Klimapaket für Umweltverbände ein Totalausfall

Klimapaket für Umweltverbände ein Totalausfall
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vize-Kanzler Olaf Scholz. © dpa

Die Spitzen der Koalition haben sich auf ein milliardenschweres Klimapaket verständigt. Kritik daran kommt von Umweltverbänden.

Höhere Preise beim Tanken und Heizen, aber im Gegenzug Entlastungen und Anreize: Für mehr Klimaschutz in Deutschland kommen auf Bürger und Firmen weitreichende Änderungen zu.

Auch unter dem Druck erneuter Klima-Proteste einigten sich die Spitzen der großen Koalition am Freitag auf ein milliardenschweres Paket. Damit soll die Bundesrepublik ihre verbindlichen Klimaziele für 2030 verlässlich erreichen. Als zentrales Element soll klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) einen Preis bekommen. Die nötigen Gesetzesänderungen soll das Bundeskabinett noch in diesem Jahr beschließen. Von Umweltschützern, der Opposition und aus der Wirtschaft kam umgehend Kritik.

Merkel spricht von Paradigmenwechsel

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach auch mit Blick auf die erneuten Klimaschutz-Demonstrationen von einem „Paradigmenwechsel“. Mit Recht seien Konsequenzen daraus eingefordert worden, dass Deutschland das Klimaziel für 2020 verfehlen dürfte. Daher soll ein Mechanismus kommen, der „so etwas wie eine Garantie“ für ein schrittweises Erreichen der Ziele für 2030 sein soll. Dafür soll das Klimakabinett der Regierung jährlich Zwischenbilanz ziehen und dafür sorgen, dass nachgesteuert wird.

Ziel ist, den Treibhausgas-Ausstoß Deutschlands bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken – von aktuell rund 866 Millionen auf 563 Millionen Tonnen jährlich.
Parallel zu den Beratungen gab es nahe dem Regierungsviertel und in weiteren deutschen Städten große Protestaktionen. Insgesamt gingen in Deutschland nach Angaben der Aktivisten 1,4 Millionen auf die Straße, allein in Berlin versammelten sich demnach 270 000, in Köln 70 000, und auch in Hamburg waren es laut Polizei 70 000. Schätzungen der Polizei lagen etwas niedriger als die Veranstalterangaben. Auch in vielen anderen Ländern folgten Hunderttausende Menschen einem globalen Aufruf der Jugendbewegung Fridays for Future.

54 Milliarden Euro bis 2023

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, die Koalitionspläne sicherten Arbeitsplätze und eröffneten Chancen, die deutsche Wirtschaft zu modernisieren. Bis 2023 seien Investitionen von insgesamt mehr als 54 Milliarden Euro vorgesehen. Zur Finanzierung soll es keine neuen Schulden geben. Alle Zusatzeinnahmen sollen in Klimaschutzmaßnahmen oder Entlastungen der Bürger fließen.

Förderungen sollen anfangs besonders attraktiv sein und später abschmelzen. In den nächsten Jahren sei „die große Gelegenheit“ zum Umstieg in klimafreundliche Optionen beim nächstem Autokauf oder Heizungstausch, heißt es in einem 22-seitigen Eckpunktepapier.

Kritik von BUND und Umwelthilfe

Klimastreik von Fridays for Future in Saarbrücken. Foto: dpa

„Die Große Koalition ist an ihren eigenen Zielen gescheitert. Das ist eine bittere Nachricht für das Klima und für alle Klimaschützerinnen und Klimaschützer, die heute die Straßen geflutet haben. Die Bundesregierung liefert keinen großen Wurf und keine Antwort auf die Klimakrise“, sagte Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Die Union ist hauptverantwortlich für den fehlenden Ehrgeiz, aber auch die SPD hatte offenbar nicht die Kraft, ihre Positionen durchzusetzen. Dieses schwache Klimapaket dokumentiert das Versagen vor der Herausforderung der Klimakrise und den Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen“, so Weiger weiter.

