«Regierung kann Klimaschutzdebatte in Gang bringen»

PIK-Chef Schellnhuber

Hans Joachim Schellnhuber ist Klimaberater der Bundesregierung. Im Interview mit der Autogazette spricht sich der Wissenschaftler mit Blick auf die CO2-Reduktion für ein stärkeres Eingreifen der Politik gegenüber den Herstellern aus.

Für Hans Joachim Schellnhuber hat die EU-Kommission mit ihrer gerade vorgestellten Energiestrategie ein wichtiges Signal für internationale Klimaschutzambitionen gesetzt. «Allerdings greifen die EU-Pläne, den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren, zu kurz: Notwendig wären mindestens 30 Prozent gewesen«, sagte der Klimaschutzbeauftrage der Bundesregierung für die EU-Ratspräsidentschaft und den G8-Gipfel im Interview mit der Autogazette.

Schellnhuber, seit 1993 Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, übt zugleich Kritik an den Autoherstellern. Mit Blick auf die CO2-Reduktion durch die Autobauer sagte der renommierte Wissenschaftler: »Folgt man der Untersuchung des britischen Instituts für Europäische Umweltpolitik [IEEP], haben die deutschen Automobilbauer im Vergleich zu einigen europäischen Konkurrenten die für 2006 gesteckten Reduktionsziele deutlich verfehlt«, so Schellnhuber. »Zwar wurden unbestritten auch Fortschritte bei der CO2-Verminderung erzielt, etwa durch verbesserte Motoren-Technologie. Leider werden diese Fortschritte durch den Trend zu höheren PS-Zahlen und Fahrzeuggewichten wieder zunichte gemacht«, fügte er hinzu.

»EU-Pläne greifen zu kurz«

Autogazette: Herr Professor Schellnhuber, Deutschland hat mit Beginn des neuen Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Welche Initiativen erwarten Sie als Klimaschutz-Berater der Bundesregierung mit Blick auf eine Verringerung der CO2-Emissionen?

Hans Joachim Schellnhuber: Die EU-Kommission hat mit ihrer Energiestrategie soeben ein wichtiges Zeichen für internationale Klimaschutzambitionen gesetzt. Allerdings greifen die EU-Pläne, den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren, aus wissenschaftlicher Sicht zu kurz: Notwendig wären mindestens 30 Prozent gewesen, um die langfristigen Klimaschutzziele - das heißt die globale Erwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten - nicht zu gefährden. Durch seinen Doppelvorsitz bei EU und G8 kann Deutschland die Debatte hierzu eventuell nochmals in Gang bringen - wenn man genügend Verbündete findet. Entscheidend für die zukünftigen Verhältnisse auf unserem Planeten wird sein, die Schwellenländer zusätzlich zu den Industrieländern ins Boot des Klimaschutzes zu holen. Hier kann die Bundesregierung durch intelligente und behutsame Umweltdiplomatie eine ganze Menge erreichen.

»Reduktionsziele deutlich verfehlt«

Autogazette: Die Autoindustrie rühmt sich, in den zurückliegenden Jahren den Verbrauch bei Neuwagen um 25 Prozent gesenkt und damit den C02-Ausstoß seit 1999 um 15 Millionen Tonnen reduziert zu haben. Wird seitens der Autobranche genug bei der CO2-Reduktion getan?

Schellnhuber: Folgt man der Untersuchung des britischen Instituts für Europäische Umweltpolitik [IEEP], haben die deutschen Automobilbauer im Vergleich zu einigen europäischen Konkurrenten die für 2006 gesteckten Reduktionsziele deutlich verfehlt. Zwar wurden unbestritten auch Fortschritte bei der CO2-Verminderung erzielt, etwa durch verbesserte Motoren-Technologie. Leider werden diese Fortschritte durch den Trend zu höheren PS-Zahlen und Fahrzeuggewichten wieder zunichte gemacht.

Autogazette: Die Hersteller haben sich verpflichtet, den CO2-Ausstoß bis 2008 auf 140 g/CO2 pro Kilometer zu reduzieren. Dieses Ziel dürfte jedoch verfehlt werden. Wie sollte die Politik darauf reagieren?

