Weltmarkt am Zuckerhut

Automarkt Brasilien

Rund um den Zuckerhut gehen die Uhren bekanntlich nicht nur im Karneval etwas anders. Während andere Länder wegen der hohen Benzinpreise stöhnen, setzen die Brasilianer durch einen Mix aus Ethanol, Benzin und Erdgas auf Unabhängigkeit.

Von Stefan Grundhoff

Führen Flex-Fuel-Modelle von Ford, Volvo oder Saab in unseren Breiten kaum mehr als ein müdes Schattendasein, so sind in Brasilien über 90 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge FlexFuel-Modelle. So können sie ganz nach Tankstellenlage ein beliebiges Mischungsverhältnis von Benzin und Alkohol zu sich nehmen. Diesel spielt in Südamerika und insbesondere abseits der Nutzfahrzeuge keine Rolle.

Fiat Marktführer

Das Gros des brasilianischen Marktes teilt sich zwischen den drei Marken Fiat, VW und GM auf. Die Nummer eins im Land von Copacabana, tropischem Regenwald und knappen Bikinis ist Fiat. Der norditalienische Hersteller gilt in Brasilien mit einem Marktanteil von knapp 26 Prozent seit Jahren als große Nummer. Modelle wie die Stufenhecklimousine Siena, der kompakte Bruder Palio oder der Kompakt-Pick-Up Strada mit einem Segmentanteil von 52 Prozent drücken dem Straßenbild ebenso ihren Stempel auf wie Volkswagen mit dem Kleinwagen-Doppel Gol und Fox oder dem alte VW-Transporter T2. Der rundliche charmante Bully wird in den Brasilien bis heute weiterproduziert und gilt gemeinhin als günstiger und beliebtester Lastesel. Volkswagen glänzt dank lokaler Produktionen im grünen Land des Rekordweltmeisters mit einem Marktanteil von 22,3 Prozent; knapp gefolgt von General Motors mit rund 21 Prozent.

Im Vergleich zu vielen anderen Industrieländern ist Brasilien weit weniger von der Erdölindustrie abhängig. Seit den 70er Jahren wird in großen Mengen Zuckerrohr angebaut. Besonders in der Region von Sao Paulo befinden sich einige der weltweit größten Zuckerrohrplantagen. «Ein Prozent der brasilianischen Landesfläche werden derzeit mit Zuckerrohr bepflanzt. Das sind rund 3,4 Millionen Hektar», so Marcos S. Jank, Präsident der brasilianischen Zuckerrohrindustrie UNICA, «diese Fläche reicht aktuell aus, um den Ölanteil in Kraftstoffen um fast die Hälfte zu reduzieren.»

Tropischer Regenwald weit entfernt

Der T2 ist in Brasilien noch ein Renner Foto: press-inform

Die Kritik, dass der Anbau von Energiepflanzen wie Zuckerrohr, die Lebensmittelpreise erhöhe und den Regenwald gefährde, weist Jank vehement zurück: «Die Anbauflächen befinden sich fast ausschließlich im Staat Sao Paulo. Der tropische Regenwald ist zwischen 2.000 und 2.500 Kilometer in Richtung Norden entfernt. Hier würden die Zuckerrohrpflanzen überhaupt nicht wachsen. Es kann keine Rede davon sein, dass es in Brasilien einen Kampf Nahrung gegen Kraftstoff gibt.» Umweltexperten sehen das anders, sie sprechen von Monokulturen, kritisieren die fehlende Nachhaltigkeit.

Von Mitte der 70er bis Ende der 80er Jahre gab es in Brasilien fast nur Ethanolfahrzeuge. In Zeiten hoher Ölpreise steht der Saft des Zuckerrohrs nach einem Abschwung in den 90er Jahren wieder ganz oben. Über 90er Prozent der Neufahrzeuge fahren im Land von Ronaldo und Pele nach dem Flexfuel-Prinzip. Die Triebwerke vertragen ein beliebiges Mischungsverhältnis von Benzin und dem deutlich günstigeren Ethanol. Während ein Liter Benzin in Brasilien umgerechnet gut einen Euro kostet, liegt der Literpreis des Ethanols gerade einmal bei der Hälfte.