Für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sei kein Plan für den Einstieg in CO2-Reduktionen erkennbar. „Die Einführung eines CO2-Preises über einen nationalen Emissionshandel für die Sektoren Verkehr und Gebäude gleicht einem klimapolitischen Totalausfall. Die Umsetzung wird Jahre in Anspruch nehmen“, so die DUH.

Auch nach monatelangen Verhandlungen gebe es nur ein Bündel Eckpunkte und Maßnahmen, das meilenweit hinter den Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens zurück bleibe, kritisierte Greenpeace. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) betonte, damit es Planungssicherheit für Investitionen gebe, sei noch viel Detailarbeit nötig. Die Linke-Fraktionschefs Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sprachen von einem „weitgehend ineffektiven Flickenteppich an Maßnahmen“.

Ein Überblick über wichtige Elemente

CO2-PREIS: Ein CO2-Preis im Verkehr und bei der Wärmeerzeugung soll einen Schub für klimafreundliche Antriebe und Heizungen auslösen. Starten soll die Bepreisung von Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas 2021 mit einem Festpreis für Verschmutzungsrechte von 10 Euro pro Tonne CO2. Bis 2025 soll der Preis schrittweise auf 35 Euro steigen.

Erst danach soll sich der Preis der Verschmutzungsrechte über einen Handel bilden und innerhalb eines Korridors von Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Mit Verschmutzungsrechten handeln müssen nicht die Endkunden, sondern Unternehmen, die fossile Heiz- und Kraftstoffe anbieten. Folge ist aber, dass es beim Tanken und Heizen teurer wird. Der CO2-Preis soll künftig ein Bestandteil des Endpreises werden. Experten gehen davon aus, dass ein CO2-Preis von 35 Euro pro Tonne zum Beispiel Diesel beim Tanken um mehr als 9 Cent verteuert.

VERKEHR: Im Gegenzug für den CO2-Preis soll unter anderem die Pendlerpauschale steigen. Pro Kilometer sollen 35 statt 30 Cent von der Steuer abzusetzen sein – ab dem 21. Kilometer und befristet bis Ende 2026. Um die schwache Nachfrage nach Elektro-Autos zu erhöhen, soll die von Bund und Herstellern getragene Kaufprämie erhöht werden – für Autos mit einem Preis von unter 40 000 Euro. Die Kfz-Steuer soll für neue Wagen stärker an den CO2-Emissionen ausgerichtet werden.

Die Koalition will zudem Bahnfahren billiger und Flüge teurer machen. So soll die Mehrwertsteuer auf Fernzugtickets von 19 auf 7 Prozent herunter. Die Deutsche Bahn kündigte umgehend an, dass die Preise für ICE und Intercitys mit Inkrafttreten um zehn Prozent sinken sollen. Die sonst zum Jahresende oft übliche Preiserhöhung soll es nicht geben. Im Gegenzug zu dieser Steuersenkung soll die Luftverkehrsteuer für Starts von deutschen Flughäfen zum 1. Januar 2020 steigen.

HEIZEN: Der Wechsel von alten Ölheizungen zu klimafreundlicheren neuen Modellen soll mit einer „Austauschprämie“ von bis zu 40 Prozent der Kosten gefördert werden. Der Einbau neuer Ölheizungen soll ab 2026 verboten sein – „in Gebäuden, in denen eine klimafreundlichere Wärmeerzeugung möglich ist“. Für die energiesparende Gebäudesanierung ist eine steuerliche Förderung geplant.

ÖKO-STROM: Im Gegenzug zu einem CO2-Preis im Verkehr und bei Gebäuden soll auch die EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms ab 2021 gesenkt werden. Der Ausbau des Ökostroms soll beschleunigt werden. Um die Akzeptanz für neue Windräder zu erhöhen, sollen Kommunen künftig eine finanzielle Beteiligung am Betrieb von Anlagen erhalten. (AG/dpa)

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