EU zwingt zu mehr Rücksicht

Neue Vorschriften aus Brüssel

Die EU beklagt das zu geringe Sichtfeld konventioneller Rückspiegel. Der Audi Q7 ist schon einer, der die neuen Vorschriften für einen besseren Blick nach hinten erfüllt.

Die EU zwingt die Autoindustrie zu mehr Rücksicht - und zwar im wörtlichen Sinne. Bis Anfang 2010 müssen alle neuen Fahrzeuge mit Außenspiegeln ausgerüstet werden, die ein größeres Sichtfeld bieten. Ergänzend rüsten die Hersteller die Fahrzeuge mit technischen Hilfsmitteln auf, die beim Überholen, Abbiegen oder Ausparken Zusammenstöße vermeiden sollen.

Mehr Blickfeld nach unten

Die veränderte Zulassungsordnung erklärt nicht nur den rechten Außenspiegel zur Standardausstattung, sondern fordert auch, dass der Blick früher den Boden erreicht. «Vereinfacht betrachtet musste früher der Fahrer beim Blick in den linken Spiegel die Fahrbahn 10 Meter und im rechten Spiegel erst 20 Meter hinter seinem Auto sehen können. Nun muss der Blick auf beiden Seiten schon nach 4 Metern auf den Boden fallen», erläutert Mario Fiebag aus der Audi-Entwicklung in Ingolstadt. Auch die Breite des Blickfelds auf der Fahrerseite wurde vergrößert, um den toten Winkel zu verringern.

Audi Q7 schon so entwickelt

Rückspiegel am Audi Q7 Foto: Audi

Weil es das Design verändert sowie den Luftwiderstand und mit ihm den Verbrauch in die Höhe treibt, reagieren die Entwickler darauf jedoch nur zum Teil mit größeren Spiegeln. Durch den Einsatz neuer Technologien seien Wege gefunden worden, um die Vergrößerung des Spiegels zu begrenzen, sagt Fiebag. «Dadurch konnte der Einfluss auf den Verbrauch und damit den CO2-Ausstoß reduziert werden.» Das erste Auto, das bei Audi nach den neuen Maßgaben entwickelt wurde, war laut Fiebag der Q7. Als letztes wird demnächst der A6 umgestellt.

Beim CLS ein Drittel mehr Blickfeld

Mercedes CLS Foto: Daimler

Welche Auswirkungen die neue EU-Vorgabe haben kann, sieht man auch in der Modellpalette von Mercedes. «Wir führen in diesem Jahr bei fast allen Baureihen neue Spiegel ein, die deutlich größer geworden sind», sagt Designer Steffen Köhl. «Um dieses Wachstum optisch zu kaschieren, haben wir gleichzeitig die integrierten Blinker überarbeitet.» Aus dem gewohnten Leuchtbalken wurden zwei gelbe Strahlen mit pfeilartiger Ausrichtung, die das Gehäuse kleiner wirken lassen. «Dennoch ist der Sichtgewinn bedeutend: Allein beim CLS haben wir das Blickfeld um 32 Prozent vergrößert», sagt Köhl.

Mehr rückwärtige Elektronik

Rückfahrkamera im Toyota RAV4 Foto: Toyota

Parallel zum neuen Design der Spiegel betreiben die Hersteller eine technische Aufrüstung, die den Fahrer mit Radar- oder Infrarotsensoren bei der Rücksicht unterstützt. Für immer mehr Fahrzeuge gibt es bis herunter in die Mittelklasse «Blind Spot Detektion»-Systeme, bei denen die Elektronik den toten Winkel überwacht und Autofahrer mit Signaltönen oder Blinklichtern vor Gefahren beim Abbiegen oder Überholen warnt, erläutert Hans-Georg Marmit von der Sachverständigenvereinigung KÜS aus Losheim am See (Saarland). «Natürlich können diese Assistenzsysteme den Schulterblick nicht ersetzen», sagt der Experte. «Doch können mit ihnen viele gefährliche Schreckensmomente entschärft werden.»

Ford bietet zweites Sichtfenster

Dass man auch ohne Elektronik den toten Winkel verkleinern kann, zeigt Ford in den USA. Dort hat der Konzern für mehrere Marken und Modelle neue Außenspiegel angekündigt, in die ein zweiter Spiegel mit konvexer Krümmung eingearbeitet ist. Dieses zweite Sichtfenster lenkt den Blick genau in jenes Feld hinter dem Fahrzeug, das mit dem konventionellen Spiegel nicht einsehbar ist. Gleichzeitig entschärfen die Amerikaner ein zweites Risiko: Weil es immer wieder zu Unfällen kommt, wenn Autofahrer rückwärts aus der Garage in den fließenden Verkehr stoßen, hat Ford nach eigenen Angaben den Kontrollbereich der «Blind Spot Detection» erweitert und stellt dem Fahrer eine radargestütze Ausparkhilfe zur Seite. Ein ähnliches Ziel verfolgen auch BMW und Toyota, deren Rückfahr- oder Rangierkameras ebenfalls quer zur Fahrtrichtung schauen und so auf den fließenden Verkehr achten können.

Unnötiger Rückspiegel

Unnötiger Rückspiegel Foto: dpa

Am liebsten würden die Hersteller auf Außenspiegel ganz verzichten. Den Designern sind sie ein Dorn im Auge, weil sie die Seitenlinie unterbrechen. Sicherheitstechniker fürchten um das Wohl von Fußgängern, und die Entwickler schimpfen über Luftverwirbelungen, die den cW-Wert und damit den Verbrauch erhöhen. Bei den meisten Konzeptfahrzeugen und Studien übernehmen deshalb kleine Kameras den Blick nach hinten und übertragen ihr Bild auf Monitore im Cockpit. Beim Opel Flextreme etwa sind die Kameras so angeordnet, dass der Fahrer sich gar nicht umstellen muss, erläutert Entwickler Frank Leopold in Rüsselsheim. Er sieht die Kamerabilder links und rechts im Armaturenbrett. Der Rückblick wird über den Mitteltunnel projiziert.

Rückspiegel vorerst unverzichtbar

Zwar würden die Entwickler solche Lösungen lieber heute als morgen in Serienfahrzeuge übernehmen. Doch dürfte daraus wohl vorerst nichts werden, sagt Frank-Peter Koch, der bei Mazda in Leverkusen die Homologation leitet: «Auch im jüngsten Gesetzestext sind Kameras allenfalls als ergänzende Systeme erlaubt.» (dpa/gms)

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