Umkämpfter Markt

Ethanol-Tankstelle in Brasilien Foto: press-inform

Brasilien setzt nicht nur auf Zuckerrohr, rhythmische Klänge und freut sich über die jüngste Entdeckung eines neuen Erdölfeldes vor der eigenen Küste, sondern ist der wichtigste Automobilstandort in Südamerika. Zahlreiche Firmen lassen ihre Fahrzeuge für die lokalen Märkte zwischen Rio des Janeiro, Sao Paulo und Recife produzieren; einige importieren die Modelle aus Brasilien in die ganze Welt. So befindet sich das weltweit größte Werk des Marktführers Fiat nicht in seinem Heimatland Italien, sondern in Belo Horizonte. Pro Jahr laufen 800.000 Fahrzeuge vom Band; dazu kommen mehr als eine Million Motoren.

Doch auch Honda, GM, Volkswagen, Mercedes oder Renault stellen seit Jahren überaus erfolgreich Fahrzeuge «made in Brasil» her. Ebenso umkämpft wie der PKW-Markt ist dabei das Lastwagensegment, in dem VW und Mercedes fest die Hosen anhaben. Auch die Zulieferbetriebe haben rund um die Autofabriken längst Entwicklungszentren und Produktionsstätten in Brasilien platziert. Magneti Marelli, Bosch oder VDO sind da keine Ausnahme.

Lokale Fertigung unerlässlich

Zuckerrohr-Abbau Foto: press-inform

Mercedes-Benz als bedeutendster Luxushersteller unterhält zum Beispiel Produktionswerke für Pkw und Nutzfahrzeuge in Sao Bernardo do Brasil und Juiz de Fora, wo seit Februar auch das neue Sportcoupé vom Band läuft. Bereits seit April 2007 fertigte das Werk das C-Klasse Sportcoupé und ist seitdem einziger Produktionsstandort. Bis Januar 2007 produzierte das Werk im Bundesstaat Minas Gerais die C-Klasse für den nordamerikanischen Markt, zuvor wurde von 1999-2005 die A-Klasse gefertigt.

Die Zahl der Neuzulassungen steigt in Brasilien seit Jahren deutlich an. Waren es 2006 noch knapp zwei Millionen Fahrzeuge, so erwartet man kurzfristig bereits 2,5 Millionen Zulassungen. Spätestens im Jahre 2015 will man die Drei-Millionen-Marke durchbrochen haben. Ebenso wie auf den anderen Boommärkten in China oder Indien zeigt auch Brasilien, dass eine lokale Fertigung für einen Markterfolg unumgänglich ist.

Drittstärkster Weltmarkt

Fiat ist die Nummer eins in Brasilien Foto: Fiat

Traditionell ist der GM-Konzern in Südamerika und speziell Brasilien stark vertreten. Im vergangenen Jahr verkaufte der US-Hersteller unter dem Chevrolet-Label fast 500.000 Fahrzeuge; ein Anstieg um über 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. So wurde Brasilien der drittstärkste Weltmarkt hinter den USA und China. «97 Prozent unserer Fahrzeuge verkaufen wir in Brasilien als FlexPower-Modelle», so GM-Sprecher Christoph Birringer, «seit 80 Jahren ist GM auf dem Markt vertreten.» Zwischen 2003 und 2008 wurden seit der Einführung der FlexFuel-Technik in Brasilien markenübergreifend mehr als 5,3 Millionen solcher Fahrzeuge zugelassen.

Hinter den drei großen Marken Fiat, Volkswagen und Chevrolet spielen japanische und französische Marken ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Stufenheckversionen von Peugeot 307 und Citroen C4 werden in Europa gar nicht angeboten. In Brasilien sind sie ebenso wie in China in den Verkaufsräumen. Während der europäische Markt auf das neue Sparmobil Dacia Sandero noch wartet, ist dieser auf dem brasilianischen Markt bereits als Renault Sandero auf dem Markt. Produziert wird die günstige Alternative zum Renault Clio Stufenheck seit Ende 2007 im brasilianischen Werk in Curitiba. Fast 90 Prozent der Teile kommen aus lokalen Zulieferbetrieben. Seit knapp einem Jahr wird auch der Logan in Brasilien angeboten. Ingesamt verkauften die Franzosen über die 1997 gegründete Importfirma Renault do Brasil Automoveis mehr als 57.000 Fahrzeuge.

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