Späte Offenbarung

BMW F 800 GS

In der Mittelklasse gab es seit langem keine Enduro mehr, die nicht nur so heißt, sondern tatsächlich im Gelände Spaß bereitet. BMW möchte mit der neuen F 800 GS diese Nische gern füllen.

Von Thilo Kozik

Brooap, brooap: Ganz klar, da kommt ein typisch bayerischer Zweizylinder auf uns zu. Vom Sound, der optischen Erscheinung und der Staubwolke, die das Motorrad hinter sich herzieht, ist es ganz klar eine GS, also die geländegängige Variante weiß-blauer Bayern-Bikes. Doch beim Näherkommen wird klar: Hier handelt es sich nicht um Deutschlands beliebtestes Motorrad, die große R 1200 GS, sondern um das mit Spannung erwartete Schwesterlein F 800 GS.

Späte Offenbarung

Dass sich die Neue erst spät offenbart, liegt an der bewussten Orientierung am großen 1200er Vorbild in den drei nicht nur fürs Marketing wichtigen Kategorien «Look, Sound and Feel»: Durch Übernahme charakteristischer Design-Merkmale wie dem markanten Entenschnabel, der Taucherbrillen-Scheinwerfer und dem leicht kantigen Techno-Look bleibt die Familienähnlichkeit gewahrt.

Mit Koffern, die F 800 GS von BMW Foto: BMW

Dabei wirkt die 800er lange nicht so kühl und technokratisch durch ihre geschickte Zweifarblackierung, doch vor allem der schwarze Rahmen mitsamt der fülligeren Heckpartie sorgt für eine gefälligere Linie. Beim Sound verblüfft der Reihenzweizylinder aus österreichischer Produktion bei Rotax mit einem kernigen und erwachsenen Klang, der demjenigen des großen Boxermotors stark ähnelt. Das verdankt die F der identischen 360 Grad-Zündfolge wie beim Boxer und einem ausgeklügelten Soundmanagement, auf das man im Hause BMW mit Recht besonders stolz ist. Beim Feeling bleibt ganz klar der Eindruck einer vielseitig einsetzbaren Fahrmaschine gewahrt, doch ohne die Wucht der zu Tausenden auf Europas Straßen räubernden großen Boxer-GS.

Aggregat kommt von F 800 S

Der Motor der F 800 GS Foto: BMW

Von diesen großen gewollten Gemeinsamkeiten abgesehen, ist die 800er ein völlig eigenständiges Motorrad mit einem ordentlich modifizierten F 800-Aggregat sowie einem rundum neuen Fahrwerk. Zunächst zum Antrieb: Das Reihenzweizylinder-Triebwerk fußt weitgehend auf dem aus F 800 S und ST bekannten Twin mit den Technikschmankerln Semi-Trockensumpfschmierung und Massenausgleich durch ein drittes angelenktes Pleuel. Die Zylinder stehen allerdings steiler, die untere Gehäusehälfte wurde neu konstruiert und Wasserpumpe, Kupplungsmechanismus und Ölmessstab neu konfiguriert.

Insgesamt spart der GS-800er ein ganzes Kilo gegenüber dem S/ST-Aggregat ein. Modifizierte Nockenwellen und geänderte Ansaug- wie Auslassbedingungen mit entsprechendem Mapping stellen nun anständige 85 PS bei 7500 Touren und 83 Newtonmeter Drehmoment bereit, die die Pleuel bei 5750 Umdrehungen auf die gleitgelagerte Kurbelwelle stemmen. Alles selbstverständlich Euro-3-gerecht per lambdageregeltem Katalysator und Sekundärluftsystem gesäubert.

Sauber zu schaltendes Sechsganggetriebe

Das Cockpit der F 800 GS von BMW Foto: BMW

Im Fahrbetrieb kommt der Paralleltwin direkt zur Sache, gut unterstützt vom sauber schaltbaren Sechsganggetriebe erfreut er mit einem prima Drehmoment bereits von der Leerlaufdrehzahl an. Sauber und willig dreht er nach oben und entwickelt seine Kraft recht gleichmäßig und kontrollierbar. Seine Stärke liegt im Bereich zwischen 3500 und 5500 Umdrehungen, wo er kräftig voran schiebt und mit sattem Sound verwöhnt. Darüber beginnen leichte Vibrationen von der Verbrennungsarbeit zu künden, und der willige Vortrieb erlahmt ein wenig. Doch das Gebotene ist höchst respektabel, voll ausgefahren läuft die GS über 200 km/h schnell.

