Exot aus der Not

Aston Martin Lagonda

In nur kurzer Zeit erschuf Aston Martin den Lagonda. Das futuristisch anmutende Modell trug ein Stück zum Überleben der britischen Nobelmarke bei.

Von Heiko Haupt

Aus der Not geboren - das hört sich immer nach etwas an, das mehr oder weniger notdürftig zusammengefrickelt wurde und am Ende mehr schlecht als recht funktioniert. Dass aber aus der Not auch Einzigartiges entstehen kann, hat der britische Autobauer Aston Martin in den 70er Jahren bewiesen. Dort waren seinerzeit zwar die Kassen leer und auf eine erfolgreiche Zukunft mochte kaum mehr jemand wetten. Doch plötzlich meldete sich die Sportwagenschmiede mit einem Auto zurück, das die Welt der Auto-Enthusiasten in Aufregung versetzte: So etwas wie den Aston Martin Lagonda hatte man bis dahin noch nicht gesehen - auch wenn manche die Erscheinung eher für ein notgelandetes Raumschiff als für ein Auto hielten.

Mix aus Limousine und Supersportwagen

Der Aston Martin Lagonda war einzigartig - und wirkt selbst mehr als 30 Jahre nach seinem Debüt immer noch eine Spur futuristisch: eine stattliche 5,3 Meter lange Skulptur aus Metall, nahezu frei von Rundungen und Schnörkeln, ein schlichtes und kantiges Heck am einen, eine flach zulaufende Front mit Klappscheinwerfern und nur angedeutetem Kühlergrill am anderen Ende. Trotz seiner grundlegenden Funktion als luxuriöse Limousine mit vier Türen duckte sich das Auto mit nur 1,3 Meter Höhe wie ein Supersportwagen auf die Straße.

Auch unter dem Blech setzte man auf Ungewöhnliches. Denn der Lagonda protzte nicht nur mit 5,3 Litern Hubraum und acht Zylindern. Vor allem im Innenraum war das Auto zukunftsweisend: Als der Rest der Welt Begriffe wie Computer oder LED noch im Fremdwörter-Lexikon nachschlagen musste, baute der britische Hersteller weltweit erstmals in einem (Klein-)Serienfahrzeug auf digitale Instrumentierung und Elektronik im Überfluss - allerdings nicht nur zur Freude der erlauchten Kundschaft.

Mutige Namenswahl

Mit Elektronik vollgestopft Foto: Aston Martin

Der mutige Griff zur Zukunftstechnik erschien nicht nur an sich ungewöhnlich, es war vor allem erstaunlich, dass er mit den Namen Aston Martin und Lagonda verbunden war. Denn beide standen eigentlich eher für traditionell britischen Autobau im Stil einer Manufaktur. Obwohl es Lagonda zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon nicht mehr gab. Die Marke wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts in England ausgerechnet von einem amerikanischen Ingenieur gegründet - der Firmenname basiert auf der indianischen Bezeichnung eines Flusses im US-Bundesstaat Ohio. Bekannt wurde Lagonda vor allem durch Erfolge bei Sportwagenrennen in den 20er und 30er Jahren. Allerdings hielt der Erfolg nicht lange, so dass die Marke seit 1964 zu Aston Martin gehörte - und alsbald in Vergessenheit geriet.

Ein ähnliches Schicksal drohte zu Beginn in den 70er Jahren auch Aston Martin selbst. Ende 1974 schien das endgültige Aus der Marke besiegelt: Aston Martin war pleite. Dann folgte eine Überraschung, denn vor allem der Einsatz von Anhängern des Autobauers führte dazu, dass neue Investoren gefunden wurden und schließlich die «Aston Martin Lagonda Ltd.» gegründet werden konnte.

Einzigartige Präsentation

Langsam lief die Produktion der bekannten alten Modelle wieder an - doch das konnte nicht alles sein. Man musste der Welt zeigen, dass es Aston Martin noch gab - und zwar mit einem Paukenschlag. Ergebnis war dieses einzigartige Auto mit der keilförmigen Silhouette, das der Designer William Towns entworfen hatte.

