KTM 640 LC4: Drehfreude bis zum Begrenzer

KTM hat die 640 LC4 einer Überarbeitung unterzogen. Leider kam das Getriebe nicht in den Genuss der Modifikationen.

Thilo Kozik

Echte Enduros sind Sache der Motorrad-Manufaktur KTM aus dem österreichischen Mattighofen - das ist unbestritten. Ihre Vormachtstellung in dieser Nische haben sich die Österreicher Anfang der 90er Jahre gesichert, als die großen Japaner das Offroad-Segment als zu wenig umsatzträchtig links liegen ließen und der einzige nennenswerte Konkurrent Husqvarna wegen finanzieller Engpässe eine Zeit lang nicht liefern konnte.

Elektrostarter eingebaut

Damals prägte vor allem die große LC4 den Begriff «Hard Enduro», wobei das Kürzel für Flüssigkeitskühlung (=Liquid Cooling) und Viertakt-Motor stand. Der große Verkaufserfolg stellte sich jedoch erst ein, als die extremen Geländegänger mit einigen technischen Features Kompromisse im Hinblick auf «ganz normale» Motorradfahrer machten. So ergänzt seitdem ein Elektrostarter den klassischen Tritthebel des Kickstarters und kleine Griffe am Heck geben dem Beifahrer mehr als moralischen Halt.

Trotz aller neuen Modelle, die in den letzten Jahren die KTM-Modellpalette erweiterten, ist die große Enduro, die 640 LC4, nach wie vor das Aushängeschild der Firma. Weiterentwickelt und überarbeitet zeigt sich der klassische Einzylinderantrieb, der über einen Vergaser den Vierventilkopf mit Ausgleichswelle beatmet. Aus einem kurzhubig ausgelegten Hubraum von 625 Kubikzentimetern schöpft der flüssigkeitsgekühlte Single satte 54 PS und 55 Newtonmeter Drehmoment. Dabei geht das Triebwerk so spontan und gewaltig zur Sache, dass ein gelupftes Vorderrad im zweiten Gang keine Seltenheit ist.

Drehfreude bis zum Begrenzer

Der Motor der KTM 640 LC4. Foto: Werk/Mitterbauer

Dabei bleibt die Drehfreude fast bis zum Begrenzer erhalten, der Einzylinder wirkt in keinem Drehzahlbereich angestrengt oder gar müde. Das sofortige Ansprechen und die bessere Performance über das gesamte Drehzahlband verdankt er der neuen Nockenwelle mit schärferen Steuerzeiten, die für eine noch bessere Füllung des Zylinders sorgt. Hinzu kommt eine überarbeitete CDI mit optimiertem Zündkennfeld, das die Verbrennung verbessert.

Für Weltenbummler lässt sich hier ein „Low Octane“-Kennfeld aktivieren, mit dem niederoktaniger Kraftstoff bis 80 Oktan toleriert werden kann. Für mehr Standhaftigkeit des Motors kühlt nun eine zweite Düse den hoch belasteten Kolben von unten mit Öl - eine Errungenschaft aus dem umfassenden Rennsportengagement der Marke. Wie auch die Tatsache, dass zur Übertragung der Antriebskräfte nun eine Endlos-X-Ring-Kette dient. Das minimiert das Risiko einer gerissenen Antriebskette.

Getriebe nicht modifiziert

Leider wurde das Getriebe nicht modifiziert. Es lässt sich nur schwer schalten, und im Leerlauf vor der Ampel muss der erste Gang mit kräftigen Tritten eingelegt werden. Obwohl die schwungmassenerleichterte KTM so unglaublich gut am Gas hängt, setzt sie Vortriebsbefehle selbst aus niedrigen Drehzahlen ohne Verschlucken oder schlagende Kette um. Allerdings stören die heftigen Vibrationen auf Dauer das Fahrvergnügen: nach längeren Etappen mit gleichförmiger Fahrweise könnte man auf den Gedanken kommen, die Monteure hätten die im technischen Datenblatt aufgeführte Ausgleichswelle schlichtweg vergessen - so heftig vibriert’s in Rasten, Lenker und Sitzbank.

Die Hinterradaufhängung an der KTM. Foto: Werk/Mitterbauer

Aber fürs Kilometerfressen ist die KTM ohnehin nicht gemacht, allein die schmale, brettharte Sitzbank und der fehlende Windschutz machen jegliches Ansinnen schon nach wenigen Kilometern zunichte. Dafür relativiert sich das Vorurteil der Schwindel erregenden Sitzhöhe schon beim Aufsitzen: Die sportliche Mulde ist so schmal und sackt aufgesessen so weit ein, dass selbst bei 175-cm-Menschen die Beine rechts und links Bodenkontakt bekommen. In Fahrt liegt der Magura-Lenker gut in den Händen, insgesamt ergibt sich eine aufrechte, frontorientierte Sitzhaltung. Im asphalthaltigen Kurvendschungel benimmt sich die LC4 für eine Enduro mit diesen ellenlangen Federwegen erstaunlich zielgenau und neutral.

Sogar bei Höchstgeschwindigkeit von 156 km/h auf der Autobahn bleibt die ganze Fuhre erstaunlich ruhig und wackelt nicht wie der berühmte Lämmerschwanz. Wirksam und ordentlich dosierbar präsentieren sich die Stopper, die so ausgelegt eher der Straßenhatz als dem Offroad-Ausflug angepasst sind. Auf losem Untergrund gefällt die KTM durch den zupackenden Motor und die aktive Sitzposition, die jede Kurve auch für Anfänger gut kontrollierbar im Drift passieren lassen.

Doch was auf der Landstraße noch für Spaß sorgte, macht auf harten, buckeligen Oberflächen das Fahren zur strapaziösen Angelegenheit: Das sehr straff abgestimmte Fahrwerk spricht trotz voller Einstellbarkeit von Gabel und Federbein nicht gut auf Unebenheiten an und rüttelt den Fahrer kräftig durch. Von den Motorvibrationen nimmt man jedenfalls kaum mehr etwas wahr. Über allem prangt eine sehr hochwertige Ausstattung samt tadelloser Verarbeitungsqualität, die jedoch ihren Preis hat: 7550 Euro dürfte nur derjenigen anlegen, der das um große Potenzial der KTM weiß und dies auch auszunutzen versteht.

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