Fahrwerksseitig zeigt die kleine GS jede Menge BMW-Neuerungen, die sie von der großen GS, aber auch von den F-Straßenmodellen unterscheidet. Bei anderen Herstellern wären diese jedoch als konventionell zu bezeichnen: Eine verwindungssteife 45er Upside-Down-Gabel vorn mit Zweiarmschwinge und Kettenantrieb hinten, verbunden von einem durchaus ansehnlichen schwarzen Gitterrohrgeflecht aus Stahlrohren. BMW-typische Technologien wie Tele- und Paralever sucht man bei diesem Konzept vergebens, dafür kommt ein Federbein mit wegabhängiger Dämpfung zum Einsatz, bekannt aus den großen GS-Modellen. Natürlich gehören lange Federwege, endurotypische Reifendimensionen mit 21-Zoll vorn und 17 hinten dazu.

Hochbeiniges Gefühl

Die Frontansicht der BMW F 800 GS Foto: BMW

Beim Aufsitzen ergibt sich daher das für Geländegänger übliche hochbeinige Gefühl. Zwar erleichtert der im Frontbereich schmale Sitz den Bodenkontakt für Durchschnittsgroße, aber 880 Millimeter Polsterhöhe sind in kritischen Geländesituationen schon eine echte Herausforderung für Fahrer unter 175 cm. Nichtsdestotrotz bietet das Dreieck Lenker-Sitzbank-Rasten eine bequeme Ergonomie, die für passable Reiseetappen genügen sollte. Ebenso kann das kleine Windschild normalgroße Piloten bis zirka 130 km/h wirkungsvoll vor wilden Turbulenzen schützen - selbst mit Semi-Endurohelm.

Zur weiteren Optimierung der Reisequalitäten findet sich das Passende wie üblich im reichhaltigen BMW-Zubehörkatalog, der ein extra dickes Stauraumprogramm beispielsweise mit variablen Koffern führt - 19 bis 29 Liter links, 28-38 Liter rechts komplett für 715 Euro. Im Zubehörprogramm findet sich mit dem Hauptständer für 110 Euro ein Teil, das eigentlich serienmäßig dran sein sollte - der Kettenpflege und des schnellen Radausbaus wegen.

Arbeit mit der Kette

Der Kettenantrieb an der F 800 GS Foto: BMW

Denn der Kette dürfte sich der GS-Treiber öfters widmen dürfen, sollte er dem nahe liegenden Offroad-Einsatz öfters frönen. Auf Schotterpisten und in mittelschwerem Gelände macht die 800er nämlich eine ausgesprochen gute Figur, lässt sich selbst von vergleichsweise unerfahrenen Piloten sicher über loses Geläuf treiben. Dabei müssen sich Ungeübte an den etwas harschen Gaseinsatz und die damit verbundenen Lastwechselreaktionen in den unteren Gängen gewöhnen, doch stellt dies kein wirkliches Problem dar. Wer es kann, wird gröbere Stollenreifen als die straßenorientierte Erstausrüstung aufziehen - übrigens ebenfalls homologiert - und noch mehr Offroad-Spaß haben.

Wer es asphaltlastiger mag - erfahrungsgemäß die weitaus größere Gruppe - kommt mit der F 800 GS ebenfalls voll auf seine Kosten. Neben den oben beschriebenen Reisequalitäten verfügt die freigelassene GS über ein ausgesprochen hohes Asphaltpotential, das sie zum veritablen Landstraßenjäger macht. Ihr druck- und drehfreudiger Motor liefert verlässlichen Vortrieb, das in der Grundabstimmung komfortabel ausgelegte Fahrwerk toleriert eine flotte Gangart, gegebenenfalls lässt sich das Federbein straffer justieren.

Gutes Fahrwerk

Macht Offroad eine gute Figur - die F 800 GS Foto: BMW

Bodenunebenheiten wie Wellen oder derbe Schlaglöcher verarbeitet das Fahrwerk sauber, so dass die kleine GS ihre Spur problemlos halten kann. Hinreichend kräftig gehen die beiden Scheiben im Vorderrad zu Werke, optional und empfehlenswerterweise mit ABS für 710 Euro ausrüstbar; sportliche Naturen wünschten sich auf der Landstraße mehr Biss, doch angesichts der Eignung für Geländefahrten geht die defensive Ausrichtung in Ordnung. Schließlich ist ein schnell blockierendes Vorderrad auf losem Untergrund nicht gerade förderlich fürs Wohlbefinden.

Mithin repräsentiert die neue F 800 GS eine Philosophie, deren oberste Maxime Vielseitigkeit darstellt: Sie vereint gute Reisefähigkeiten, prima Offroadqualitäten und hohe Alltagsqualitäten zu einem überzeugenden Paket. Das fällt mit 9640 Euro als Basispreis nicht sonderlich günstig aus, doch die große 1200er Boxer-GS kostet fast Dreitausend Euro mehr - ein kräftiges Argument für die kleine GS.

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