Italo-Renner mit Suchtpotenzial

Der Lamborghini Gallardo Spyder zieht die Blicke auf sich: Sein Design ist ebenso martialisch wie seine Leistungsdaten: 520 PS sorgen für eine Spitzengeschwindigkeit von 314 km/h.

Von Stefan Grundhoff

Eigentlich sollte man meinen, dass ein Lamborghini in Miami Beach nicht weiter auffällt. Doch bereits der Weg zum ewig coolen Ocean Drive wird zur reinsten Spießrutenfahrt. Im offenen Gallardo Spyder werden Erwachsene zu Kindern und die Straße ist die Bühne.

Sachlich: die Mittelkonsole Foto: Werk

Aus der flachen Italo-Flunder blickt man unerschrocken lässig hinauf zu Giganten namens Hummer H2, Cadillac Escalade und der bemitleidenswert dreinblickenden Mercedes M-Klasse. Deren Fahrer schauen mit Hochachtung und glänzenden Augen hinab zum Avangarde-Renner aus Santa Agata. Lamborghini hat weltweit einen Namen wie Donnerhall; doch nicht nur in den USA werden selbst betagte Autonarren zu juvenilen Betrachtern und verrenken sich die Köpfe nach dem neuen Spyder, der sich optisch bereits im Stand durch den Asphalt zu fräsen scheint. Schon die geschlossene Version ist trotz des Überbruders Murcielago ein Supersportler. Wer mit Allradantrieb, 520 PS und 314 km/h Spitze auf die Sonnenblicke des Lebens nicht verzichten will, kann ab Frühjahr die offene Version genießen - gestatten: Spyder.

Schnell, schneller am schnellsten

Schnell, schneller am schnellsten. Das erlaubten 55 Meilen pro Stunde kann einen auf der legendären US-I südlich von Miami kaum schrecken. Gerade erst ist man nahe der Universität an einem halb verschlafenen Sheriff vorbeigefahren. Trotz des ohrenbetäubenden Motorlärms hat der sich nicht einmal nach dem Boliden umgedreht. Ignorant! Dafür kriegt er Feuer - natürlich der Lambo. US-Tempolimit hin oder her: der Zehnzylinder drückt einen per Pedalinjektion ohne Verzögerung kraftvoll ins enge Gestühl und die Tachonadel prescht mit einem Wimpernschlag über die 130er-Marke. Das Kennzeichen verrät, wir kommen direkt aus Norditalien; der Tacho zeigt Kilometer und keine Meilen. Umrechnen - ach was, kurz einmal auf Tempo 160. Was soll schon schief gehen? Jetzt aber in die Eisen! Sonst dürfte sich eine unfreiwillige Nacht im örtlichen Police-Department kaum vermeiden lassen. Und auf die Gitterstäbe kann man im Niemandsland zwischen Miami und Key Largo gut verzichten.

Der Spyder Foto: Press-Inform

Wieso sollte der Lamborghini Gallardo Spyder überhaupt etwas Besonderes sein? PS-starke Roadster gibt es schließlich viele. Doch dieser hier raubt einem nicht nur durch das martialische Design den Atem. Kaum 1,20 Meter hoch und scheinbar breiter als jede Fahrbahn - so fett kauert der Lambo auf dem Asphalt. Der Zehnzylinder bollert beim Start, als würde nebenan ein Abraumbagger angeworfen. Keine moderne FSI-Technik aus dem Ingolstädter Konzernregal, sondern ein bollernder Bursche, der einem den Atem raubt. 520 PS, 314 km/h Spitze geschlossen und immerhin noch 307 km/h offen, 0 auf 100 km/h in einem Wimpernschlag von 4,3 Sekunden. Der Verbrauch irgendwo zwischen 17 und 25 Litern auf 100 Kilometer könnte unwichtiger nicht sein. Doch können nackte Werte belegen, was der offene Gallardo mit seinen Insassen macht?

Absatzmarkt Deutschland

Auch geschlossen schön Foto: Press-Inform

Eine gewisse Überraschung kann man kaum verhehlen, aber der Spyder ist ein echtes Alltagsauto. Gut, der gemeine Lambo-Fahrer hat zwischen fünf und zehn Autos in seinem Stall, mehr als eine Residenz und ein Quartettspiel von platinfarbenen Kreditkarten. Da fällt der winzige Kofferraum ebenso wenig ins Gewicht wie die rund 167.000 Euro, die man für den Kraftprotz bezahlen muss. Wen interessiert, dass sich das stramme Stoffverdeck nur im Stand öffnet und ein Navigationssystem noch optional in der Aufpreisliste gesucht werden muss? Keiner! Die Jahresproduktion 2006 von immerhin 800 Autos ist bereits vergriffen.

Schnittig - der Spyder Foto: Werk

Mehr als die Hälfte aller Gallardo Spyder geht nach Deutschland und die USA. Doch der Italiener macht nur für Passagiere bis kaum über 1,80 Meter eine gute Figur. Darüber wird es eng zwischen Stirn und dem Rahmen der Windschutzscheibe. Nicht nur auf der Se nach dem Ampelfeuer verbiegt man sich den Schädel wie eine WC-Ente. Die Sicht nach vorn ist allenfalls mittelprächtig. Für den Durchblick nach hinten sorgt eine Heckkamera. Ebenso optional wie das 8000 Euro teure E-Gear-Getriebe.

Einfaches Handling

Im Stadtverkehr, auf der Landstraße oder Autobahn fährt sich der Gallardo lammfromm und macht es dem Piloten nie schwer. Wer will drückt aufs Pedal und lässt die Welt hinter sich. Lenkung und manuelle Schaltung sind sportwagentypisch nicht gerade leichtgängig, aber mehr gibt es kaum zu meckern. Schließlich machen die anerkennenden Blicke des Volkes auch den überdimensionalen Wendekreis erträglich.

Wer einen Spyder fährt, der reist auch ansonsten standesgemäß... Foto: Press-Inform

Vorteil: Man ist länger auf dem Präsentierteller und das freut Umgebung und Fahrer gleichermaßen. Der Zehnzylinder quittiert den längst überfälligen Gasstoß mit einem wilden Fauchen. Der Klang - ein Traum! Der Genuss auf der Straße - ebenso grenzenlos wie das Suchtpotenzial. Wenn nur das hohe Gewicht den Fahrgenuss nicht stören würde. Zehnzylinder, Allradantrieb und die lederne Aktentasche im rund 100 Liter kleinen Frontabteil fordern ihre Opfer - mit über 1,7 Tonnen fährt sich der Gallardo nicht gerade leichtfüßig durch den Wedelparcours. Eine variable Kraftverteilung des Allradantriebs und das ausgewogene Gewichtsverhältnis (47:53) sorgen letztlich jedoch für lachende Gesichter.

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