Von der Idee bis zur endgültigen Realisierung ging dann alles recht schnell: Nachdem im Januar 1976 ein erstes Modell aus Ton fertig gestellt war, konnte das endgültige Auto schon im Juli des Jahres den Medien vorgestellt werden. Überlieferungen schildern diese Präsentation als erstaunliches Ereignis - was aber nicht allein an dem Auto, sondern vor allem an der Reaktion der anwesenden Journalisten lag. Berichtet wird, dass so mancher Teilnehmer angesichts der einzigartigen Karosse regelrecht über die Tische sprang, um einen genaueren Blick darauf werfen zu können.

Panne bei Premiere

Zwischen Luxuslimousine und Supersportwagen Foto: Aston Martin

Der kurze Zeitrahmen hatte allerdings auch noch ganz andere Folgen. Denn im Inneren lauerte so viel an Elektronik, wie man es bis dahin von einem Auto nicht kannte. Was damals verbaut wurde, liest sich fast wie die Beschreibung eines Autos von heute oder gar morgen: In den Instrumenten kamen Leuchtdioden zum Einsatz, viele Funktionen wurden über berührungsempfindliche Sensorenfelder gesteuert. Dabei ging es um die Sitzverstellung ebenso wie um den Wechsel der Gänge, berichtet die in Mainz erscheinende Zeitschrift «Oldtimer Markt». Weil der Kunde natürlich nicht auf die bekannten Luxus-Accessoires britischer Automobile verzichten sollte, gab es im Innenraum außerdem noch reichlich Leder und Holz-Applikationen.

Die Kombination aus einzigartigem Design, üppigem Luxus und neuartiger Elektronik führte zum einen dazu, dass die Verkäufer sich die Hände reiben konnten - Bestellungen gingen trotz des deutlich sechsstelligen Kaufpreises gleich in dreistelliger Höhe ein. Die Techniker dagegen hatten weniger Freude. Denn die nur wenig erprobte Elektronik neigte zur Arbeitsverweigerung. So ist überliefert, dass ausgerechnet das erste zur Auslieferung anstehende Fahrzeug zu dem wichtigen Übergabetermin nicht aus eigener Kraft anrollte - sondern vielmehr geschoben werden musste.

Bemerkenswerte Verbräuche

Weil man sich solch peinliche Momente nicht mehrfach leisten konnte, wurde am Problemkind gefeilt. So mussten die von Sensoren gesteuerten Schalttasten weichen, um einem herkömmlichen Hebel zum Einlegen der automatischen Fahrstufen Platz zu machen. In einer zweiten Serie wurden dann auch die ursprünglichen LED-Anzeigen verbannt und durch Kathodenröhren ersetzt - die sich dann allerdings als noch unzuverlässiger erwiesen.

Während sich derlei Eingriffe durch die Geschichte des Aston Martin Lagonda zogen, gab es an anderer Stelle wenig zu tun - denn gerade der Motor passte eigentlich so gar nicht in ein futuristisches Raumschiff wie diese Limousine. Der Achtzylinder war eine - schonend ausgedrückt - klassische Konstruktion: Zunächst erreichte der Kraftstoff die Brennräume noch durch Vergaser, eine Einspritzung sollte erst später folgen - die Verbräuche waren daher anfangs auch recht bemerkenswert, was sicher auch daran lag, dass die zunächst 280 PS sich mit immerhin zwei Tonnen Gewicht abzumühen hatten.

Anteil zum Überleben

Alles in allem war der Aston Martin Lagonda sicher kein perfektes Auto - immerhin aber eine erstaunlich ungewöhnliche Konstruktion, die im Grunde auch als Wegbereiter für den Autobau der Moderne gelten kann. Gerade das war wohl auch ein Grund dafür, dass das Auto allen Problemen zum Trotz eine ganze Weile gebaut wurde. Immer wieder gab es Überarbeitungen im Detail, wurde an Technik und Design gefeilt. Erst 1989 wurde die Produktion endgültig eingestellt. Und mit seinen 645 Verkäufen hatte der Lagonda einen nicht zu unterschätzenden Anteil daran, dass die Marke Aston Martin überleben konnte - und nun auch die Rückkehr des Namens Lagonda verkünden kann. (dpa/tmn)

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