Kleine Reise um die Welt

Mille Miglia

Die Mille Miglia fesselt Anfang Mai hunderttausende Oldtimer-Fans und Rennsportliebhaber. Auch wenn es beim rollenden Automobilmuseum nicht um Zeitenrekorde geht, sind die 1600 Kilometer zwischen Brescia und Rom kein Zuckerschlecken.

Von Stefan Grundhoff

Die ersten Tage im Mai bedeuten für den nördlichen Teil Italiens jedes Jahr den Ausnahmezustand. Wenn die Mille Miglia durch Städte, Land- und Ortschaften dröhnt, wird das Gestern zum Heute. Das Spalier wird immer enger und enger - genau wie bei der Tour de France. Fotoapparate blitzen, immer wieder und immer wieder; Zehntausende stehen vor der Engelsburg in Rom und applaudieren als sich die Oldtimer den Weg zur Rampe bahnen. Blitzendes Chrom, schimmernder Lack, röhrende Motoren und ein bisschen Grusel. All das mach die Faszination der Mille Miglia aus.

375 Starter

Heute sind die «Tausend Meilen» eine rollendes Automobilmuseum, früher waren sie eine sportliche Härteprüfung für Fahrer und Zuschauer - oft genug mit Todesopfern. 1957 führte eine Tragödie zur Einstellung der Mille Miglia als Rennsportwettkampf: Der Ferrari des Spaniers Alfonso de Portago geriet in Schleudern und tötete in Guidizzolo neben Fahrer und Copilot auch mehrere unbeteiligte Zuschauer, darunter auch Kinder. Insbesondere die Kirche verlangte die Einstellung des populären Spektakels.

Heute ist das bei den jubelnden Zuschauern am Straßenrand fast vergessen. Wenn die Mille Miglia Anfang Mai Halbzeit feiert, dann ist ganz Rom auf den Beinen. Noch spektakulärer sind die Durchfahrten durchs nächtliche Cento, das turbulente Bologna oder die klassischen Stationen wie Buonconvento, Parma oder Viterbo. Die Zuschauer grölen und applaudieren, als wäre gerade der nächste Papst gekürt worden. Hunderttausende von Italienern und fast genauso viele Mille-Miglia-Touristen kommen jedes Jahr an die Route, wenn eine Schar von 375 Oldtimerfans sich daran macht, eine Strecke von eintausend Meilen zurückzulegen.

Extreme Klimaunterschiede

Die Mille Miglia des Jahres 2010 bietet wie gewohnt Höhen und Tiefen. Das Wetter schlägt Kapriolen: Von 23 Grad im Schatten bis zu drei Meter hohem Schnee. Liegen gebliebene Lagondas, brüllende Bugattis und ein grandios schönes BMW 328 Mille Miglia Coupé, das exakt 70 Jahre nach dem großen Mille-Triumph von Huschke von Hanstein an gleicher Stelle wieder siegreich ist. Bei der kleinen Reise um die Welt siegt einmal mehr Giuliano Cané. Der Ruhe und Beständigkeit der Mille-Miglia-Legende ist durch nichts beizukommen. Der zurückhaltende Italiener gewinnt bei seinem 14. Auftritt zum 10. Mal.

Dabei ist der sportliche Wert der Rennveranstaltung nachrangig. Wurde die Strecke von mehr als 1600 Kilometern früher in Rekordzeiten von unter neun Stunden zurückgelegt, so ist die Mille seit der Neuauflage im Jahre 1977 das bekannteste Oldtimerrennen der Welt. Doch die Beanspruchung von Mensch und Maschine ist enorm. Grund: Es wird scharf gefahren. Die Polizei drückt die Tage alle Augen zu und so wird ebenso über die sanften Hügel der Toskana gedonnert wie durch die Außenbezirke von Rom oder hinauf den Passo della Futa.

Buntes Teilnehmerfeld

Motorradpolizisten sorgen für freie Fahrt und machen sogar die Gegenspur frei - animieren einen zum Beschleunigen und helfen beim Schneiden unvorsichtiger Verkehrsteilnehmer. So eine Veranstaltung wie die Mille Miglia kann es eben nur in einem Land geben - in Italien.

Das Teilnehmerfeld ist bunt: Promis, Rennfahrer, Väter mit ihren Söhnen, Frauenteams und Entwicklungschefs von Autoherstellern. Nach den zweieinhalb Tagen ist jeder, der es geschafft hat, überglücklich. Was stört einen da, dass einem nachts von Motorenlärm und Fahrtwind die Ohren dröhnen. Die Teilnehmer kommen aus Europa, Asien, den USA und sogar Australien - schließlich darf die Mille Miglia in kaum einem automobilen Männertraum fehlen.

1600 Kilometer lang jubelnde Fans

Jedes Jahr sind bei der Mille Miglia die schönsten Rennwagen der Jahre 1927 bis 1957 im Renntempo zu bewundern. Das ehemals wohl schwerste Autorennen der Welt ist bei seiner seit 1977 ausgetragenen Neuauflage nicht mehr ganz so tollkühn, als Huschke von Hanstein, Stirling Moss oder Juan Manuel Fangio, die rund 1600 Kilometer durch Italien im Renntempo zurücklegten.

Schnell gefahren wird bei der Mille Miglia noch immer. Zwar geht es in erster Linie um Gleichmäßigkeit und Durchhaltevermögen, doch die grandiose Strecke von Brescia nach Rom und zurück ist nach wie vor eine Beanspruchung für Mensch und betagte Maschinen. In jedem Ort - in jeder Stadt das gleiche Bild: hunderttausende von Fans am Straßenrand der Route brüllen und jubeln, was das Zeug hält. Schließlich gilt es leistungsstarke Viel-Zylinder aus den Anfängen der Automobilära zu übertönen.

BMW 328 Star im Feld

Wer glaubt, dass sich die Italiener allein für Alfa-Romeo, Maserati und Ferrari begeistern können, die den originalen Rennen bis 1957 den Stempel aufdrückten, irrt. Neben den schon wegen des 100. Firmengeburtstages wild umjubelten Alfa-Modellen, ist die kleine Armee von BMW 328 ein Star-Ensemble im Feld.

Doch die Italiener lieben gerade auch die eigenen Marken. Wo sonst bekommt man Vorkriegsmodelle wie Lancia Lambda, Bugatti Typ 43, Alfa Romeo 6C oder einen Fiat 514 zu sehen? Im Renntempo vor der malerischen Umgebung erst wieder im nächsten Jahr - auf der Mille Miglia. (mid)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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