«So alt wie die Oma»

Oldtimerliebe Mercedes 680 S

Sie verschlingen ein kleines Vermögen und schlucken irrwitzigen Mengen Benzin. Doch die Leidenschaft für Oldtimer lässt sich mit Vernunft ohnehin nicht erklären.

Von Susanne Kilimann

«Geld, das auf der Bank liegt, macht einfach keinen Spaß. So ein Auto dagegen -das ist ein Stück Lebensfreude.» Wenn Helga Schäfer von ihrem Schmuckstück spricht, leuchten die Augen. Über Preise wird nicht viel geredet in der Klassiker-Szene. Doch man muss kein Gutachter sein, um abzuschätzen, dass der wuchtige Wagen - 4,70 Meter lang und 1,70 Meter breit - den Gegenwert eines normalen Einfamilienhauses hat.

Aura von Extravaganz

Mit makelloser, königsblauer Karosse aus der berühmten Berliner Blechschneiderei Erdmann und Rossi steht regelmäßig auf Ausstellungen - wie zuletzt an der Villa d’Este am Comer See:Ein Mercedes-Benz 680 S Cabriolet, Baujahr 1928. Ein «King of the Road», über dem noch heute die Aura von Luxus und Extravaganz liegt. Wie damals, in den «Goldenen Zwanzigern», als Autofahren noch eine Passion der oberen Zehtausend gewesen ist.

Sein Debüt feierte der Mercedes Benz 680 S 1927. Exakt am 19. Juni, einem Sonntag. Tags zuvor war Deutschlands neue Rennstrecke, der Nürburgring, eingeweiht worden. Mit dem Eifelrennen für Motorräder. Am folgenden Tag gingen die Automobile an den Start - zum Kräftemessen auf dem neuen, schwierigen Parcours mit seinen berüchtigten Kurven, seinen Gefällen und Sprunghügeln.

Neue Maßstäbe

Mercedes-Benz 680 S Foto: Press-Inform

Der legendäre Rudolf Caracciola fuhr an diesem Tag als Erster ins Ziel, mit dem brandneuen 680 S unter dessen Haube ein Sechszylinder mit Kompressor-Aufladung aus dem Daimler-Motorenwerk heizte und mit 180 PS, 3000 U/min und 170 km/h Spitzengeschwindigkeit neue Maßstäbe setzte. Es war Ferdinand Porsche, der für den 680 S verantwortlich zeichnete. Unter Hochdruck hatte Porsche, damals noch Mercedes-Benz-Konstrukteur, seit Jahresbeginn an einem Fahrzeug getüftelt, das noch leistungsstärker war als der 630 K, der mit seinem Kompressor-Motor immerhin auch schon ein Spitzentempo von 145 Stundenkilometern ermöglicht hatte.

Obwohl der 680 S mit seiner tiefgelegten Karosserie und den tiefen Türausschnitten als Rennsportwagen entwickelt wurde, kam er schon bald als normaler Straßenwagen zum Einsatz. Für rund 30.000 Reichsmark orderten Autofans aus aller Welt Typ S aus der deutschen Autoschmiede als «Open Tourer» oder «Cabriolet». Insgesamt wurden 146 Exemplare gebaut und ausgeliefert.

Parade der Schönheiten

Heute sind Veranstaltungen wie der „Concorso d’Eleganza“, die Parade der weltschönsten Klassiker am Comer See, die Bühnen, auf denen sich die automobilen Trendsetter von einst wiedertreffen. «Wir haben uns riesig gefreut, als das Auto die Einladung zum Concorso bekam», sagt Helga Schäfer, die Unternehmerin aus Speyer und schaut auf die Uhr. Fast zwei.

In einer halben Stunde soll die Parade der Oldtimer im weitläufigen Park der Villa d’Este beginnen. Und dass man bei so einer Gelegenheit vor der Jury und vor den geladenen Gästen eine gute Figur machen will, versteht sich von selbst. «In einer Viertelstunde starten wir den Motor und legen eine Decke über die Haube», lautet Schäfers Anweisung an ihren Begleiter. Der junge Mann an ihrer Seite ist nicht nur erprobter Fahrer der Klassiker-Rallye Peking-Paris. Er kümmert sich auch um den technischen Zustand der Automobil-Veteranen im Technikmuseum Sinnsheim, in dem auch das königsblaue 680 S Cabriolet seit einigen Jahren seinen Platz hat.

