Michelin setzt auf Zweitprofil

Ein Profil unter dem Profil soll bei Michelin-Reifen für höhere Laufleistungen sorgen. Der Hersteller glaubt an einen Quantensprung – aber erst in einigen Jahren soll das Design für Pkw verfügbar sein.

Von Hans-Hermann Nikolei

Schon bei Tempo 22 bricht der Sattelschlepper hinten aus und der Aufleger rutscht gefährlich an die Zugmaschine heran. «Klappmesser-Effekt», sagt Testfahrer Jean-François Belhomme dazu. «Die Reifen sind schon 150 000 Kilometer gelaufen und zu zwei Dritteln abgefahren. Sie greifen nicht mehr richtig.» Dann bringt er gelassen den 20-Tonner in eine stabile Bahn.

«Sprung wie beim Gürtelreifen»

Eine halbe Stunde später dreht Belhomme mit demselben Sattelzug auf derselben Teststrecke mit Tempo 32 seine Runde, ohne dass die Zugmaschine ausbricht. Dabei haben die Reifen diesmal sogar noch mehr runter - schon fast 200 000 Kilometer runter. Sie sind ebenfalls zu zwei Dritteln abgefahren, doch sie greifen deutlich besser, denn ein tropfenförmiger Kanal hat sich in der Lauffläche des Reifens geöffnet und ein neues Profil geschaffen.

«Das ist ein Sprung wie beim Gürtelreifen, auf den wir 1946 bis 1966 Patentschutz hatten», erklärt der Chef der Nutzfahrzeugsparte von Michelin, Pete Selleck. «Diese Technik soll uns die nächsten 25 bis 30 Jahre die Marktführung sichern.» Bis sie auch für Pkw zur Verfügung steht, dürfte es aber noch Jahre dauern. Denn Michelin glaubt, mit dem neuen Konzept zunächst bei denen punkten zu können, die mit ihren Reifen Geld verdienen: «Das kostet viel Geld und Privatleute haben bei Reifen nicht so klare Vorstellungen von Abnutzung, Mehrverbrauch und Lebensdauer wie Fuhrunternehmer.» Die hohen Kosten der Produktionsumstellung hätten aber auch einen Vorteil. «Sie schützen uns vor der Konkurrenz», sagte Selleck.

Martführerschaft ging verloren

Außerdem spürt man in Frankreich den Druck der Konkurrenz: 2006 dürfte Michelin nach Analystenschätzungen seine jahrelange Weltmarktführung an die japanische Bridgestone verloren haben. Der Marktanteil dürfte von 20,1 auf 19,4 Prozent gefallen sein. Der Konzern ist in 170 Staaten tätig und hat Werke in 19 Staaten. Im Lkw-Bereich habe Michelin bei der Erstbereifung 31 Prozent Anteil, sagt Selleck. Bei Ersatzreifen seien es 17 Prozent. «Für die nächsten Jahre planen wir bei sinkenden Kosten 3,5 Prozent Wachstum, also 0,5 Prozentpunkte mehr als der Markt.»

Bis 2011 wollen die Franzosen 400 Millionen Euro in die Umstellung der Fertigung auf die neuen Reifentypen stecken. Dann sollen vier Millionen «durable technology»-Reifen jährlich die Hallen verlassen, ein Fünftel bis ein Viertel der Gesamtproduktion. «Wir investieren in Homburg, Tours und in drei Werken in Spanien, den USA und Kanada», sagt Selleck. Neben dem ersten Produkt XDN 2GRIP sollen 2007 sechs weitere Reifentypen mit den neuen Technologien auf den Markt kommen.

Stahlseil soll Laufleistung erhöhen

Die Investitionen will Michelin zu Rationalisierungen nutzen. Die Produktivität solle in vier Jahren um 30 Prozent gesteigert werden, sagt ein Gewerkschafter. Das werde nicht ohne Werksverlagerungen und Stellenabbau gehen.

Selleck spricht lieber von der Produktentwicklung. 3,7 Prozent des Umsatzes von 16 Milliarden Euro steckt Michelin in die Forschung. Mehr als jeder Konkurrent, sagt Selleck. Neben der Profilerneuerung setzt Michelin auch auf eine neue Reifenarchitektur. So kommt bei der «Infinicoil»-Technik ein 400 Meter langes elastisches Stahlseil zum Einsatz, das «endlos» unter der Lauffläche gewickelt ist. Michelin verspricht eine bis zu 50 Prozent höhere Laufleistung und 400 Kilogramm höhere Tragfähigkeit.

In der Umsatz- und Ertragsrechnung von Michelin dürften sich die neuen Techniken progressiv in den kommenden Jahren niederschlagen. 2005 hatte Michelin bei 16 Milliarden Euro Umsatz 889 Millionen Euro verdient. 2006 dürfte schlechter ausgefallen sein: Bereits im ersten Halbjahr drückten hohe Rohstoffkosten den Gewinn um 28 Prozent auf 276,9 Millionen Euro. (dpa)

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