Maserati Bora: Vornehmer Nachzügler

Maserati entdeckt den Mittelmotor. Erst spät konnte sich das Unternehmen aus Modena in den siebziger Jahren für das neue Konzept entscheiden. 524 Kunden konnten sich in den siebziger Jahren am Bora erfreuen.

Von Tobias Renk

Gut Ding will Weile haben oder wie aus einem Nachzügler einer der besten Supersportwagen der siebziger Jahre wurde. Es war höchste Zeit: Die Konkurrenz schlief nicht, war vielmehr recht aufgeweckt, und hatte die Messlatte hoch gelegt, sehr hoch. Da half auch alles Berufen auf die eigene Eleganz, die viel beschworene «vornehme Zurückhaltung», den entspannten Reiseluxus um jeden Preis, nichts: Schon allein des Images wegen brauchte man ein neues Auto, oder vielmehr: ein neues Konzept. Samt Auto.

Trend schon lang erkannt

Das Zauberwort hieß Mittelmotor. Und das hatte es bis dato noch nicht ins Reich des Dreizacks, zu Maserati, geschafft. Passte nicht, hatte man bei der altehrwürdigen Automobilmarke aus Modena lange gesagt. Sollten doch die Ferraris und Lamborghinis damit rumtoben, Maserati war dafür einfach zu erlesen. Half aber alles nichts. Am Mittelmotor führte keine Straße vorbei.

Wie es die Bologneser Konkurrenz mittels Miura und der Nachbar mit dem steigenden Pferd im Hauswappen wagemutig und letztlich restlos erfolgreich bewiesen hatten - Ferrari nicht nur mit dem «kleinen» - und von vielen leicht belächelten - 246 GT «Dino», sondern auch mit dem umso kompromissloseren 365 GT/4 BB «Berlinetta Boxer».

Citroen weist den Weg

Der Mittelmotor Foto: press-inform

Dabei hatte man bei Maserati den Trend durchaus erkannt: Schon kurz nach der Mehr-oder-weniger-Übernahme von Maserati durch Citroen hatte der Interimsherrscher über den Dreizack, Guy Malleret, dem Chefingenieur des Traditionsunternehmens, Giulio Alfieri, den Vorschlag zu einem Mittelmotor-Zweisitzer für die Straße gemacht. Und war auf weit offene Ohren gestoßen.

Alfieri, endlich vom argen finanziellen Korsett befreit, legte los. Einzige Vorgabe: Es sollte ein «Granturismo» werden, ein schneller, starker Reisewagen in der so langen und glorreichen italienischen Tradition. Und immerhin weg vom bewährten Frontmotor-Konzept mit den Modellen Mistral und dann schließlich Ghibli (2-Sitzer) und Indy (2+2 Sitze).

Vorliebe für Winde

Gedrungen, aber nicht plump Foto: press-inform

Während Alfieri an dem technischen Konzept arbeitete, formte einer die Außenhaut, der sich bei Maserati schon Meriten verdient hatte: Giorgietto Giugiaro, Schöpfer des betörenden Maserati Ghibli, mittlerweile Chef von Ital Design in der Nähe von Turin (und ganz nebenbei Designer des ersten VW Scirocco - auch ein Wind übrigens). Was dann anno 1969 unter dem - erst einmal inoffiziellen - Namen Bora auf die Prototypen-Straße kam (Maserati hatte in der Nomenklatur eine Vorliebe für berühmte Winde: Mistral in Südfrankreich, Ghibli in der Sahara, und jetzt eben Bora von der Adria-Nord-/Ostküste), hatte es in sich. Alfieri und Giugiaro hatten das Maximum herausgeholt aus dem von der Firmenleitung herausgegebenen Motto, das da «Innovativ, aber keineswegs revolutionär» oder so ähnlich gelautet haben dürfte.

Der Bora war gedrungen, aber nicht plump, kraftvoll, aber nicht wild, spektakulär statt brutal. Eine kurze, stark gewölbte Frontpartie mit einer spitz zulaufenden Haube über einem niedrigen Kühlergrill, der (bei den meisten Bora-Modellen) von einem schwarzen Gitter geschützt wurde, einfache (und nicht Doppel-) Klappscheinwerfer, eine schwungvolle Einrahmung für die Seitenscheiben und vor allem eine riesige, exzessiv verglaste Heckpartie kennzeichneten den nur 4,33 Meter langen, aber 1,77 Meter breiten und gerade mal 114 Zentimeter niedrigen Zweisitzer. Interessant auch die Sache mit den zwei Rahmen: Motor, Getriebe und Differenzial waren in einem separaten, demontierbaren und gummigelagerten Gitterrohrrahmen behaust, der mit dem Monocoque-Chassis flexibel verbunden war. Das Ergebnis: weniger Vibrationen, niedrigerer Geräuschpegel. Ganz in der kultivierten Tradition des Hauses.

Bekannte Motoren im Einsatz

Auch von hinten schön anzusehen Foto: press-inform

Die Kraftübertragung erfolgte über das branchenübliche und sehr bewährte
ZF-5-Gang- Schaltgetriebe, das zusammen mit dem Differenzial hinter dem Motor angebracht war. Neu (und eigentlich längst überfällig) bei Maserati war die Einzelradaufhängung an der Hinterachse - bislang hatte man hier auf eine zweifellos gut geführte, aber doch etwas antiquierte Starrachse gesetzt. Vorne war die Einzelradaufhängung obligatorisch.

