Umweltzonen in der Kritik

Umweltexperten sehen kaum Alternativen

Trotz 54 Umweltzonen in Deutschland wurden im vergangenen Jahr die Grenzwerte für Feinstaub häufig überschritten. Kritiker fordern die Abschaffung «wegen erwiesener Wirkungslosigkeit».

Von Georg Ismar

Geht es nach dem Feinstaub-Experten Hans-Joachim Hummel, ist das Wetter schuld. Trotz inzwischen 54 Umweltzonen in Deutschland wurden 2011 die Grenzwerte für Feinstaubwerte vielerorts deutlich überschritten. Ein wesentlicher Grund sei, «dass es viele Inversionswetterlagen gab», sagt Hummel, der Leiter des Fachgebiets für Luftreinhaltung im Umweltbundesamt (UBA) ist. «Das muss man sich wie einen Kochtopf vorstellen, auf dem ein Deckel ist», erläutert Hummel. «Wenn unten weiter viel Auto gefahren wird und die Heizungen laufen, sammeln sich dort die Schadstoffe.»

Neue Werte verschärfen Debatte

Am Montag vorgestellte Zahlen des UBA zeigen, dass beim Feinstaub, der die Atemwege schädigen kann, im vergangenen Jahr 42 Prozent der verkehrsnahen Messstationen über dem zulässigen Grenzwert lagen. Dieser erlaubt nur 35 Tage pro Jahr mit über 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft. Beim Stickstoffdioxid lagen 57 Prozent der Stationen in Städten über den erlaubten Grenzwerten. Damit waren die Belastungen sogar noch höher als in den Jahren 2007 bis 2010.

Über Sinn und Unsinn von Umweltzonen, in die nur schadstoffarme Autos einfahren dürfen, wird gerne gestritten - die neuen Werte verschärfen die Debatte. Der Automobilclub von Deutschland (AvD) fordert die Abschaffung «wegen erwiesener Wirkungslosigkeit». «Es sind eher meteorologische Einflüsse wie Jahreszeit, Wind und Sonnenstand, die für höhere oder niedrigere Feinstaubkonzentrationen sorgen», heißt es hier.

Ruhrgebiet größte Umweltzone

Der ADAC-Vizepräsident für Verkehr, Ulrich Klaus Becker, betont, Autos hätten nur einen Anteil von neun Prozent an der Feinstaubbelastung. Umweltzonen hätten den Kommunen lediglich «einen monströsen Verwaltungsaufwand beschert und vielen Autofahrern existenzielle Nachteile gebracht». Der Nutzen sei quasi gleich Null.

UBA-Präsident Jochen Flasbarth betont hingegen: «Umweltzonen sind ein geeignetes Mittel.» Mit Einführung der modernsten Abgas-Norm (EURO 6) und immer mehr schadstoffarmen Autos werde die Situation in Zukunft verbessert. Ob die Zonen wirklich zu wenig bringen, dürfte auch das laufende Jahr zeigen. Denn im Januar wurde das Ruhrgebiet zur größten Umweltzone Deutschlands. Auf rund 850 Quadratkilometern zwischen Duisburg und Dortmund dürfen nur noch Autos mit mindestens der roten Feinstaub-Plakette fahren. Die Autobahnen sind aber ausgenommen.

Umweltexperten sehen kaum Alternativen

Umweltexperten sehen zu Umweltzonen kaum Alternativen. Denn vonseiten der EU läuft bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, die EU-Kommission fordert konkrete Vorschläge, was für eine bessere Luftqualität getan werden kann. Umweltzonen als Mittel dafür werden anerkannt. Bisher seien alle Klagen gegen Umweltzonen in Deutschland gescheitert, wird zudem beim UBA betont. Gerichte bewerteten sie als verhältnismäßig.

In einem Fall hätten Bürger in erster Instanz sogar die Einrichtung einer Zone erwirkt. «Luft ist das Lebensmittel, was wir am dringendsten brauchen. Wir müssen die Bürger in den belasteten Innenstädten schützen, die sie einatmen», betont UBA-Fachmann Hummel. «Eine bessere Chance zur Reduktion von Feinstaub gibt es definitiv mit statt ohne Umweltzonen.»

Fehlende Kontrollen der Umweltzonen

Vielleicht liegt die - zumindest von den Zahlen her zweifelhafte - Bilanz auch an fehlenden Kontrollen. Nur in Berlin und Hannover wurde 2011 nach einer Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) streng kontrolliert, ob alle Autos, die in der Umweltzone unterwegs sind, dies auch dürfen. Wer ohne korrekte Plakette fährt, muss mit 40 Euro Geldbuße und einem Punkt in Flensburg rechnen. Die DUH rät Anwohnern stark befahrener Straßen, die Kommunen zu verklagen, wenn sie nicht kontrollieren. Das Bundesumweltministerium betont mit Blick auf strenge Kontrollen in Berlin: Diese Zone habe zu 58 Prozent weniger Ruß- und zu 20 Prozent weniger Stickstoff-Emissionen geführt.

Das UBA verweist zudem darauf, dass Feinstaub zu rund 50 Prozent nicht aus dem Verkehrssektor stamme, sondern aus Heizungen, Kraftwerken und Industrieanlagen. Neue gesetzliche Forderungen in der Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung sollen auch bei Heizungen strengere Standards durchsetzen. «Ebenso müssen industrielle Anlagen anspruchsvolle Grenzwerte erfüllen», erläutert Hummel und betont: «Es ist nicht nur der Autofahrer, der sein Scherflein zu einer Reduzierung der Belastungen beitragen muss.» (dpa)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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