Weltmacht jenseits des Äquators

Automarkt Südamerika

Weltmacht jenseits des Äquators
Der Fiat Strada ist in Brasilien sehr beliebt © Foto: press-inform

Südamerika wird als Automarkt sehr stiefmütterlich behandelt. Dabei kämpfen gerade in den beiden größten Märkten Argentinien und Brasilien die Hersteller um begehrte Marktanteile.

Von Stefan Grundhoff

Einst galten die USA und Europa als die bedeutendsten Automärkte der Welt. Doch neben Asien wird Südamerika für die Automobilwirtschaft immer wichtiger. Vor allem neue Kleinwagen aus lokaler Produktion prägen mittlerweile das Bild. Aber auch uralte Klapperkisten bevölkern noch zu Tausenden die Straßen in den beiden Hauptmärkten Brasilien und Argentinien.

Zwischen Kleinwagen und Klapperkisten

Brasilien ist mit mehr drei Millionen Zulassungen längst ein echter Weltmarkt. Das Gros der Verkäufe teilen sich drei Marken. Die Nummer eins ist Fiat mit einem Marktanteil von rund 25 Prozent. Modelle wie die Stufenhecklimousine Siena, das Schwestermodell Palio oder der Kompakt-Pick-Up Strada drücken dem Straßenbild ihren Stempel auf. Auch die Nummer zwei am Markt, Volkswagen, prägt mit dem Kleinwagen-Doppel Gol und Fox oder dem alte VW-Transporter T2 das Bild. Der rundliche charmante Bully wird in Brasilien bis heute produziert und gilt gemeinhin als ebenso günstiger wie beliebter Lastesel. Volkswagen glänzt dank lokaler Produktionen mit einem Marktanteil von über 20 Prozent; knapp gefolgt von General Motors.

Das spiegelt sich auch auf den Straßen wieder. Neben Tausenden alten Rostlauben und klappernder Pick-Ups aus den 70er Jahren sieht man zahlreiche aktuelle Südamerika-Modelle wie den Chevrolet Corsa oder den VW Gol. Und während der europäische Markt auf Sparmobile wie den Dacia Sandero lange warten musste, war dieser auf dem brasilianischen Markt bereits seit langem als Renault Sandero auf dem Markt.

Ethanol wieder modern

Von Mitte der 70er- bis Ende der 80er-Jahre gab es in Brasilien fast nur Ethanolfahrzeuge. In Zeiten hoher Ölpreise steht der alternative Sprit nach einem Abschwung in den 90er-Jahren wieder ganz oben. Über 90 Prozent der Neufahrzeuge fahren im Land von Ronaldo und Pele nach dem Flexfuel-Prinzip. Die Triebwerke vertragen ein beliebiges Mischungsverhältnis von Benzin und dem deutlich günstigeren Ethanol. Während ein Liter Benzin in Brasilien umgerechnet gut einen Euro kostet, liegt der Literpreis des Ethanols gerade einmal bei der Hälfte. Diesel spielt in Südamerika und besonders im Flächenstaat Brasilien insbesondere abseits der Nutzfahrzeuge keine große Rolle.

Brasilien ist auch der wichtigste Automobilstandort in Südamerika. Zahlreiche Firmen lassen ihre Fahrzeuge für die südamerikanischen Märkte produzieren; einige importieren die Modelle aus Brasilien in die ganze Welt. So befindet sich das weltweit größte Werk des Marktführers Fiat nicht in seinem Heimatland Italien, sondern in Belo Horizonte. Pro Jahr laufen bis zu 800.000 Fahrzeuge vom Band; dazu kommen mehr als eine Million Motoren. Doch auch Honda, GM, Volkswagen, Mercedes-Benz oder Renault stellen seit Jahren überaus erfolgreich Fahrzeuge "Made in Brasil" her.

