Der Automatik-Cruiser

Honda DN-01

Honda betont immer wieder, dass es sich bei der futuristischen DN-01 um ein Motorrad und nicht um einen Roller handelt. Dabei ist die eigentliche Sensation des Street-Cruisers doch das neuartige Automatikgetriebe HFT, das selbst aus echten Bikern Schaltmuffel macht.

Von Thilo Kozik

Hut ab - so viel Mut hätte man den Honda-Strategen nicht zugetraut: Erst stellen sie ihre wegweisende Konzeptstudie DN-01 auf der Tokio Motor Show 2006 aus, wo schon zahlreiche Traumbikes aus der Zukunft gezeigt wurden, die dann aber ein Traum blieben. Knapp ein Jahr später verblüffen sie die Fachwelt auf der letztjährigen Motorrad-Messe in Mailand mit genau dieser Studie als serienfähigem Neumodell - und jetzt ist das Ding tatsächlich zu haben!

Kein Roller

Die DN-01 sorgte vor allem deshalb für Aufregung, weil sich bisher noch niemand so weit vorgewagt hatte, die Vorteile eines Rollers mit denen eines Motorrades zu vereinen. Sicher, eine Aprilia Mana besitzt ebenfalls ein vollautomatisches Getriebe, aber sie ist schon rein optisch ein klassisches Naked Bike. Allerdings betonen auch die Honda-Entwickler, dass sie ihren «Automaten» ebenfalls als Motorrad verstehen und nicht als Roller, auch wenn die DN-01 durch ihre Verkleidungsteile vielleicht den Eindruck erwecken könnte.

Ins Auge fällt zuallererst die extrem flache, lang gestreckte Silhouette mit fließenden Formen. Vorn gebietet eine futuristisch anmutende Haifisch-Front inklusive schmalem Dreifachscheinwerfer Respekt, aus der die beiden Außenspiegel wie ein Geweih herauswachsen. Daran schließt sich ein ausladender Fahrersitz in niedrigen 690 Millimetern Höhe an, bevor das breite Heck mit einer schmalen LED-Lichtleiste und dem rechtsseitigen dreieckigen Chrom-Schalldämpfer den passenden Abschluss bildet. Breite Trittbretter interpretieren zusammen mit den großflächigen Kunststoffteilen das klassisch amerikanische Cruiser-Thema auf moderne Art, den Mief von einhundertfünf Harley-Jahren verströmt die DN-01 jedenfalls nicht. Doch pure Gemütlichkeit hat die DN-01 nicht im Sinn, das belegt allein die sportliche Bereifung mit schmucken 17-Zoll-Felgen. Hinterherfahrenden gebietet sogar ein beeindruckender 190er Schlappen Ehrfurcht.

Zentralrechner optimiert Übersetzung

Das Cockpit der DN-01 Foto: Honda

Adäquate Antriebskraft steuert ein hochmoderner, flüssigkeitsgekühlter 52 Grad-Vau-Zwo mit 680 Kubikmeter Hubraum und Einspritzung bei, der aus den Honda-Motorrädern Transalp und Deauville abgeleitet ist. Die Maximalleistung beträgt 61 PS bei 7500 Kurbelwellenumdrehungen, an Drehmoment macht der Vau 64 Newtonmeter bei 6000 U/min locker.

Diese konventionell erzeugte Verbrennungsenergie wird über ein innovatives Automatikgetriebe samt Kardanwelle ans Hinterrad übertragen. Bei der HFT (Human Friendly Transmission) handelt es sich um eine hydromechanische Automatik, die die Übersetzungsverhältnisse stufenlos regelt: Eine Axialkolben-Hydropumpe treibt einen gleichartigen Hydromotor an, der eine im Winkel verstellbare Taumelscheibe besitzt. In Abhängigkeit verschiedener Faktoren wie Drehzahl und Last ermittelt ein Zentralrechner die optimale Übersetzung, ein Stellmotor bringt die Taumelscheibe in Stellung.

