Tollkühne Männer in ihren tollen Kisten

Historie Autorennen vor 100 Jahren

An diesem Wochenende findet der Oldtimer Grand Prix auf dem Nürburgring statt. Im Gegensatz zu den Rennen vor 100 Jahren ist das heutige Rennen aber ein wahrer Klacks, wie der Jubiläums GP im französischen Dieppe beweist.

Von Stefan Grundhoff

Als Christian Lautenschlager in seinem nicht mehr ganz strahlend weißen Mercedes 140 PS nach knapp sieben Stunden unter dem Klang der deutschen Nationalhymne die Zielflagge als erster sah, begann für Mercedes ein neues Zeitalter. Beim Großen Preis von Frankreich im französischen Dieppe feierten die Stuttgarter ihren ersten Grand-Prix-Sieg.

Tortur für Mensch und Material

100 Jahre später machte sich eine handvoll Wagemutiger auf, die Strecke an der französischen Kanalküste erneut zu bezwingen. Im Gegensatz zu 1908 jedoch ohne jeglichen Zeitdruck. Damals hatten die Piloten den Kurs über Stadt und Land entlang der Kanalküste zehn Mal hinter sich gebracht. Eine wahre Tortur für Mensch und Material.

Rennsportexperte Jochen Mass bei der Neuauflage 2008: «Es ist unglaublich, was die Fahrer in ihren Rennwagen vor 100 Jahren geleistet haben. Die Autos waren alles andere als leicht zu fahren. Trotzdem lag das Spitzentempo bei bis zu 170 km/h. Einige haben dieses Abenteuer auf schlechten Straßen mit dem Leben bezahlt.»

Gigantische Fortschritte

Mehr Ritt als Fahren ist angesagt Foto: press-inform

Man schreibt das Jahr 1908, Mercedes und Benz fahren noch als Konkurrenten gegeneinander und kämpfen bei Autorennen gegen so illustre Marken wie Mors, Opel, Fiat und Austin. Die Fortschritte im Automobilbau sind Anfang des letzten Jahrhunderts gigantisch. Ist man ein paar Jahre vorher noch mit 40 km/h durch die Lande kutschiert, schaffte das Siegerauto vom Typ Mercedes 140 PS beim Dieppe-Rennen im Juli 1908 eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 111 km/h.

Kaum eine Marke kann sich heute noch erlauben, auf ein Engagement im Motorsport zu verzichten. Die Anfänge der Grand-Prix-Ära liegen mehr als 100 Jahre zurück. Während nunmehr im Zweiwochen-Rhythmus Piloten wie Felipe Massa, Lewis Hamilton oder Nico Rosberg bei Formel-1-Rennen um Sieg und Ehren für Marke und Fahrerwartung kämpfen, war der Rennsport in der frühen Zeit noch ein echtes Abenteuer für tollkühne Männer in ihren tollen Kisten.

«Niederlage schlimmster Art»

Unbefestigte Straßen, kaum Sicherheitsvorkehrungen und waghalsige Piloten machten für die gerade in Frankreich rennsportbegeisterten Zuschauer den Reiz aus. Bei der Auflage des Großen Preis von Frankreich im Jahre 1908 hatten die erfolgsverwöhnten Franzosen viel gutzumachen. Briten und Italiener hatten ihnen in den Jahren einen Strich durch die Rechnung gemacht und so sollte es 1908 zu einem grandiosen Sieg kommen, der die Vormachtstellung es französischen Automobilbaus dokumentieren sollte. Doch die 300.000 Zuschauer erlebten mit einem überraschenden deutschen Dreifachtriumph eine böse Überraschung.

«Aus dem Grand Prix des Jahres 1908 ist eine Niederlage schlimmster Art für die Franzosen und ihre stolze Automobilindustrie geworden», titelte die seinerzeit führende «Allgemeine Automobil-Zeitung». Das schlimmste sei zudem, dass aus dem Namen Lautenschlager beim besten Willen keine französische Abstammung herzuleiten gewesen sei.

Schlaue Bauern

Gemütlich eng - zumindestens auf den Rücksitzen Foto: press-inform

Nach einem wilden Rennen mit zahlreichen Ausfällen und Reparaturen gewinnt der Mercedes 140 PS in der Besetzung Christian Lautenschlager, Willy Pöge und Otto Salzer. Auf den Plätzen zwei und drei machen sich mit Victor Hémery, René Hanriot sowie Fritz Erle zwei Benz-Fahrzeuge der Bauart 120 PS breit. Der Zusammenschluss von Mercedes und Benz erfolgt erst im Jahre 1926.

Damals galt die goldene Regel: «win on Sunday, sell on Monday» - wer Sonntag siegreich war, verkaufte seine Fahrzeuge am Montag darauf mit Leichtigkeit. Bereits am Sonntag hatten schlaue Bauern ihr Geld gemacht. Sie verlangten von den autobegeisterten Zuschauern fünf Franc Gebühr - für gute Plätze wurden sogar zehn Franc verlangt.

22 Reifen in zehn Stunden

Manchmal geht es nur mit Schieben Foto: press-inform

Bei der Jubiläumsauflage des Großen Preis von Frankreich in Dieppe geht es deutlich beschaulicher zu. Eine handvoll der automobilen Preziosen von einst sind am Start und legen die Strecke im sanften Galopp zurück. Was einem auf Asphaltstraßen ohne Windschutzscheibe, Kotflügel und mit dünnen Wagenreifen wie ein heißer Ritt erscheint, ist gerade einmal Tempo 100. Früher waren die Straßen ausgefahren, mit Schlaglöchern übersäht und die Reifen platzten - im schlimmsten Fall bei 160 km/h. Schwere Bedingungen für Mensch und Maschine.

Gewinner Lautenschlager kam mit dem letzten Reifensatz ins Ziel - 22 Reifen hatte er in den zehn Stunden vorher verschlissen. Während des Rennens hatte ein auffliegender Stein das Glas seiner Rennbrille durchschlagen: «Die Scherben tanzten mir nun innerhalb der Brille vor dem Auge auf und ab», berichtete der damals 31-Jährige.

Mehr Ritt als Fahrt

Auch Mitkonkurrent Victor Hémery aus Frankreich wurde von einem Stein am Steuer erwischt. In der siebten Runde wurde sein Auge durch Splitter verletzt. Mehr als Platz zwei war durch die 8:40 Minuten Rückstand nicht mehr drin. Die Autos waren technische Meisterleistungen. Vier Zylinder, über 12 Liter Hubraum und 120 bis 150 PS bei 1.400 Umdrehungen pro Minute - es ist mehr ein Ritt, als eine Fahrt - insbesondere ab 100 km/h. Fehlzündungen explodierten wie Kanonenschläge.

So sind auch die Einwohner von Dieppe erst einmal froh, dass der Große Preis von Frankreich nicht mehr vor der eigenen Haustür, sondern zumindest bis zu diesem Jahr in Magny-Cours ausgefahren wurde. Das verschlafene Örtchen Dieppe hat mit Motorsport ansonsten nichts mehr am Hut, setzt stattdessen auf Fischerei und die Touristen, die zumeist aus Paris an die Kanalküste kommen. Lärm ist hier ein Fremdwort. Zumindest bis zur nächsten Jubiläumsauflage des ersten Grand Prix von Frankreich.

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