Umkämpftes Lastwagensegment

Ebenso umkämpft wie der Pkw-Markt ist dabei das Lastwagensegment, in dem VW und Mercedes fest die Hosen anhaben. Auch die Zulieferbetriebe haben rund um die Autofabriken längst Entwicklungszentren und Produktionsstätten in Brasilien platziert. Darunter auch Magneti Marelli, Bosch oder VDO. In dem zweitgrößten südamerikanischen Markt Argentinien gehen die Uhren etwas anders. Betagte Klapperkisten aus längst vergangener Zeit beherrschen das Straßenbild - nicht nur in der Hauptstadt Buenos Aires. Ist ein Auto jünger als 15 Jahre, ist es zumeist ein Kleinwagen; allenfalls ein Auto aus der Kompaktklasse.

Die größeren Modelle sind zahlreich, haben jedoch durchweg schon ein paar Dekaden auf dem Buckel. Stoßstange an Stoßstange pressen sich klappernde Rostlauben vom Typ Peugeot 504, Ford Falcon, Renault 9 oder VW Magnum durch die zumeist überfüllten Gassen, Straßen und Prachtmeilen. Verkehrs- und Sicherheitskontrollen existieren allenfalls auf dem Papier und so ist all das unterwegs, was fahr- und rollfähig ist. Sogar ein wenig kritischer TÜV würde hier über Nacht mehr als zwei Drittel aller Autos stilllegen.

18 Fahrspuren

In den Innenstädten von Mendoza, Buenos Aires oder Cordoba kommt es immer wieder zu stundenlangen Staus. Auf dem Land kommt es zudem häufig zu Polizeikontrollen, bei denen Insassen und Autos kontrolliert werden. In den größeren Städten setzen viele Argentinier statt auf Autos daher auf kleine Motorräder, Busse und Taxis. Die bahnen sich ihren Weg deutlich schneller durch den Verkehr als gewöhnliche Fahrzeuge.

Bestes Beispiel für das Chaos auf Argentiniens Straßen ist die Avenida des 9. Juli in Buenos Aires, die den Monolithen als Wahrzeichen von Buenos Aires umkreist. Hier gibt es unglaubliche 18 Fahrspuren. In der Hauptverkehrszeit zwischen 10 Uhr morgens sowie abends nach 18 Uhr lässt einen jede Überquerung zu Fuß mit dem Leben spielen. Da ist es im Auto doch um einiges sicherer. Wenn ein Fahrzeug neu gekauft wird, dann ist es eines aus heimischer oder zumindest südamerikanischer Produktion. Anders als in Brasilien sind die Fahrzeuge in Argentinien durchweg mit Benzin- oder Dieselantrieb unterwegs. Bioethanol oder E85-Kraftstoff konnte sich anders als in anderen südamerikanischen Ländern dort bisher nicht durchsetzen.

Ohne ESP und ABS

Rund eine halbe Stunde nördlich von Buenos Aires befinden sich große Fabriken von Herstellern wie Ford und Volkswagen. Dort entstehen unter anderem der Ford Eco Sport oder der neue VW-Hoffnungsträger Amarok. "Rund 60 Prozent aller verkauften Neuwagen sind Kleinwagen", erzählt Ernesto Baldassare von Maynar Motor, einem der größten Autohäuser von Argentinien, "das ist bei uns nicht anders. Der VW Gol ist seit Jahren der Publikumsrenner."

Der Kleinwagen und die ebenfalls beliebten Volumenmodelle von Renault, Ford, Fiat, Peugeot und Citroen kosten umrechnet zwischen 7500 und 10.000 Euro. Der argentinische Autokunde ist alles andere als technikverliebt und hat keinerlei Interesse an Sicherheitsausstattungen. Ernesto Baldassare: "Günstige Modelle wie Gol, Suran oder selbst den Golf IV verkaufen wir hier durchweg ohne ABS, elektrische Helfer oder Airbags. Die Leute wollen allenfalls eine Klimaanlage." Kein Wunder, in den Hauptsommermonaten Januar und Februar sind Temperaturen von weit über 35 Grad Celsius keine Seltenheit. (mid)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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