Toyota geht ins Netz

Elektromobilität

Toyota geht ins Netz
Windstromgefütterte Ladesäule für den Prius Plugin © Foto: Toyota

Das intelligente Stromnetz mit eingebettetem E-Auto zählt zu den Zukunftsvisionen des sich abzeichnenden Elektroauto-Zeitalters. Toyota mit ersten Praxistests ausgerechnet am japanischen Atomstandort Rokkasho begonnen.

Von Martin Woldt

Noch immer ist der Alptraum nicht vorbei, sind die Konsequenzen nicht abzusehen. Aber dass sich Japan infolge der Katastrophe verändern wird, scheint unausweichlich. Für die Zeit danach könnte die japanische Autoindustrie eine wichtige, wenngleich schwer zu gewichtende Rolle spielen. Denn ähnlich wie die deutschen Autobauer ist sie mit einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel konfrontiert, der sie nicht erst jetzt auf neue Wege zwingt.
Eine der daraus abgeleiteten Hoffnungen trägt den Namen "Toyota-Village". Ein Ort, der eigentlich Rokkashu heißt. Er liegt ganz im Norden der Hauptinsel Honshu in der Präfektur Aomori. Die Gegend zählt zu Japans windreichsten Landschaften mit den meisten Windrädern.

Verglichen mit Deutschland spielen sie aber noch eine bescheidene Rolle bei der Stromversorgung des Landes. Ort und Gegend hat sich Toyota vor Wochen ausgesucht, um wohl als erster Autobauer der Welt ein sogenanntes Smart Grid auszuprobieren. "Das Projekt hat einen besonderen Stellenwert, weil es unter realen Bedingungen stattfindet", sagt Dirk Breuer, Technik-Experte von Toyota-Deutschland. Toyota wolle ergründen, ob die aus regenerativen Quellen erzeugte Energie ausreicht, um damit mehr als den mobilen Alltag zu bestreiten. Und wie man CO2-freien Strom bereitstellen müsse, damit er den Alltagserfordernissen genügt.

Intelligente Stromnetze

Smart Grinds sind moderne Stromnetze, die nicht nur für den Transport von Energie sorgen, sondern die damit verbundenen erheblichen Transportverluste verringern bis vermeiden sollen. Das tun sie computergesteuert, indem sie den aktuellen Strombedarf der Verbraucher ermitteln und diese Informationen mit dem Erzeuger austauschen. Er kann sich so ziemlich genau darauf einstellen. Toyota hat zu diesem Zweck in Rokkashu ein eigenes unabhängiges Stromnetz errichtet.

Der ausschließlich von den Windrädern erzeugt Strom wird über eine acht kilometerlange Freileitung zu sechs daran angeschlossenen Häusern geleitet. Informationen über Bedarf und erzeugte Strommenge werden parallel über ein Glasfaserkabel hin und her ausgetauscht. Zu jedem der Häuser gehört ein Prius Plugin im Alltagseinsatz, der über eine Ladestation unter einem Carport an das System angeschlossen ist.

Zweiseitiger Nutzen

Versuchshäuser im japanischen Rokkasho Foto: Toyota

Die Autos spielen in diesem Konzept mehr als nur die passive Rolle des Stromverbrauchers. Ihre Fahrzeugbatterien auf Lithium-Ionen-Basis dienen auch als Zwischenspeicher von überschüssiger Windenergie, die bekanntlich nicht gleichmäßig erzeugt werden kann. Das heißt, die Akkus können auch Strom über das Netz liefern, falls die Standzeiten das gerade erlauben. "Wenn ich so einer Batterie neben der Versorgung des Antriebs eine zweite Aufgabe geben kann, wirkt sich das natürlich auch auf ihre Kosten aus", sagt Breuer. Das könnte bedeuten, dass der Fahrzeughalter nicht nur an den Stromversorger zahlt, sondern umgekehrt auch von ihm bezahlt wird. Dann nämlich, wenn überschüssiger Strom im Netz nirgendwo anders abgesetzt werden kann.

Oder Strom entnommen wird, weil anderswo Bedarf existiert, für den die aktuelle Windleistung gerade nicht ausreicht. Das Auto und seine Batterie werden so Teil des Lastenausgleichs im Netz. Völlig unterschiedliche Systeme werden in nie dagewesener Weise vernetzt. Wegen der komplexen Steuerung sind mit Panasonic, Hitachi und Japan Wind Development deshalb noch andere Projektpartner einbezogen.

Im Schatten der Atomanlagen

Sonnenpanele auf dem Dach der Ladestation Foto Toyota

Für Japan im Licht er jüngsten Erfahrungen von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass das in den Rokkasho-Häusern installierte Energiesystem auch funktioniert, wenn die Stromversorgung über Stunden ausfallen sollte. Neben der Fahrzeugbatterie in den Prius-Autos ist in den Häusern jeweils noch ein zusätzlicher Akku installiert. Darüber hinaus besitzt jedes Haus auf dem Dach eine Solaranlage, die weiteren Strom erzeugt. Damit beheizt sie unter anderem einen gut isolierten Warmwasserspeicher, der Ausfälle kompensieren kann. Wie lange ein Haushalt auf diese Weise autonom bleibt, kann auch Dirk Breuer angesichts der erst für 2012 geplanten Auswertung des Projekts nur mutmaßen. Er schätze aber, dass das einen Tag lang möglich sein wird. Ganz entscheidend dafür dürfte sein, wie das von Toyota entwickelte Smart Center System (TSC) funktioniert.

Es ist das Herz des Ganzen. TSC regelt in jedem Haus die Vernetzung aller beteiligten Verbraucher und Speicher und berücksichtigt Verbrauchsmuster wie Ladezustände. Darüber eröffnet der Autobauer damit einen interessanten Ausblick auf Kompetenzen, die weit über sein jetziges Spielfeld hinausreichen und andeuten, dass es nicht damit getan ist, klimafreundliche Autos zu bauen. Gut vorstellbar, dass die Rokkasho-Ergebnisse ein besonderes Gewicht erlangen, wenn nach der aktuellen Katastrophe Japans Atomabhängigkeit auf den Prüfstand kommt. Als Provokation für eine solche Debatte hätte Rokkasho allerdings auch schon vor Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall getaugt. Denn der Ort birgt nicht nur Toyotas Zukunftsvisionen. Mehr noch als Windräder, Smart-Häuser und Plug-in-Hybride werden Gegend und Ort derzeit von Japans atomarer Wiederaufbereitungsanlage geprägt.

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