Schellnhuber: Hinweise aus Studien mehren sich, dass die Autobauer mit dieser Selbstverpflichtung Schwierigkeiten haben werden. Das sind ungünstige Perspektiven. Angesichts der schleppenden Fortschritte bei der Minderung des CO2-Ausstoßes erwägt die Europäische Kommission bindende Vorgaben. Würden nach diesen Plänen etwa alle Autos, die mehr als 200 Gramm CO2 pro Kilometer in die Luft blasen, mit 3000 Euro pro Jahr zusätzlich besteuert, sänken die Verkaufszahlen großer Fahrzeuge sicherlich. Zugleich müsste die Branche in neue Techniken investieren. Für dieses Szenario müssten sich viele Automobilhersteller auf spürbare Gewinneinbrüche einstellen. Die Politik könnte mit dieser Drohkulisse erreichen, dass die Hersteller stärker als bisher auf klimafreundliche Modelle setzen.

Technischer Vorsprung bei Japanern

Autogazette: Wenn Sie sich die Modellpolitik der Autohersteller anschauen, werden dann ausreichend verbrauchsarme Fahrzeuge angeboten?

Kanzlerin Angela Merkel im Dezember mit Hans Joachim Schellnhuber Foto: dpa

Schellnhuber: Beim Angebot verbrauchsarmer Fahrzeuge sehe ich eher einen technischen Vorsprung bei japanischen Herstellern und damit langfristige Wettbewerbsnachteile für unsere Firmen. Die unterschiedlichen Positionen werden schon in der Werbung deutlich. Eine vom BUND veröffentlichte Analyse zur Automobilwerbung der letzten Jahre in Deutschland zeigt, dass Spritsparen und niedriger CO2-Ausstoß anscheinend noch nicht primäres Ziel unserer Hersteller sind. Das ist überaus bedauerlich, denn mit dem exzellenten deutschen Know-How könnte man die ganze Auto-Welt in Richtung Nachhaltigkeit bewegen!

»City-Maut könnte ein Weg sein«

Autogazette: Sprechen Sie sich angesichts der Feinstaubbelastung in den Städten für die Einführung einer City-Maut aus, wie es sie beispielsweise in London oder Stockholm gibt?

Schellnhuber: Die gesundheitlichen Auswirkungen einer hohen Feinstaubbelastung sind sicher nicht zu unterschätzen. Schon deshalb sehe ich Handlungsbedarf. Eine Maßnahme wie die City-Maut könnte etwa ein Weg sein, den öffentlichen Nahverkehr zu stärken. Sofern dabei schadstoffarme Verkehrsmittel zum Einsatz kommen, bedeutet das nicht nur gesundheitliche Entlastung, sondern auch einen Beitrag zum Klimaschutz. Aber eine Maut ist kein Allheilmittel.

Autogazette: Der Vorschlag des Präsidenten des Umweltbundesamtes nach einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 120 km/h ist von den Verkehrs- und Umweltministern zurückgewiesen worden. Befürworten Sie unter klimapolitischen Gesichtspunkten ein Tempolimit?

Schellnhuber: Ein Tempolimit von vielleicht 130 km/h halte ich in erster Linie für ein Gebot des gesunden Menschenverstandes: Stressreduktion und vor allem höhere Sicherheit auf unseren Autobahnen wären der Lohn. Dass dabei auch weniger CO2 ausgestoßen würde, betrachte ich als willkommene Dreingabe.

Autogazette: UBA-Präsident Troge hat seine Forderung nach einem Tempolimit damit begründet, dass dadurch der Kohlendioxid-Ausstoß um 10 bis 30 Prozent reduziert werden könnte. Halten Sie diese Zahlen für realistisch?

Schellnhuber: Diese Zahlen werden in den Medien immer wieder genannt. Allerdings sehe ich hier noch Forschungsbedarf für wissenschaftlich belastbare Aussagen.

