polierte Erlebniswelt, die als Kulisse für einen Science-Fiction-Film dienen könnte. Das Wiesmann-Markenzeichen, der Gecko, ist als über 100 Meter langes Gebilde aus Stahl, Glas und Holz Bestandteil des Gebäudes. Wie eine Zunge ragt aus dem gläsernen Maul eine Serpentine, auf der die Autos von der Manufaktur direkt in den Ausstellungsraum rollen. Durch den Gecko-Kopf gelangt man in eine sanft ansteigende Halle, deren Decke ein faszinierendes Geflecht aus Stahl und Glas bildet. Vorbei an den ausgestellten Wiesmann-Flitzern wandelt man über den schwarzen Steinboden zur gläsernen Manufaktur. Von einer Galerie aus kann man live miterleben, wie ein Stockwerk tiefer in Handarbeit die Sportwagen-Träume entstehen.

60 Frauen und Männer arbeiten in der Fertigung. «Es kommen waschkörbeweise Bewerbungen», sagt Unternehmenssprecher Frank Schütz. Gefragt sind klassische Gewerke - Sattler, Metallspezialisten, Formenbauer. Allein mit dem Kabelbaum eines Wiesmann sind die Arbeiter dreieinhalb Tage beschäftigt. Weil selbst die Elektrik der Wagen passend zu der vom Kunden gewählten Ausstattung gefertigt wird, soll es in der ganzen Unternehmensgeschichte noch nie zwei identische Kabelbäume gegeben haben. Bei der Lackauswahl hat der Wiesmann-Pilot in spe sogar völlig freie Auswahl - jede Farbe ist möglich, und sei es passend zur Lieblingshandtasche der Gattin.

Szenetreff in Dülmen

Kein erschlagender Museums-Tempel Foto: press-inform

Der neue Wiesmann-Komplex, der trotz seiner imposanten Architektur nicht so bombastisch und erschlagend wirkt wie mancher Museums-Tempel der großen Autobauer, könnte ein echter Szene-Treff werden. «Alle Interessierten und Liebhaber der Wiesmann-Sportwagen sind eingeladen, live den Herstellungsprozess zu verfolgen oder einfach nur die Atmosphäre der einzigartigen Manufaktur zu genießen», heißt es bei dem Sportwagenbauer im nordrhein-westfälischen Städtchen Dülmen.

Welches, nebenbei bemerkt, auch noch für seine Fahrradfreundlichkeit und seine Wildpferde bekannt ist und letztere auch im Stadt-Logo verewigt hat. Vielleicht kommen die Stadtväter ja auf eine andere Idee - ein silberner Gecko wäre doch auch nicht schlecht.

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