«BMW kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen»

Interview mit Hendrik von Kuenheim und Thomas Weber

Die Finanzkrise hat auch bei den Motorradherstellern zu drastischen Absatzeinbußen geführt. Im Interview mit der Autogazette sprechen BMW-Motorradboss Hendrik von Kuenheim und sein Finanzchef Thomas Weber über Schwierigkeiten der Branche und neue Modelle.

BMW-Motorradchef Hendrik von Kuenheim fordert die Banken angesichts der Finanzkrise auf, die Realwirtschaft mit Kapital zu versorgen. «Es geht darum, den Kleinst- und Mittelstand - also dem Wirtschaftsmotor der Bundesrepublik Deutschland - ausreichend Fremdkapital zur Verfügung zu stellen», sagte von Kuenheim im Interview mit der Autogazette.

Lieferanten betroffen

«Nicht nur die Handelsorganisation leidet unter der Krise, sondern auch die Lieferanten», sagte Thomas Weber, Leiter Finanzen bei BMW-Motorrad. Neben ihrer Tätigkeit bei BMW steht von Kuenheim dem Weltverband der Motorradhersteller IMMA vor, Weber ist Vizepräsident des Verbandes der europäischen Motorradhersteller ACEM.

«Alle Industriezweige drastisch betroffen»

Autogazette: Neben der Auto- steckt auch die Motorradindustrie in einer Krise. Doch das scheint niemand wahrzunehmen. Ist die Branche zu unwichtig?

Hendrik von Kuenheim: Das nicht, aber wir sind ein Nischenanbieter. Von den Entwicklungen der vergangenen Wochen sind alle Industriezweige in drastischer Weise betroffen, also auch die Motorradbranche. Als Krise würde ich das aber nicht bezeichnen. Bei der Betrachtung der europäischen Märkte muss man zudem differenzieren. So entwickelt sich der französische Markt beispielsweise recht positiv, der spanische leidet unter erheblichen Einbußen.

Autogazette: Wie erklären sich diese Unterschiede?

Kuenheim: Mit Schuld daran ist die Steuergesetzgebung in Spanien für so genannte Power Two Wheelers. Sie ist nicht sehr koordiniert und ruft dadurch eine Verunsicherung bei den Kunden hervor. Im Gegensatz zu Spanien beunruhigt mich der deutsche Markt aber vielmehr, denn hier erleben wir seit zehn Jahren einen anhaltenden Abwärtstrend bei den Verkäufen.

«Dieser Marktrückgang ist enorm»

Autogazette: Herr von Kuenheim mag trotz eines Absatzrückganges von rund 20 Prozent im Oktober nicht von einer Krise sprechen. Sehen Sie das auch so schönmalerisch?

Thomas Weber: Dieser Rückgang wird zu Anpassungen und Umstrukturierungen in der Branche führen. Dieser Marktrückgang ist enorm. Zum Glück gehen die Absatzzahlen in den südlichen Ländern nicht so herunter wie sich das vermuten ließe. Deshalb müssen wir abwarten, wie sich das erste Quartal 2009 entwickelt, also das Frühjahrsgeschäft. Erst danach werden wir sehen, ob es ein nachhaltiger Effekt ist.

Autogazette: Aber Sie können doch nicht davon ausgehen, dass es eine nachhaltige Verbesserung gibt?

Weber: Nein, das nicht. Aber wir können die Lage abschließend noch nicht mit allen ihren Auswirkungen beurteilen. Dafür müssen wir zunächst sehen, wie sich der Kunde im für uns so wichtigen Frühjahrsgeschäft verhält.

«Zweiräder sind per se verbrauchsgünstig»

Autogazette: Die europäischen Autohersteller haben ein 40 Milliarden Euro großes Hilfspaket von der EU gefordert. Erwarten auch Sie finanzielle Hilfen der Politik?

Weber: Wir wollen keinen Subventionswettlauf zwischen Europa und den USA. Aber die Fahrzeugbranche muss sich natürlich die Frage stellen, welche Hilfen sie benötigt: Denn nicht nur die Handelsorganisation leidet unter der Krise, sondern auch die Lieferanten. Es bedarf nun einer eingehenden Analyse, wo in dieser Prozesskette Hilfe notwendig ist.

Kuenheim: Es ist die Aufgabe der Banken, die Realwirtschaft mit Kapital zu versorgen. Wir sind weiterhin in der Lage, uns zu refinanzieren - wenn auch zu ungünstigeren Konditionen. Es geht aber darum, den Kleinst- und Mittelstand - also dem Wirtschaftsmotor der Bundesrepublik Deutschland - ausreichend Fremdkapital zur Verfügung zu stellen. Selbst namhafte Unternehmen mit einer hundertjährigen Geschichte stehen davor, aus Mangel an Liquidität ihre Tür zuzumachen.

