«Wir schaffen uns einen riesigen Erfahrungs- und Zeitvorsprung»

«Wir schaffen uns einen riesigen Erfahrungs- und Zeitvorsprung»
Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld (l.) und sein Vize Peter Gutzmer in der Studie des People Mover. © dpa

Schaeffler hat zu Wochenbeginn die Übernahme von Paravan bekannt gegeben. Im Interview mit der Autogazette spricht Entwicklungschef Peter Gutzmer über die Gründe des Zukaufs.

Wie Gutzmer sagte, gehöre das autonome Fahren zusammen mit der Elektromobilität zu einem der Megatrends der Branche. «Es wird die individuelle Mobilität der Zukunft grundlegend verändern. Wir als Schaeffler müssen auch in diesem Bereich zu den Besten gehören – und das gelingt uns mit dem Zukauf von Paravan», sagte Gutzmer.

«Systemischen Ansatz weiter voranbringen»

Gutzmer räumte ein, dass man beim autonomen Fahren bisher eine Kompetenzlücke aufgewiesen habe, «auch wenn wir dieses Thema mit unserem People Mover begonnen haben konzeptionell aufzuholen». Nach dem Zukauf von Paravan wolle man den
«systemischen Ansatz Mechanik, Mechatronik und Aktorik weiter voranbringen», sagte Gutzmer, der auch stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Schaeffler ist.

«Steer-by-Wire-Konzept von Paravan weist dreifache Redundanz auf»

Autogazette: Herr Gutzmer, Schaeffler hat sich durch Zukauf die „Drive-By-Wire-Technologie von Paravan gesichert. Was macht die Technologie so interessant?

Peter Gutzmer: Das autonome Fahren gehört mit der Elektromobilität zu einem der Megatrends. Es wird die individuelle Mobilität der Zukunft grundlegend verändern. Wir als Schaeffler müssen auch in diesem Bereich zu den Besten gehören – und das gelingt uns mit dem Zukauf von Paravan.

Autogazette: Was wird durch den Zukauf möglich, was bisher nicht möglich war?

Gutzmer: Die Sensorik, die Software, das sogenannte ADAS-Umfeld und Cyber Security Themen spielen beim autonomen Fahren eine äußerst wichtige Rolle, wobei dies nicht losgelöst vom Anschluss an die Mechanik des Fahrzeugs betrachtet werden darf. Dabei ist es aus gesetzlichen Gründen entscheidend, dass hier redundante Systeme zum Einsatz kommen müssen. Genau darauf fokussiert die Technik von Paravan. Roland Arnold und seine Kollegen haben mit der systematischen Entwicklung und der Einführung dieser Technologie in Behindertenfahrzeugen dieses Problem gelöst. Das „Steer-by-Wire“-Konzept von Paravan weist eine dreifache Redundanz auf der Elektronik-, Mechatronik- und Softwareebene auf und erfüllt so alle gesetzlichen Anforderungen wie beispielsweise die Sicherheitsnormen ISO 26262 mit dem höchsten Sicherheitslevel ASIL D.

«Technik von Paravan hat 500 Millionen Fahr-Kilometer bestanden»

Peter Gutzmer. Foto: Schaeffler
Schaeffler-Etwicklungschef Peter Gutzmer in seinem Büro in Herzogenaurach. Foto: Schaeffler

Autogazette: Durch den Einsatz in Behindertenfahrzeugen liegen bereits die Zulassungen für die Technologie vor. Hat das den Kauf maßgeblich beeinflusst?

Gutzmer: Das Vorhandensein von globalen Straßenzulassungen war ohne Frage ein entscheidender Aspekt. Mit der von Herrn Arnold geschaffenen Technologie werden bereits heute alle funktionalen, sicherheits- und qualitätsrelevanten Anforderungen erfüllt, um ein Lenkrad und eine Lenksäule abzuschaffen und ein Fahrzeug über „Drive-by-Wire“ oder „Steer-by-Wire“ weltweit ohne Einschränkung zu bewegen.

Autogazette: Hätten Sie den Zukauf auch ohne diese Zulassungen getätigt?

Gutzmer: Ein entscheidendes Kriterium waren diese Straßenzulassungen. Wichtig war aber auch der Nachweis, dass Elektronik und Software den neuesten Qualitäts- und Absicherungsstandards entspricht. Nicht zu vergessen ist, dass Paravan bereits 6000 bis 7000 Fahrzeuge für Behinderte gebaut hat. Die Technik von Paravan hat damit mehr als 500 Millionen Fahr-Kilometer ohne Probleme bestanden. Dadurch schaffen wir uns einen riesigen Erfahrungs- und Zeitvorsprung.

«Drei bis vier Jahre schneller in Großserie»

Autogazette: Wieviel Zeit erspart Ihnen das?

Gutzmer: Damit können wir jetzt diese Technologie sicher drei bis vier Jahre schneller in die Großserie bringen.

Autogazette: Sie gründen zusammen mit Paravan ein Joint Venture, an dem Schaeffler 90 Prozent hält. Wie geht es jetzt konkret weiter?

