Yamaha Ténéré 700: Leichtgewichtiger Abenteurer

Yamaha Ténéré 700: Leichtgewichtiger Abenteurer
Die neue Yamaha Ténéré 700 gibt sich als pures Fahrgerät. © Yamaha

Vier Jahre haben die Yamaha-Entwickler an einer neuen Ténéré geschraubt. Die Reiseenduro glänzt mit geringem Gewicht, niedrigeren Preis und leichter Handhabung.

Es ist ein mittlerweile ungewohntes Gefühl, sich mit einer lediglich 204 Kilogramm leichten Reiseenduro unwegsame Bereiche Spaniens untertan zu machen. Denn die meisten der heute am Markt befindlichen Sports-Adventure-Bikes wiegen einen oder sogar zwei Zentner mehr. Zudem leistet der wassergekühlte Zweizylinder-Reihenmotor der neuen Yamaha Ténéré 700 nicht über 100 PS, sondern gerade mal 73 PS.

Außerdem gibt es weder elektronisch wählbare Fahrmodi noch Traktionskontrolle, und auch keinen Joystick, Quickshifter oder spezielles Offroad-ABS. Von einer Smartphone-Einbindung mittels Connectivity ganz zu schweigen. Nach 500 abwechslungsreichen Kilometern über Pisten, Knüppelwege, Holperasphalt, Kurvenwetzen auf Fünfsterne-Asphalt und ruhigem Dahingleiten in Richtung auf das gefühlte Ende der Welt stellt sich schließlich die Frage: Fehlt was? Die Antwort: Nicht wirklich.

Eine neue, „echte“ Ténéré

36 Jahre ist es her, dass die japanische Motorradmarke Yamaha damit begann, ihre bereits Ende der 1970er Jahre bei der Rallye Paris-Dakar eingefahrenen Siege im Serienmotorradbau zu vermarkten. Die Ténéré von 1983, von einem 600 Kubikzentimeter-Einzylindermotor angetrieben, entwickelte sich in den 1980er und frühen 1990er Jahren zu einer Macht im damals noch kleinen Abenteuerbike-Segment. Einfach zu handhaben war sie, zuverlässig und anspruchslos. Doch wie auch Honda mit seiner erfolgreichen Africa Twin schaffte es Yamaha nicht, die Ténéré-DNA so zu kultivieren, dass sie über die Jahrzehnte zur „japanischen GS“ hätte reifen können.

Der Zweizylinder-Reihenmotor der Yamaha Ténéré 700 leistet 73 PS. Foto: Yamaha

Nach gefühlt mehr als zwei Jahrzehnten Abstinenz vom einst dominierten Marktsegment begann man 2015 im europäischen Yamaha-Entwicklungszentrum in Italien damit, eine neue „echte“ Ténéré auf die Räder zu stellen. Das Herz dafür, der exzellente Zweizylinder-Reihenmotor der erfolgreichen MT-07, war vorhanden, doch alles andere musste neu werden. Mehr als vier Jahre vergingen unter Einbindung der japanischen Entwickler, bis es nun eine neue Ténéré 700 gibt.

Große Fahrer, kleiner Tank

Anders als BMW, Honda, KTM und Triumph geht Yamaha das Wagnis ein, sich vom Hightech-Trend in der Reiseenduro-Szene abzukoppeln. „Zugunsten von weniger Gewicht, einem niedrigeren Preis und leichter Handhabung“, sagen die Verantwortlichen. Sie bieten dennoch allerhand: Mindestens 24 Zentimeter Bodenfreiheit, ausgezeichnet abgestimmte Feder- und Dämpfungselemente, eine ausgewogene Sitzposition sowie eine ordentliche Reichweite von rund 350 Kilometern.

Nicht ganz konfliktfrei ist die Sitzhöhe von 87,5 Zentimetern. 1,80 Meter groß sollte man als Fahrer idealerweise schon sein. Zwar gibt es einen Tieferlegungs-Kit, der vier Zentimeter einsparen soll, aber er beeinträchtigt die Bodenfreiheit. Wie sehr, konnten wir leider noch nicht erfahren. Nicht ausgeschlossen, dass Yamaha in diesem Punkt gegenüber anderen Marken wertvolle Punkte und damit Stückzahlen liegen lässt. Vielleicht auch beim Tankvolumen, denn 16 Liter klingen nicht nach großem Aktionsradius. Der Verbrauchs-Normwert liegt jedoch bei bescheidenen 4,16 Litern – und er scheint erreichbar zu sein, sofern man nicht im Rallye-Stil angast.