Autogazette: Derzeit spricht alle Welt vom Klimawandel. Welche Antwort hat die Zweiradindustrie auf diese Herausforderung?

Weber: Zweiräder sind per se verbrauchsgünstig und sind gemessen am Gesamt-CO2-Ausstoß praktisch ohne Relevanz für das Klima. Darüber hinaus wollen wir 2012 die Abgasnorm EU4 für Motorräder erfüllen, 2015 schon die EU5. Dies ist ein klares Indiz, dass wir uns den Umweltherausforderungen stellen. Zweiräder können auch in Zukunft einen entscheidenden Beitrag zu nachhaltiger städtischer Mobilität liefern.

«Wir haben nichts verschlafen»

Die Elektro-Enduro von KTM Foto: KTM

Autogazette: Wenn Sie sich die Konkurrenz anschauen, dann sehen Sie beispielsweise ein Hybrid-Motorrad von Yamaha oder ein Elektro-Bike von KTM. BMW hat so etwas nicht. Warum haben Sie das Thema verschlafen?

Kuenheim: Wir haben hier nichts verschlafen. Die Produkte, von denen Sie sprechen, sind noch Entwicklungsprojekte, die der Kunde noch nicht kaufen kann.

Autogazette: Aber wo sind Ihre Visionen?

Kuenheim: Die BMW Group hat gerade auf der Autoshow in Los Angeles den Elektro-Mini vorgestellt, den 500 Personen in den USA leasen können. Wir reden also nicht nur, wir handeln. BMW ist in der Elektromobilität führend. Gehen Sie davon aus, dass das Know How der BMW Group auch BMW Motorrad zur Verfügung steht.

Autogazette: Sie arbeiten also an einem Elektro-Roller?

Kuenheim: Nur weil wir so etwas noch nicht im Angebot haben, heißt das ja nicht, dass wir nicht daran arbeiten. Aber wir sind ein Erwerbsunternehmen: Wir bauen kein Produkt für Idealisten, sondern müssen Produkte auf den Markt bringen, mit denen wir genügend Absatz generieren können. In Städten wie Rom, Mailand oder Barcelona haben sie Tausende Zweiräder im Einsatz. Stellen Sie sich vor, was heute passieren würde, wenn das alles Elektrobikes wären. Wo würden die geladen? Erst muss eine Infrastruktur dafür vorhanden sein.

Autogazette: Die existiert bereits in London und entsprechende Ladestationen werden 2009 in Berlin geschaffen, wo neben 50 Elektro-Minis auch 100 Elektro-Smarts zum Einsatz kommen. Es wäre also ein geeignetes Projekt für die BMW Motorradsparte gewesen, sich hier anzuschließen.

Kuenheim: Ich werde Ihren Vorschlag wohlwollend aufnehmen, vielleicht überraschen wir Sie ja.

Autogazette: Überraschen Sie mich schon jetzt und sagen mir, wann mit einem Elektroroller von BMW zu rechnen ist?

Kuenheim: Ich muss Sie enttäuschen. Dazu kann ich Ihnen heute noch keine verbindliche Auskunft geben.

Autogazette: Herr Weber, ist in 2009 in dieser Richtung etwas zu erwarten?

Weber: Ein Haus wie BMW ist für seine Innovationskraft bekannt, natürlich treffen wir hierfür unsere Vorkehrungen. Doch wir haben in der Vergangenheit Erfahrung mit einem Produkt gemacht, das nicht dem damaligen Kundenwunsch oder den seinerzeitigen Marktbedürfnissen entsprach. Ich meine den C1. Deshalb machen wir uns genaue Gedanken über die Mobilitätsbedürfnisse der Kunden in der Zukunft, bevor wir übereilt ein neuartiges Produkt auf den Markt bringen.

Kuenheim: Damit keine falschen Interpretationen entstehen: In den Jahren 2009 oder 2010 wird es von BMW keinen Elektro-Roller oder ein Elektro-Motorrad in Serie geben.

«Entwickeln C1 in Ruhe weiter»

BMW C1 Foto: BMW

Autogazette: Wenn es schon keinen Elektro-Roller gibt, wann gibt es denn den Nachfolger des C1? An ihm arbeiten Sie ja, wie Sie unlängst bereits sagten.

Kuenheim: Wir entwickeln dieses Konzept in Ruhe weiter. Wir haben derzeit andere Prioritäten, die wir der Reihe nach abarbeiten.