Autogazette: Der ADAC weist darauf hin, dass das Durchschnittstempo auf den Autobahnen ohnehin unter 120 km/h liegen würde. Erscheint vor diesem Hintergrund der Aufschrei der Entrüstung über ein gefordertes Tempolimit nicht verlogen?

Schellnhuber: Vielleicht fehlte bei manchem Protest der Hinweis aus der alltäglichen Fahrpraxis, dass „Stop and Go“ zwar nicht die Durchschnittsgeschwindigkeit erhöht, sehr wohl aber den Verbrauch.

Tempolimit allein reicht nicht

Autogazette: Würde ein Tempolimit nicht dazu führen, dass sich Autofahrer beim Neuwagenkauf nicht für Modelle mit kleineren und sparsameren Motoren entscheiden würden?

Schellnhuber: Ein Tempolimit allein sicher nicht. Welche Wagen gekauft werden, ist neben finanziellen Aspekten vor allem eine Frage des Images. Verantwortungsvolle Automobilwerbung wäre meines Erachtens einer der sozialen Schlüsselfaktoren auf dem Weg zu CO2-armer Mobilität. Wenn trotz fortschreitenden Klimawandels der Pkw-Verkehr erhalten bleiben soll, muss der Umstieg auf klimafreundliche Fahrzeuge schnellstmöglich zum Selbstverständnis eines modernen Menschen werden.

Autogazette: Hersteller wie beispielsweise Saab oder Ford setzen verstärkt auf biogene Kraftstoffe wie Bioethanol. Sehen Sie vor dem Hintergrund der Endlichkeit fossiler Energieträger darin die richtige Strategie, auch in Zukunft die individuelle Mobilität zu erhalten?

Schellnhuber: Die Einführung biogener Kraftstoffe zielt in die korrekte Richtung, kann aber nicht die alleinige Lösung sein. Selbst wenn man entsprechende Agrarproduktion stark intensivieren würde, ließe sich der Kraftstoffbedarf schon beim jetzigen Verkehrsaufkommen allenfalls zu einem Bruchteil abdecken.

Forschung drastisch intensivieren

Autogazette: Welchen alternativen Antrieben räumen Sie zukünftig die größten Chancen ein? Derzeit arbeiten die Hersteller ja an verschiedenen Lösungen wie beispielsweise Wasserstoff, Hybriden oder Brennstoffzellen etc.

Schellnhuber: Die Chancen der verschiedenen Alternativen hängen nur zum Teil von den technischen Innovationen beim Antrieb selbst ab. Daneben spielen Systeminnovationen eine große Rolle - das heißt Klima- und Umweltverträglichkeit, Totalkosten, sichere Verfügbarkeit und Handhabbarkeit in der gesamten Versorgungskette vom Primärenergieeinsatz bis zur Betankung. Wie bringt man etwa die Sonne Spaniens oder Algeriens zu vernünftigen Bedingungen unter unsere Motorhauben? Um die Chancen für nachhaltige Lösungen zu erhöhen, müssten Forschung und Entwicklung drastisch intensiviert werden.

»Mobilitätskosten eher erhöhen«

Autogazette: VDA-Präsident Bernd Gottschalk hat gerade eine Senkung der Mobilitätskosten gefordert. In diesem Zusammenhang spricht er sich unter anderem für die Rücknahme der letzten beiden Stufen der Ökosteuer aus. Was halten Sie von einer solchen Forderung?

Schellnhuber: Angesichts der durchaus nicht vernachlässigbaren Steuerbelastungen könnte man dafür vielleicht Verständnis haben, zumal auch die Ökosteuer nur bedingt als ökologisches Steuerungsinstrument konzipiert war. Andererseits legt uns die Schwere der Klimaproblematik - und der Anteil der fossil betriebenen Mobilität daran - nahe, diese Mobilitätskosten eher zu erhöhen als zu senken. Hier kann auch eine Ökosteuer ihren berechtigten Platz haben.

Das Interview mit Hans Joachim Schellnhuber führte Frank Mertens

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