Harley Davidson entdeckt mit Street Rod die Sportlichkeit

Harley Davidson geht mit der Street Rod neue Wege. Mit der neuen Maschine wollen die Amerikaner in Europa neue Käuferschichten erschließen.

Thilo Kozik

Amerikaner sind für ihr Sendungsbewusstsein bekannt. Das kennzeichnete bislang auch die einzige verbliebene US-Motorradmarke Harley-Davidson. Lange haben sich die Amis standhaft geweigert, den europäischen Ansatz des Motorradfahrens wahrzunehmen, der auf Fahrdynamik und Kurvenaction beruht. Stattdessen propagierten die Verantwortlichen aus Milwaukee den American Way of Cruising, also beschauliches Dahin gleiten auf einer Woge sanfter Vibrationen.

Höhere Absatzzahlen

Doch diese Faszination hat ausgedient, zumindest wenn es darum geht, neue Käuferschichten für höhere Absatzzahlen zu generieren. Dies haben die Verantwortlichen der Motor Company ganz klar erkannt und eine neue Art Motorrad in ihr Programm aufgenommen, die brandneue Street Rod: Sportlich aggressiv gestylt wie bislang noch keine Harley sowie mit einem bärenstarken Motor und mächtigen Fahrwerk versehen präsentiert sich das fahraktivste Gefährt der Harley-Neuzeit. Trotz einer Vielzahl von Neuerungen ist allerdings auch die Street Rod eindeutig als Harley zu identifizieren, ihre Gene leiten sich von der vor drei Jahren vorgestellten V-Rod ab.

Als Herz dieses Roadsters von Harley-Davidson - das Typenkürzel lauter VRSRV, es steht für Street Custom Roadster - fungiert daher der potente Revolution-Motor aus der V-Rod, mit Auspuffmodifikationen und neuem Mapping auf 120 PS und 104 Nm Drehmoment aufgeplustert. Das ist die von Porsche mitentwickelte Antriebseinheit, die mit 1130 Kubik, Flüssigkeitskühlung und einem Zylinderwinkel von 60 Grad schon in der V-Rod die Harley-Traditionalisten abgeschreckt hatte, gleichzeitig Fachwelt wie unvoreingenommene Endverbraucher indes zu beeindrucken wusste. Bis etwa 4000 Touren hält sich der Vortrieb noch vornehmen zurück, nur um darüber loszupreschen wie eine frei gelassene Herde Mustangs. Drehfreude und Punch können subjektiv sogar mit echten Sportmotorrädern mithalten.

Gute Sitzposition

Sieht sportlich aus: Die Street Rod von Harley, Foto: Werk

Dazu ließ sich das Entwicklungsteam eine komplett neue Ergonomie mit mittig platzierten Fußrasten einfallen, die vom Fahrgefühl stark an große Naked Bikes erinnert - souverän und aufrecht trägt die Street Rod ihren Fahrer durch die Lande, wo man sich früher beim Aufsitzen auf einer Harley unwillkürlich an Opas gemütlichen Schaukelstuhl mit Beinablage erinnert sah. Nur der Lenker könnte noch etwas breiter ausfallen, dann wäre das bullige Streetfighter-Outfit perfekt.

Die Street Rod von Harley Davidson lädt zum sportlichen Cruisen ein. Foto: Werk

Doch auch so beherrscht der Fahrer seine Street Rod locker über den Lenker und dirigiert sie sicher und lustvoll durch europäisches Asphalt-Fahrwasser. So neutral und stabil hat noch keine Harley den hiesigen Landstraßenparcours gemeistert, so präzise eingelenkt und so sauber die Spur gehalten. Das ist der Lohn eines komplett überarbeiteten Fahrwerks mit etwas handlicherer Lenkgeometrie, mächtiger Upside-Down-Gabel an der Front, einem versteiften Rahmen und deutlich straffer abgestimmten Federbeinen mit mehr Federweg. Da pumpt und wackelt nichts mehr, über Längsrillen donnert die Harley in Schräglage ohne Mucken hinweg.

Doch so stabil sich die Street Rod auch gibt: Im engen Geläuf wie beispielsweise den Serpentinen der Alpen bereitet sie wenig Spaß. Das liegt zuvorderst an ihrem gewaltigen Radstand von 1700 mm, mit dem sie Kehren eher liebevoll nostalgisch umrundet. Doch nur um auf der unmittelbar folgenden Geraden mächtig Dampf zu machen. Zur Street Rod-Heimstatt mutieren schnelle, lang gezogene Kurven, hier geht ihre Unempfindlichkeit gegenüber Asphalteinflüssen mit dem gewaltigen Druck des Motors eine lustvolle Verbindung ein. Noch besser: Zieht man am vorderen Bremshebel, geht der 280-Kilo-Koloss richtig in die Knie und stoppt wie ein normales Motorrad - diese Harley bremst!

Neue Bremsen

Ihre Vehemenz verdankt sie den italienischen Spezialisten von Brembo, die eigens für Harley die Vierkolben-Festsättel anfertigen und damit für ungeahnte Verzögerungsszenarien sorgen. Dass bei so viel Licht ein wenig Schatten in der Form nicht verstellbarer Hebeleien, fehlender Rücksicht und schlecht sichtbarer Instrumente anfällt, ist nicht wirklich wichtig. Die unglückliche Positionierung des Fußbremshebels dagegen schon, der eine vernünftige Dosierung der Hinterhand unmöglich macht. Dafür haben die Entwickler eine weitere Schwachstelle der V-Rod ausgemerzt: Durch höher verlaufende und weiter gespreizte Rahmenrohre konnte ein größerer 18,9-l-Tank eingebaut werden, was einer Steigerung von 25 Prozent entspricht. Zugleich soll die Einspritzanlage etwas sparsamer mit dem Sprit umgehen, was zusammen endlich reisetaugliche Etappen möglich machen soll.

Das Überraschendste und erfreulichste der neuen Milwaukee-Kreation ist und bleibt jedoch ihre erstaunliche Fahraktivität - und die angepasste Preisvorstellung: Mit 16155 Euro rangiert die Street Rod in Regionen, die mancher sogar „erschwinglich“ bezeichnen würde. Gut, dass Harley bei der Entwicklung verstärkt auf die europäischen Stimmen gehört hat.

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