Motor und Ergonomie überzeugen

In Fahrt gibt sich die Reiseenduro souverän: Das Fahrwerk mit 21 Zoll-Vorder- und 18 Zoll-Hinterrad glänzt mit Präzision und großem Schluckvermögen, ohne schaukelig zu werden. Dazu tragen nicht zuletzt die sinnvoll gewählten Reifenformate wie auch der Reifentyp bei. Der Pirelli Scorpion Rally STR glänzt auf Asphalt und gefällt auch offroad. Der gegenüber der MT-07 in Details überarbeitete Motor kann sich dank reduzierter Endübersetzung und einigen Modifikationen bestens in Szene setzen, zieht bullig an und dreht bei Bedarf willig.

Auch die Ergonomie – sitzend wie stehend – überzeugt. Arrangieren muss man sich im farbigen TFT-Zeitalter mit einem LC-Display im Cockpit, das sauber gegliedert, weitgehend vollständig und ordentlich ablesbar ist. Immerhin hat Yamaha dem Cockpit einen Select-Schalter spendiert, mit dessen Hilfe sich wichtige Informationen vom Lenker aus abrufen lassen.

Traktionskontrolle im rechten Handgelenk

Arrangieren muss man sich mit einem LC-Display im Cockpit. Foto: Yamaha

Viel Wert haben die Entwickler aufs Drumherum gelegt. Es gibt ein sehr stabiles, sauber passendes Gepäckträgersystem mit exakt zu fixierenden Alu-Boxen, zudem diverses anderes Zubehör, das lange Reisen in unwirtliche Gegenden dieser Erde angenehmer machen kann. Serienmäßig im Lieferumfang sind lange Wartungsintervalle, gute Zugänglichkeit für kleine Servicetätigkeiten wie beispielsweise das Reinigen des Luftfilters und allerlei mehr, so dass die Yamaha Ténéré 700 ausgesprochen praxistauglich wirkt.

Der Listenpreis beträgt 9.600 Euro – Günstig, aber nicht billig. Denn der Fahrer muss die Traktionskontrolle im rechten Handgelenk haben und das Kurven-ABS im Kopf. Und er muss wissen, wie er gegebenenfalls die mechanischen Federelemente einzustellen hat. Dass es kein spezielles Offroad-ABS mit Blockierkontrolle fürs Vorderrad und ABS-freiem Hinterrad gibt, störte nicht weiter. Die ABS-Abstimmung zeigte sich so praxisgerecht, dass wir offroad nie auf den Gedanken kamen, das System zu deaktivieren, was aber möglich ist. Die Bremsanlage selbst überzeugt voll und ganz.

Es ist ein mutiger Ansatz von Yamaha, die neue Ténéré 700 technisch so reduziert aufzusetzen, wo sich doch die Wettbewerber geradezu mit Hightech-Komponenten überbieten. Der 500-Kilometer-Test zeigte ein weitgehend „rundes“ Ergebnis. Schade nur, dass die volle Verfügbarkeit erst nächstes Frühjahr gegeben sein wird. Schnellstarter können jedoch 300 Euro sparen, wenn sie noch vor dem 31. Juli einen Kaufvertrag unterzeichnen. Nur dann besteht die (theoretische) Chance, noch in diesem Jahr auf eine Ténéré zu steigen. (SP-X)

Vorheriger ArtikelElektroauto Honda e kann reserviert werden
Nächster ArtikelPorsche Cayenne Coupé: Schnittiger Modellathlet
Frank Wald
Nach einem abgeschlossenen Studium der Kulturwissenschaften in Göttingen, Frankfurt und Hamburg volontierte er bei der Hamburger Morgenpost. Danach folgten freiberufliche Engagements u.a. bei Spiegel-Online, Welt am Sonntag, und TV Spielfilm. Seit 1996 berichtet er als freier Journalist über automobile Neuerscheinungen.

Keine Beiträge vorhanden

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein
Bitte geben Sie Ihren Namen ein