Für den gesunden Menschenverstand

Abwrackprämie

Der Abwrackprämie sei Dank. Die staatliche Förderung bietet etlichen Käufern einen Ausweg aus dem ständig steigenden Kostendilemma.

Von Martin Woldt

Man wird dem Phänomen, das die Republik seit Wochen etwas kurzatmig hält, nicht gerecht, wenn man das Abwracken von Millionen alter Autos für eine Art übersteigerte Schnäppchenjagd hält. Und kaum weniger verfehlt ist die Häme über einen vermeintlich kollektiven Wahnzustand, der den Deutschen beim Thema Auto gern attestiert wird. Vielmehr öffnet sich mit der «Umweltprämie» das Ventil für einen seit Jahren angewachsenen Modernisierungsstau.

Niedrigster Stand seit 2000

Wie der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) mitteilte, hat die Kaufbereitschaft 2008 mit zwölf Prozent den niedrigsten Stand seit 2000 erreicht. Jeder siebente potenzielle Autokäufer wollte seine Anschaffung aus Kostengründen mindestens zwölf Monate verschieben. Je nach Zählweise kommt man im Bestand auf mindestens 16 Millionen Autos, die älter als die für das Abwracken erforderlichen neun Jahre sind. Mindestens zehn Millionen Autos darunter haben seit ihrem Zulassungsdatum locker 15 Jahre hinter sich. Da mag mancher darunter sein, der wie «empfohlen», in Afrika oder sonst wo auf der Welt noch ein paar Tausend Kilometer Laufleistung vor sich hätte.

In Deutschland steht vor solchen Ambitionen die vorgeschriebene Hauptuntersuchung. Grünes Licht für die Weiterfahrt bekommt man erst nach abgearbeiteter Mängelliste. Was bei einem durchschnittlichen kompakten Volkswagen im fünfzehnten Jahr durchaus zwei bis viertausend Euro ausmachen kann, während der Wert des Fahrzeuges kaum die 500-Euro-Marke übersteigt. Untersuchungen von 2008 zeigen, dass sich die Halter angegrauter Autos, soweit möglich, selbst helfen.

5700 Euro für Alt-Fahrzeug

Während bei drei Jahre alten Autos lediglich 35 Prozent der Autofahrer selbst in die Pflege eingreifen, sind es bei über acht Jahre alten Fahrzeugen schon 65 Prozent. Ein knappes Drittel scheut in diesem Zusammenhang auch vor «komplexen Reparaturen» nicht zurück. Weniger Liebhaberei als die Preise in den Werkstätten dürften die wesentliche Ursache dafür sein. Eine Werkstattstunde kann man heute je nach dem mit 50 bis 110 Euro veranschlagen. Untersuchungen der Sachverständigenorganisation DAT zeigen, dass sich der Reparaturaufwand eines Fahrzeuges nach seinem achten Jahr mehr als vervierfacht. Zugleich aber schwinden die Möglichkeiten, sich selbst zu helfen, denn der Anteil der Fahrzeugelektronik wächst mit jedem nachwachsenden Fahrzeugjahrgang.

Der Ausweg bestünde in der Anschaffung eines anderen Autos. Nur lag der durchschnittliche Neuwagenpreis 2008 mittlerweile bei knapp 26.000 Euro, während man für einen Gebrauchten im Schnitt etwa 8700 Euro hinblättern musste. Etwas günstiger weg kam der Gebrauchtwagen-Interessent, wenn er seinen Wunsch beim Privatverkäufer erfüllte. Hier bezahlte man etwa 5700 Euro pro Alt-Fahrzeug, allerdings ohne die Sicherheit einer Gebrauchtwagengarantie.

Durchatmen dank Abwrackprämie

45 Prozent aller Gebrauchtwagenkäufer bedienten sich 2008 auf dem Privatmarkt. Jedoch dürfte ihr Vorteil begrenzt bleiben. Denn ihr «Neuer» hatte bereits 98.000 Kilometer auf dem Buckel und war auch schon mindestens acht Jahre alt. Autoträume sehen gewiss anders aus.

Die Abwrackprämie erlaubt für einen begrenzten Kreis mit engem Spielraum ein kurzes Durchatmen in einem seit Jahren anwachsenden Kostendilemma. Wie die Prüforganisation Dekra jüngst ermittelte, stieg der Preisindex für die Anschaffung und den Unterhalt eines Autos von 1997 bis 2007 um fast 35 Prozent, während die allgemeinen Lebenshaltungskosten «nur» um knapp 20 Prozent angestiegen sind. Ihr Anteil am Haushaltsnettoeinkommen beträgt mittlerweile 661 Euro. Da empfiehlt sich ein Vergleich mit den durchschnittlichen Haushaltseinkommen, um einen Ahnung davon zu bekommen, welchen Charakter die «Schnäppchenjagd» auf die Abwrackprämie eigentlich hat.

40 Kilometer pro Tag

Der Kfz-Handel verfügt über entwickelte Methoden, um aus dem Fahrzeugalter auf das Einkommen der Halter zu schließen. Demnach lag das Einkommen von Besitzern mindestens acht Jahre alter Fahrzeuge bei etwa 2276 Euro. Oder anders herum: bei einem Einkommen unter 1000 Euro kann man von einem Fahrzeugaltern von mindestens 8,2 Jahren ausgehen. Da verwundert das enorm gestiegene Interesse an Autos des zum Hause Renault gehörenden Billig-Anbieters Dacia nicht. So erklärt Sprecher Reinhard Zirpel: «Ein Teil der Kundschaft hätte sich sonst nie ein neues Auto leisten können, und der andere sagt, mehr Auto brauche ich nicht.»

Verzicht bietet sich wahrscheinlich nur in Ausnahmefällen als Alternative an. Etwa 33 Prozent der durchschnittlichen Jahresfahrleistung von 15.170 Kilometern wurde trotz hoher Kraftstoffpreise auf Fahrten zwischen Arbeit und Wohnung verbracht. Der Anteil der Pendler wuchs in den letzten Jahren stetig und liegt derzeit bei etwa 40 Prozent der Arbeitnehmer. Ihre Neigung bei Strecken über zehn Kilometern den Pkw zu nutzen, ist hoch. Alle Deutsche über zehn Jahre legen pro Werktag etwa 40 Kilometer zurück. Für viele in einer alternden Gesellschaft wird Mobilität mit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gleichgesetzt.

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