Als Motoren kamen alte Dreizack-Bekannte zum Einsatz: die seinerzeit hochmodernen, sehr kompakt bauenden 90-Grad-V-8-Aggragate, vorwiegend aus Leichtmetall geformt, mit vier oben liegenden Nockenwellen und vier Weber-Doppelvergasern, bereits bekannt aus Ghibli und Indy. Zunächst 4,7 Liter groß und 310 PS stark, dann mit 4,9 Litern und ungefähr zehn Pferden mehr. Letztere Maschine brachte etwas mehr Durchzugskraft, manche «Kenner» bevorzugen allerdings das kleinere Triebwerk, weil es «spritziger» sei. In jedem Fall gilt der Motor als überaus kraftvoll und zugleich standfest, allemal gut für 260 km/h und mehr an Höchstgeschwindigkeit und Beschleunigungen von deutlich weniger als sieben Sekunden auf Tempo 100.

Gewöhnungsbedürftige Bremsen

Eine weitere Besonderheit des Bora war fraglos sein Citroen-Erbe. Der französische Konzern war in den 60er Jahren bei Maserati eingestiegen. Die Franzosen waren bekannt für ihre Hydraulik-Vorliebe. Ein spezielles Hochdruck-Hydraulik-System versorgte unter anderem die Lenkung und die Bremse mit Energie.

Während es an der Zahnstangensteuerung nichts auszusetzen gab, war die Verzögerung dem Vernehmen nach mehr als gewöhnungsbedürftig, da das Bremspedal praktisch ohne Weg arbeitete. Auch die Bremsen selbst waren nicht über jeden Zweifel erhalten.

Unannehmlichkeiten beim Fahren

Bereits mit Klimaanlage ausgestattet Foto: press-inform

Des weiteren lieferte die Hydraulik den Saft für die Betätigung der Klappscheinwerfer und für diverse Verstellmöglichkeiten, etwa Lenkrad, Fahrersitz und Pedalerie - alles in allem durchaus eine technische Avanciertheit. Der Spagat zwischen Sport und Komfort gelang auch innen ohne Beinbruch.

Vorherrschendes Material war Leder, von den veritablen Schalensitzen über Türverkleidungen, Instrumententräger und Mittelkonsole bis hin zum - natürlich - Volant. Ansonsten herrschte anheimelnder Teppichstoff vor, damals wohl tönend «Moquette» geheißen, der den Boden und auch das rückwärtige Querschott zum Motor hin bedeckte. Wärmeisolation und Schalldämmung galten übrigens seinerzeit als herausragend.

Die getönten Scheiben wurden selbstverständlich elektrisch geöffnet und geschlossen, das Kassettenradio war nur vom Fahrer erreichbar, und die Klimaanlage gilt auch heute noch als durchaus leistungsfähig. Das muss sie allerdings auch sein, denn einem langjährigen Bora-Fahrer zufolge machen sich bei geöffnetem Fenster zwei äußerst unangenehme Phänomene bemerkbar: Zum einen wird merkwürdigerweise dann die Mittelkonsole schnell sehr warm, und zum anderen dringen Auspuffabgase ins Wageninnere.

Teurer und schwerer als Ferrari

Das, so der «Zeuge», hängt wohl damit zusammen, dass die Auspuff-Endrohre nicht über die Hinterkante des Wagens hinausreichen - wie es bei anderen Sportwagen aus jenen Tagen durchaus an der Ordnung war (andere Modelle, zum Beispiel der Mercedes SL der 70er, hatten nach unten gekrümmte Auspuffmündungen, die den Dreck Richtung Boden drückten). Aber mit aktiver Air Condition sei alles in bester Ordnung. Komfort und Luxus unterfütterten den Sportanspruch natürlich mit Pfunden. Das Leergewicht betrug rund 1500 Kilogramm. Damit war der Bora deutlich schwerer als der 1974 erschienene Lamborghini-Schocker Countach (1375 kg), aber ebenso spürbar leichter als etwa der Frontmotor-Gran-Turismo 365 GTB/4 von Ferrari, bekannt als «Daytona» (1625 Kilogramm).

Das Handling jedenfalls - so vermitteln es sowohl zeitgenössische Testberichte, als auch laute Lobeshymnen aktueller Besitzer und Lenker - ist wohl hervorragend. Demzufolge macht der Bora sogar auf dem Rennkurs eine nach wie vor gute Figur, und auch richtig lange Reisestrecken seien keineswegs eine Tortur.

Der Maserati Bora, von dem zwischen 1971 und 1978 offensichtlich nur 524 Exemplare ausgeliefert wurden (und der in bescheidenem Umfang auch Sportehren erfuhr), konnte sich von Anfang an als das etablieren, wozu er konzipiert war: ein hochwertiger und sehr exklusiver Gran-Turismo, der ererbte Kultiviertheit mit unbestritten sportlichem Auftritt verband - ein Bulle mit Hang zur Dezenz.

Absolut undezent war hingegen der Verkaufspreis. In einem auto-motor-und sport-Autokatalog von 1972/1973 schlug der Bora mit 85.000 DM zu Buche - und damit die gesamte Konkurrenz von Ferrari über De Tomaso bis Lamborghini. Nur der Schweizer Peter Monteverdi ließ sich seine Sportwagen damals zum Teil noch teurer löhnen.

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