Mit dem «Atlas» soll für VW in USA alles besser werden

Neuer Midsize SUV

Mit dem «Atlas» soll für VW in USA alles besser werden
Noch getarnt, der neue Midsize-SUV von VW für die USA. © VW

Es läuft nicht rund für VW in den USA. Das war bereits vor dem Dieselskandal so. es fehlten einfach die richtigen Modelle. Nun steht ein Midsize-SUV in den Startlöchern. Mit ihm soll vieles besser werden.

Mit Bergefahrzeugen kennen sie sich aus in Chattanooga. Nicht umsonst ist die Stadt am Tennessee River die Heimat des weltweit wahrscheinlich einzigen Museums für „Towing & Recovery Vehicles “. Doch der wichtigste Rettungswagen der Stadt parkt nicht in der Broad Street und ist auch nicht von gestern.

Zumindest für Hinrich Woebcken ist das ein Modell von Morgen, das ein paar Meilen weiter im Norden gerade erst das Fahren lernt. Denn Woebcken, der neue US-Chef der Volkswagengruppe, ist heute mal wieder zu Besuch in der Passat-Fabrik am anderen Ende der Stadt und sitzt in einem Prototypen, der für VW nicht wichtiger sein könnte: Kurz vor der Weltpremiere in Los Angeles dreht er die letzte Runden im neuen Midsize-SUV.

Kaum teurer als der Tiguan

Größer als der Touareg und kaum teurer als der Tiguan, zielt der Geländewagen ins Herz des amerikanischen Massenmarktes und wird so zum Hoffnungsträger des vom Dieselgate gebeutelten Konzerns. Er soll nicht nur Platzhirschen wie dem Ford Explorer oder dem Chevrolet Traverse ans Leder und dafür sorgen, dass sie in Chattanooga endlich mal die Jahreskapazität von 250.000 Autos ausschöpfen. Vor allem soll er VW mit guten Nachrichten in die Schlagzeilen bringen und so buchstäblich den verfahrenen US-Karren aus dem Dreck ziehen. Die Aufgabe ist gewaltig, aber das Auto mit dem Projektcode 416 ist es auch.

Denn obwohl „Midsize“ fast noch ziemlich zierlich klingt, ist der Geländewagen ein echter Brocken: 5,03 Meter lang, schon ohne Spiegel knapp zwei Meter breit und zwischen den Achsen beinahe drei Meter Luft – kein anderes Modell aus dem Modularen Querbaukasten erreicht dieses Format, sagt Mattias Erb und stempelt den neuen Tiguan als nächsten europäischen Verwandten in der VW-Familie zum Kleinwagen. Erb leitet das neu eingerichtete Engineering and Planning Center der VW Group in Chattanooga und muss von dort aus Sorge tragen, dass der Rettungswagen aus Chattanooga tatsächlich im Alltag der Soccer Mums und Familienväter ankommt.

Amerikanisches Design

Heinrich Woebcken
Hinrich Woebcken vor dem Midsize-SUV VW

Deshalb hat der Wagen unter den dicken Tarn-Polstern nach den fast schon filigranen Crossblue-Studien der letzten Messen ein bulligeres, sehr viel amerikanischeres Design bekommen. Deshalb wird es erst einmal nur einen 238 PS starken Vierzylinder-Turbo oder einen V6-Sauger mit 3,6 Litern Hubraum und 280 PS aber – wen wundert’s – keinen Diesel geben.

Deshalb hat er den größten Innenraum eines VW-Modells diesseits von Caddy & Co, eine dritte Sitzreihe, die diesen Namen auch verdient und in der zweiten Reihe so große Türausschnitte, dass man ohne große Verrenkungen in den Kofferraum klettern kann. Und deshalb hat VW bei der Ausstattung eine neue Balance aus Preis und Premium gefunden, die einen Einstiegstarif von 30.000 Dollar ermöglichen soll.

Es gibt dann zwar eine große Touchscreen-Navigation mit dem neusten Infotainment-Stand, ein Panorama-Dach und auf Wunsch sogar das frei programmierbare Kombiinstrument aus dem europäischen Passat.

Volumen als oberstes Ziel

Aber es gibt auch manuelle Sitze selbst in der ersten Reihe, es gibt Stoffbezüge und Modellvarianten, die man tatsächlich noch mit dem Schlüssel statt einem Druckknopf startet. „Wenn wir in den USA Volumen machen wollen, müssen wir uns von der Idee verabschieden, dass wir unsere Autos teurer verkaufen können als die anderen Volumenmarken, nur weil wir VW sind“, hat Woebcken in den sechs Monaten seit seinem Amtsantritt gelernt. Und Volumen ist das oberste Ziel für den einstigen BMW-Manager. „Schließlich erhöhen wir mit dem neuen Modell unsere Marktabdeckung von weniger als 40 auf über 60 Prozent“, sagt Woebcken und freundet sich so langsam mit dem Begriff vom „Vollsortimenter“ an.