Zwei Schaltprogramme

Zwischending aus Bike und Roller Foto: Honda

Für den Fahrer hält die HFT zwei vollautomatische Schaltprogramme bereit, einen ökonomischen Normalmodus «D» sowie das sportliche Schaltprogramm «S». Für knackigere Beschleunigungen schaltet der Automat dann erst bei höheren Drehzahlen und Geschwindigkeiten. Dazu bleibt dem Fahrer noch die manuelle Gangwahl von sechs vorgegebenen Übersetzungsstufen, auf Knopfdruck vom Lenker aus anwählbar.

Erreicht das System das höchste Übersetzungsverhältnis von Eins, drehen sich Ein- und Ausgangswelle also mit gleichem Tempo, wird das Getriebe mechanisch geblockt für eine möglichst verlustfreie Kraftübertragung, die auch Kraftstoff sparen hilft. Beim Anfahren sorgt eine fliehkraftgeregelte Kupplung für ruckfreie Kraftübertragung, deshalb braucht die DN-01 keinen Kupplungshebel mehr. Im Gegensatz zu anderen Systemen lässt sich der Leerlauf mechanisch einlegen, so dass im Stand nicht ständig die Bremse betätigt werden muss, außerdem kann man an der Ampel den Motor angriffslustig aufjaulen lassen.

Zahme Geräuschkulisse

In der Praxis funktioniert das System anstandslos, auch das Hin- und Herschalten zwischen manuellem Betrieb und Automatik funktioniert während der Fahrt problemlos. Wobei sich bald herausstellt, dass selbst eingefleischte Biker irgendwann zu Schaltmuffeln werden und nur noch die beiden Automatik-Modi nutzen. Motorradfahrer werden allerdings das Geräusch und die Vibrationen eines typischen V2-Motors vermissen, der klingt bei der DN-01 dann wirklich wie bei einem Roller eher nach schnurrender Katze statt nach angriffslustigem Pit Bull.

Durch die entkoppelte Kraftübertragung im Stand wird eine Handbremse wie bei großen Rollern nötig, um ein Wegrollen am Berg zu verhindern. Diese liegt ungünstig weit vorne rechts, will man sie bedienen, muss man entweder die Hand von der Bremse nehmen oder mit links am Tank greifen - eine höchst umständliche Prozedur. Im Stand und beim Schieben machen sich die prallen 270 Kilo Lebendgewicht unangenehm bemerkbar, im Fahren kaschiert der tiefe Schwerpunkt die Pfunde wirkungsvoll. Über den ausladenden Geweih-Lenker dirigiert der DN-Treiber die Fuhre wie einen mächtigen Cruiser, das Fahrgefühl ist entsprechend entspannend.

Ab 11.790 Euro

Hierzulande wird das innovative Fahrzeugkonzept ausschließlich mit Combined-ABS ausgeliefert, das aus einer Doppelscheibenbremse vorn mit 296er Durchmesser und Dreikolbenzangen sowie einer 276-mm-Einzelscheibe hinten besteht. Dabei verspricht der beherzte Tritt auf den Fußhebel deutlich mehr Verzögerungspotenzial als der Zug am Bremshebel, außerdem schieben in Schräglage die Kilos deutlich gegen das Vorderrad.

Ab Mitte des Jahres kommt die DN-01 zu einem Preis von 11.790 Euro. Das scheint viel, aber als Gegenwert bekommt man echte Hightech, garantierte Aufmerksamkeit durch das avantgardistische Styling und oben drauf eine ziemliche Exklusivität.

Kein Stauraum

Nur 2500 DN-01 kommen in diesem Jahr nach Europa, davon alleine 1500 nach Italien. Bei der deutschen Kundschaft scheint man sich nicht ganz sicher zu sein, ob das Fahrzeug den Geschmack trifft. Der typische Rollerfahrer wird vor allem bemängeln, dass der Zwitter keinerlei Stauraum bietet und auch kein entsprechendes Zubehör angedacht ist.

Dem Motorradler könnte der Motor doch etwas zu leistungsschwach und die Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h nicht ausreichend sein. Für Ein- bzw. Wiedereinsteiger hat Honda zudem mit den CBF-Modellen echte Alternativen im Programm. Vielleicht finden wir das HFT-Getriebe ja bald auch in einem dieser Fahrzeuge wieder. Das wäre nicht ganz so futuristisch, aber praktisch.

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