Gutzmer: Die Technologie von Paravan gibt es bisher nur für Kleinserien und eben als Nachrüstlösung. Doch Paravan hat bereits damit begonnen, die nächste Generation des Space Drive System für die Großserie vorzubereiten – und da steigen wir nun mit unserer eigenen Mechanik-, Mechatronik-, Elektronik- und Softwarekompetenz ein, die wir mit dem Wankstabilisator oder der E-Mobilität aufgebaut haben. Für die Qualifizierung und Gross-Serienentwicklung von Space Drive III können wir bereits jetzt auf Prototypen-Systeme mit einer Straßenzulassung zugreifen. Damit können wir schnell in eine breite Erprobung und beschleunigte Gesamtentwicklung gehen.

Autogazette: Warum gehen Sie ein Joint Venture ein und machen es nicht allein?

Gutzmer: Wir haben uns bewusst dafür entschieden. Herr Arnold wird weiter seinen Betrieb der Behindertenfahrzeuge forcieren. Zugleich bringt er seine gesamte IP und sein Produktportfolio ins Joint Venture ein und natürlich sein Netzwerk, seine Erfahrung und seine Motivation.

«Wollen nicht zu einem Gesamt-Fahrzeughersteller werden»

Schaeffler Mover. Grafik: Schaeffler
Schaeffler hat seinen People Mover präsentiert. Er ist mit einem Radnabenantrieb unterwegs. Foto: Schaeffler

Autogazette: Haben Sie sich durch den Zukauf einen Wettbewerbsvorteil beim autonomen Fahren geschaffen?

Gutzmer: Wir wollen gar nicht zu Wettbewerbern im Feld des autonomen Fahrens aufschließen, die im Bereich der Sensorik und ADAS sowie Telekommunikation unterwegs sind. Uns ging es vor allem darum, beim autonomen Fahren überhaupt mit der Ergänzung und Erweiterung unserer mechatronischen Kernkompetenz als Chassis-Systempartner präsent zu sein.

Autogazette: Schaeffler hatte beim autonomen Fahren bislang also eine Kompetenzlücke?

Gutzmer: Ja, auch wenn wir dieses Thema mit unserem People Mover begonnen haben konzeptionell aufzuholen. Jetzt wollen wir mit dem systemischen Ansatz Mechanik, Mechatronik und Aktorik weiter voranbringen. Mit Blick auf unseren People Mover geht es uns um die Verbindung zwischen „Drive-by-Wire“ Konzepten, innovativen mechatronischen Fahrwerkslösungen und mit dem Radnabenantrieb Chassis- und Antriebskompetenz zusammenzuführen. Das könnte ein zukünftiges Geschäftsmodell sein.

Autogazette: Planen Sie den People Mover im Joint Venture mit Paravan zu bauen?

Gutzmer: Es ist für vorstellbar, dass wir den People Mover als Rolling Chassis in diesem Joint Venture auch industrialisieren. Wir wollen damit aber nicht zu einem Gesamt-Fahrzeughersteller werden.

«Wir wollen nicht die Ersten am Markt sein»

Autogazette: Ihr Konkurrent ZF hat zusammen mit e.Go den Start eines People-Movers für Ende 2019 angekündigt. Wann werden Sie Ihren auf den Markt bringen?

Gutzmer: Wir werden es wohl später tun. Ich gehe davon aus, dass wir mit dem People Mover 2022 oder später kommen. Wir wollen nicht die Ersten am Markt sein. Unser Hauptanliegen ist die „Steer-by-Wire-Technologie“ in den Fahrzeugbau zu bekommen, sie großserientauglich zu machen.

Autogazette: Der People Mover von ZF und e.Go soll Platz für bis zu 15 Personen bieten. Wie schaut Ihr Fahrzeug aus?

Gutzmer: Wir wollen ein Fahrzeug bauen, das in der Aufstandsfläche kleiner als ein heutiges Taxi ist. Es soll Platz für vier Personen samt Gepäck bieten. Wir gehen nicht in den öffentlichen Nahverkehr, es soll den Taxiverkehr in den immer voller werdenden Städten ersetzen. Mein Traum vom Radnabenantrieb lebt mit diesem Schaeffler Mover Konzept.

Autogazette: Erleben Sie diesen Traum noch als Entwicklungschef von Schaeffler?

Gutzmer: (lacht) Es ist vorstellbar, dass ich 2022 nicht mehr in dieser Rolle bin. Aber ich werde das Thema nach wie vor begleiten, aus welcher Position auch immer. Der Radnabenantrieb, die Elektromobilität, das Zusammenführen von Chassis und Antrieb das sind wichtige Innovationsschritte für Schaeffler und auch mit meine Babys und die werde ich auch im denkbaren Rentnerdasein nicht ganz aus dem Auge verlieren. Sehr wichtig ist, dass wir für die weitere Industrialisierung dieser Themen starke Teams aufgebaut haben, die für Kontinuität sorgen.

«Qualität und Sorgfalt geht vor Schnelligkeit»

Bio-Hybrid Schaeffler neu Aufmacher Schaeffler
Der Bio-Hybrid von Schaeffler wird derzeit weiter verfeinert. Foto: Schaeffler

Autogazette: Auf der einen Seite arbeiten Sie am People Mover, auf der anderen Seite an einem Bio-Hybrid, einem E-Bike. Wann wird es auf den Markt kommen?

Gutzmer: Qualität und Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Dass, was andere in diesem Bereich bringen, sind Spielobjekte. Mitte des kommenden Jahres werden wir eine Serie mit einer erkennbaren Zahl von Pilotfahrzeugen auf den Markt bringen. Wir planen, 2020/2021 den Bau einer größeren Serie.

Das Interview mit Peter Gutzmer führte Frank Mertens

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