Start ohne Probleme

Bugatti 57 Cabrio Foto: Press.Inform

Wieder einmal war die ganz Fürsorge übertrieben. Der 80jährige Kompressormotor startet ohne die geringste Schwierigkeit, zieht anstandslos an der Juroren-Tribüne vorbei, als Startnummer 20 im Corso von über 50 Oldtimern, die sich um die Coppa d’Oro, den großen Preis der Villa d’Este, bewerben. Die automobile Creme de la Creme ist auch diesmal wieder angereist:

Rolls-Royce und Bentleys, Bugattis, Ferraris und Lamborghinis, Alfa Romeos, Aston Martins und BMW, Exoten wie Hispano-Suiza und Delahaye. Der älteste Oldie ist Baujahr 1925, der jüngste von 1957. Während die Konkurrenz brav zum Standplatz im Park zurückrollt, schert die Nummer 20 aus der Parade aus und verlässt das Privatgrundstück der Villa d’Este. «Eine Spritztour am See, das gönne wir uns jetscht mal«, befindet Helga-Schäfer. Angst, dass sich das Schmuckstück im realen Verkehrsgeschehen Schrammen oder Schlimmeres zuziehen könnte, hat die temperamentvolle Oldie-Besitzerin und Geschäftsführerin des Sinnsheimer Technikmuseums nicht.

»Es gibt Leute, die Ihr Auto nur mit weißen Handschuhen anfassen. Zu denen gehören wir nicht.« Der Wagen stehe auch daheim nicht immer im Museum, erklärt sie. »Der wird rausgeholt und gefahren. Ist ja schließlich ein Fahr-Zeug, kein Stand-Zeug.«

In den kleinen Ortschaften am Comer See sind Helga Schäfers Hände im Dauereinsatz. Das Lenkrad ihres alten Benz hat sie zwar wegen einer Sehnenentzündung für diesmal ganz dem Begleiter überlassen. Doch auch Richtungsanzeigen sind Handarbeit.

Begeisterte Passanten

Und wo Passanten dem betagten Wagen begeistert zuwinken, winkt die Oldtimer-Crew mindestens ebenso begeistert zurück. Als ein betagtes Pärchen den Oldtimer und seine Insassen versonnen lächelnd vom Balkon grüßt, fällt der Unternehmerin die Mutter ein. »Unsere Oma kommt auch öfter mal auf kleine Ausfahrten mit und genießt das sehr. Die Oma und das Auto - das isch ein Jahrgang.«

Es ist kühl geworden, als die Sonne hinter der Bergen verschwunden ist und 690 S die Rückfahrt antritt. Mit sattem Sound donnert die Kompressormaschine durch die kurzen Tunnel. Ohne Probleme würde der Wagen auch die Heimfahrt über die Alpen schaffen, ist sich Fahrer Jörg Holzwarth sicher. Dass der Mercedes-Veteran trotzdem auf den Hänger kommt, liegt nicht an seinem besonderen Durst. Laut technischen Datenblatt lag der Durchschnittsverbrauch des 1,9 Tonnen schweren Fahrzeugs mal bei 26 Litern.

Kein Sieg

Wie viel der Oldie heute schluckt, weiß niemand so ganz genau. Die Tankfüllung wird mit einem Stab gemessen. »Und wenn der Pegel unters Limit sinkt, wird halt getankt.« Was längere Strecken mit dem betagten Auto so anstrengend macht, sind Oldtimerfans, die mit modernen Fahrzeugen auf der Straße sind. »Die überholen, scheren dicht vor uns ein, werden langsamer, um das Auto besser zu sehen«, so Jörg Holzwarth. »Und mit so einem Wagen, der einen viel längeren Bremsweg hat, bekommt man dann ernste Probleme.«

Arturo und Deborah Keller mit dem Mercedes 540 K Foto: Press-Inform

Den Siegerpokal der Villa d’Este 2008 hat das Sinnsheimer Mercedes-Cabriolet nicht geholt. Der Favorit von Publikum und Jury ist der Mercedes-Benz 540 K Autobahnkurier von 1938, den nicht nur mit technischen und ästhetischen Details punktet, sondern mit seinem enormen Seltenheitswert. Weltweit sollen nur noch zwei Autobahnkuriere existieren. Eines davon gehörte einst dem Schah von Persien und steht noch heute in Teheran. Der einzig fahrbereite 540 K gehört Arturo Keller, Amerikas größtem Mercedessammler, und wurde extra für den Concorso d’ Eleganza von Kalifornien an den Comer See geschickt. Dem schwarzen Autobahnkurier zollen auch die Sinsheimer Respekt: »Der Arturo hat den Sieg verdient, das isch ganz klar.«

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