Die CO2-Emissionen im Verkehr in Deutschland sind seit 1990 nicht zurückgegangen. Die dritte Auflage des Forschungsprojektes Renewbility zeigt Möglichkeiten auf, dass eine Dekarbonisierung des Verkehrs bis zum 2050 doch gelingen könnte.
Von Thomas Flehmer
Für Ferdinand Sauerbruch wäre der Fall zu kompliziert gewesen. In der so genannten Hörsaalruine der Charité Berlin, in der der berühmte Arzt als Leiter der Chirurgischen Klinik fungierte, sezierte Uwe Brendle gerade einen besonderen Patienten. „Fast gar keine Ziele sind erreicht worden“, sagte der Referatsleiter Umwelt und Verkehr, Elektromobilität des Bundesumweltministeriums, „der Patient Verkehr ist ziemlich krank. Die Frage ist, ob amputiert werden muss oder medikamentöse Maßnahmen ausreichen?“
Ausgehend vom Jahr 1990 sind die CO2-Emissionen durch zahlreiche motorische Maßnahmen der Hersteller zwar stark gesunken, da aber zugleich die Fahrzeugpalette stark angestiegen ist, wird immer noch so viel CO2 ausgepustet wie vor 26 Jahren. Die Klimaerwärmung schreitet also weiter voran und soll durch Klimaschutzgesetze international wie national aufgehalten werden, was aber bisher noch nicht von Erfolg gekrönt ist, wie auch das aktuelle Gezerre um den Klimaschutzplan von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks unterstreicht.
Dekarbonisierung des Verkehrssektors bis 2050 möglich
Um allerdings erfolgreich zu sein, spricht Brendle weiter, müssten auch die richtigen Medikamente eingesetzt werden, „damit der Patient nicht noch kränker“ werde. Für die richtige Medikation fühlt sich seit rund zehn Jahren der Modellverbund Renewbility zuständig. Der Verbund wissenschaftlicher Partner und Stakeholder aus Wirtschaft, Industrie und Zivilgesellschaft zeichnet Szenarien auf, wie der im Jahr 2050 fast emissionslose Verkehr aussehen könnte.
Mit den Ergebnissen der mittlerweile dritten Phase zeigt das Forschungsprojekt auf, dass „eine Dekarbonisierung des Verkehrssektors bis 2050 möglich ist“, wie Projektleiterin Wiebke Zimmer vom Öko-Institut unterstreicht. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die dann verwendeten Kraftstoffe auf erneuerbaren Energien basieren. Zugleich müsse der Energieverbrauch des Verkehrssektors so gering wie möglich gehalten werden.
Automatisiertes Fahren und Erdgas fallen raus
Das zieht nach sich, dass der derzeit ganz stark diskutierte Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor mittel – bis langfristig passieren müsse. Auf eine Jahreszahl wollen sich die Wissenschaftler nicht festlegen, doch sollten immer strengere CO2-Werte sowie die Anpassung der Kraftstoffpreise den Wechsel zur Elektromobilität forcieren. „Denn auch heute schon sind die CO2-Emissionen bei einem Elektroauto über den gesamten Lebenszyklus niedriger als beim Benziner oder Diesel, auch wenn bei der Herstellung mehr CO2 anfällt“, sagt Rita Cyganski vom Institut für Verkehrsforschung im Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR).
Da das Projekt die Elektromobilität als tragende Säule einstuft, zu der auch Brennstoffzellenfahrzeuge gehören, fällt auch schon auf dem Weg nach 2050 Erdgas oder flüssiges Erdgas aus der Kette hinaus, da es nicht klimaneutral ist. Auch Vorteile, die durch automatisiertes Fahren aufkommen könnten – wie beispielsweise ein effizienteres Parkraummanagement, fließen in das Projekt nicht mit ein. „Automatisiertes Fahren ist noch schwer absehbar, deshalb haben wir davon abgesehen, es in die Szenarien einzubauen“, sagt Frank Dünnebeil vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu).
Dafür wurde der Güterverkehr beachtet, der zu großen Teilen auf die Schiene verlagert werden soll, dessen Bedingungen durch zahlreiche Maßnahmen wie bei der Beladung oder Verlängerung der Güterzüge auf bis zu 740 Meter optimiert werden soll. Bei den Straßengütern sollte dann ebenso eine Dekarbonisierung erfolgen.
Hohe Pkw-Maut und Parkplatzkosten
Beim Stadtverkehr müssen die Kommunen hart durchgreifen, um dort die Fahrleistung bis 2050 zu halbieren und so für eine bessere Lebensqualität zu sorgen. „Eine Pkw-Maut in Höhe von vier Cent pro Kilometer auf öffentlichen Straßen“, halte laut Cyganzki die Leute ebenso aus den Innenstädten raus wie hohe Parkkosten in den Innenstädten, wie das in manchen europäischen Großstädten bereits der Fall ist.
Und gerade dort muss der Strukturwandel sehr viel schneller erfolgen als in anderen Umgebungen und Branchen wie bei der Landwirtschaft oder in der Industrie, die auch weiterhin Emissionen ausstoßen und somit von den anderen Branchen mitgetragen werden müssen.
Vorgaben müssen bald umgesetzt werden
Letztendlich muss die Politik den Rahmen schaffen, dass aus den entwickelten Szenarien später einmal Prognosen und noch später Realitäten erwachsen. Die Angst vor wegfallenden Arbeitsplätzen wird durch neue Arbeitsplätze bei den neuen Technologien aufgefangen. So manch ein Autohersteller bereitet seine Belegschaft bereits vor.
Und auch Brendle analysiert, dass „zuerst Korridore diskutiert und eingeengt werden müssen, sonst werden falsche Reflexe provoziert.“ Doch die Zeit drängt auf der anderen Seite auch. „Wenn wir die Vorgaben nicht bald umsetzen, wird die Politik zu drastischen Maßnahmen gezwungen werden. Dann wird es teurer.“ Und die drastischen Maßnahmen können auch nicht unbedingt medikamentös behandelt werden, sondern erfordern Amputationen.