Wenn man mit Männern wie Woebcken und Erb spricht, dann hört man neue Töne bei VW. Bislang galt auch in Amerika Wolfsburg als Nabel der Welt und die Deutungshoheit bei allen Produktentscheidungen lag in Deutschland. Doch Erb ist überzeugt, dass man Ortskenntnis braucht, wenn man vor Ort erfolgreich sein will: „Wir haben den Amerikanern deshalb sehr genau auf die Finger geschaut.“

Plattformen, Motoren, Getriebe – all das können sie seinetwegen auch in Wolfsburg entwickeln. „Aber man muss wissen, wie die Kunden vor Ort den Wagen einsetzen, muss ihren Alltag erleben, wenn man ihre Bedürfnisse befriedigen will.“ Das beginnt bei der Art, wie die Amerikaner ihr Navigationssystem bedienen und ist bei Details wie der Aufnahmevorrichtung für die Anhängerkupplung noch lange nicht vorbei.

Kleinigkeiten machen den Erfolg aus

Zwar geht es da zum Beispiel oft nur um ein paar Millimeter, räumt der Experte ein. Aber wer bei solchen Kleinigkeiten schlampt, kann ein Milliardenprojekt in den Sand setzen. Denn was nützt den Amerikanern der beste Midsize-Geländewagen, wenn die Freizeit-Cowboys ihre Outdoor-Ausstattung nicht an den Haken nehmen können? So sehr sich VW bei diesem Auto auf die neue Welt konzentriert hat, so sehr sträflich haben die Niedersachsen die alte vernachlässigt. China ist ihnen neben den USA so wichtig, dass sie dort gemeinsam mit ihrem Joint Venture-Partner SAIC eine zweite Variante des Geländewagens mit eigenständigem Design und vor allem einem sehr viel nobleren Interieur bauen.

VW Midsize SUV
Amerikanisches Design, der neue Midsize-SUV von VW VW

Und zumindest die Russen und die Emirati können sich auf den US-Import freuen. Doch für Europa ist der Tiguan-Onkel aus Amerika nicht vorgesehen, sagen Woebcken und Erb. „Zu groß“, lautet die offizielle Begründung. „Zu billig“, wahrscheinlich die ehrliche. Denn nicht nur für den VW Touareg würde die Luft ziemlich dünn, wenn es plötzlich ein größeres Auto zum kleineren Preis gäbe. Auch der neue Skoda Kodiaq könnte das schmerzlich zu spüren bekommen. Aber womöglich hat es ja noch einen ganz anderen Grund, dass der Wagen im Westen bleibt: Vielleicht, so die fromme Hoffnung, kommt der Hoffnungsträger bei den Amerikanern ja auch so gut an, dass Woebcken gar nicht genug Autos produzieren kann, um davon noch ein paar nach Europa zu schicken.

Der Schuss muss sitzen

Männer wie Hinrich Woebcken und Mattias Erb wissen, wie wichtig das Midsize-SUV ist und dass dieser Schuss sitzen muss, wenn VW in den USA wieder auf die Beine kommen soll. Sie haben deshalb nicht nur ein besonders umfangreiches Entwicklungsprogramm gefahren, ihre Prototypen immer und immer wieder durch den Winter, die Wüste oder die endlosen Wälder um Chattanooga gescheucht und bis zur letzten Minute Änderungen vorgenommen.
Sie haben selbst über Nebensächlichkeiten wie den Namen monatelang diskutiert und am Ende mit vielen Traditionen gebrochen. So wird ihr Hoffnungsträger nicht nur zum ersten VW-Modell seit dem Rabbit, das in Amerika eine eigenständige Bezeichnung bekommt.

Er wird auch zum ersten Geländewagen, der nicht wie der VW Tiguan oder Touareg mit T beginnt. Wie genau er heißen soll, will Woebcken zwar noch nicht verraten. Doch verdichten sich die Gerüchte, dass am Ende „Atlas“ auf dem Heckdeckel stehen könnte. Das würde passen. Nicht nur, weil der Name auch den Amerikanern gut über die Lippen geht. Sondern vor allem, weil er an einen Riesen aus der griechischen Mythologie erinnert, der die ganze Last der Welt auf seinen Schultern tragen musste. (SP-X)

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