Autogazette: Sie werden Ihr erstes Jahr als BMW-Motorradchef voraussichtlich mit einem Minus beenden. Eine für Sie ernüchternde Bilanz?

Kuenheim: Sie dürfen sich nicht nur das Geschäft in Deutschland anschauen: Wir machen mehr als 80 Prozent unseres Absatzes im Ausland. Dieses Jahr werden wir mit einem sehr kleinen Minus von rund eins bis zweieinhalb Prozent abschließen, also fast gleichauf zum Vorjahresrekord. Per November lagen wir nur 1400 Einheiten hinter dem Vorjahr zurück. In einem solch schwierigen Marktumfeld ist das ein ganz hervorragendes Ergebnis. In den USA, also dort, wo sonst nur die schlechten Nachrichten herkommen, ist unser Geschäft seit Monaten sogar im zweistelligen Bereich gewachsen. Dort sind wir richtig gut unterwegs.

Autogazette: Der Scooter-Bereich wird in der Branche als der Wachstumsmarkt gesehen. Aber auch hier ist BMW nicht vertreten...

Kuenheim:...BMW kann nicht auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Wir können mit unserer Positionierung auch nicht alle Märkte erschließen. Aber auch bei den Rollern gibt es ein Premiumsegment, das wir ganz genau beobachten und daraus unsere Schlüsse ziehen. Diesen Bereich könnten wir entweder über die Marke Husqvarna oder über die Marke BMW bedienen.

«China und Indien langfristig interessant»

BMW S 1000 RR Foto: BMW

Autogazette: Wann wird man einen Premiumroller von BMW sehen.

Kuenheim: Auch dazu erhalten Sie heute noch keine Aussage. Es ist unsere Pflicht daran zu arbeiten, neue, ertragreiche Märkte und Segmente zu erschließen. Daran werden wir vom Vorstand gemessen.

Autogazette: Wie wichtig sind die Wachstumsmärkte China oder Indien für die Zweiradindustrie?

Weber: Sie sind für uns langfristig sehr interessant, weil sich auch dort ein Markt für Motorräder entwickeln kann, wie wir sie anbieten. Heute beherrschen die kleinvolumigen Zweiräder mit 50 ccm den Markt, dieses Segment bedienen wir nicht.

Autogazette: Nicht nur neue Märkte sind wichtig, auch neue Zielgruppen. Wie wollen Sie jüngere Leute zum Motorradfahren bringen? Das Durchschnittsalter liegt derzeit bei 40.

Kuenheim: Wir tun das ganz konsequent. Wir führen im Jahr 2009 unser Superbike ein, die S 1000 RR. Sie spricht eine Zielgruppe an, in der der Kunde rund zehn Jahre jünger ist als der typische BMW-Fahrer. Wir steigen erstmals in dieses hart umkämpfte Segment ein und werden mit der S 1000 RR ein sehr wettbewerbsfähiges Fahrzeug bringen.

Autogazette: Wie schaut es mit einem bezahlbaren Einsteigerbike aus?

Kuenheim: Wir werden wie bisher auch in den kommenden Jahren mit einem erschwinglichen Einzylinder-Angebot vertreten sein. Vergessen Sie bitte nicht: Wir verfügen neben BMW auch noch über die Marke Husqvarna, dem ältesten noch produzierenden Hersteller der Welt. Dort bieten wir bereits Motorräder ab 125 ccm bis 650 an. Wir werden dieses Angebot vielleicht noch nach unten oder nach oben ausbauen.

«Verhehle nicht meine Enttäuschung»

Autogazette: BMW musste sich bei der Auftragsvergabe für 35 Motorräder für die Berliner Polizei dem Mitbewerber Moto Guzzi geschlagen geben. Wie zu hören ist, machen sich nun auch andere Länder Gedanken, umzusteigen.

Kuenheim: So etwas ist nicht auszuschließen. Deshalb ist die Entscheidung für uns auch so enttäuschend. Diese Entscheidung könnte einen Effekt nach sich ziehen, der uns weitaus mehr trifft, als den Auftrag für 35 Maschinen nicht bekommen zu haben.

Autogazette: Sie sagten uns vor kurzem, dass Sie am Standort Berlin festhalten werden. Bleibt es trotz dieser Verärgerung dabei?

Kuenheim: Natürlich, doch ich verhehle nicht meine Enttäuschung über diese Entscheidung. Wir beschäftigen in unserem Werk in Berlin-Spandau 2000 Mitarbeiter, damit sind wir einer der wichtigen Arbeitgeber in der Stadt und es sollte einem auch manchmal gezeigt werden, dass man geschätzt wird.

Das Interview mit Hendrik von Kuenheim und Thomas Weber führte Frank Mertens

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