Der Golf-Jäger

Neuer Opel Astra in der Erprobung

Opel wird den neuen Astra erstmals auf der Internationalen Automobilausstellung im September vorstellen. Derzeit finden ausgiebige Tests im schwedischen Arjeplog statt.

Jedes Mal, wenn Michael Harder bei den Wintertests im nordschwedischen Arjeplog in ein Auto steigt, zieht er den Kopf besonders tief ein. «Man vergisst sehr schnell, wie hart Lederpolster bei deftigen Minusgraden werden können. Da sinkt man gar nicht mehr ein und deswegen habe ich mir mal den Kopf ganz schön angehauen», erzählt der Opel-Techniker lachend. Gottseidank ist das Entern des neuen Astra dieses Mal ohne größere Blessuren abgegangen und Harder kann seine Testrunden auf dem zugefrorenen See drehen. Schließlich ist der freundliche Mittfünfziger verantwortlich für Fahrwerk und Bremsen des neuen Golf-Jägers. Kein ganz unwesentlicher Bestandteil eines neuen Astra-Modells. Und wenn es um das Brot-und-Butter-Auto schlechthin geht, ist jeder noch kleine Fehler fatal. Zumal sich der Hoffnungsträger des angeschlagenen Konzerns in der finalen Phase seiner Erprobung befindet, die jeweils aus drei Sommer- und Winter Saisons besteht.

Technische Basis gelegt

«In der ersten Saison wird die technische Basis festgelegt, in der zweiten optimieren wir diese und im dritten wird sie validiert. Also ein letztes Mal überprüft, ob das Auto den Forderungen des Lastenheftes entspricht», erklärt Rita Forst, Vize-Chefin des Opel-Entwicklungszentrums. Ob in der Saab-Heimat Trollhattan, im Opel-Erprobungscenter in Dudenhofen, im spanischen Idiada oder beim ultimativen Fahrwerkstest auf der Nordschleife, versuchen die Entwickler jeden noch so kleinen Fehler zu finden und auszumerzen. Michael Harder kann dem langen, kalten Winter auch Positives abgewinnen: «Dieses Jahr habe ich als Entwickler im März noch gute Möglichkeiten. Letztes Jahr standen wir um diese Zeit schon im Wasser.»

Eine Testsaison in Arjeplog dauert von Anfang Dezember bis Ende März. Selbst dann ist das Eis auf dem See immer noch 1,6 Meter dick. Etwa 750 Personen arbeiten den ganzen Winter durch.

Um ein Auto serienreif zu machen, reichen aber selbst die arktischen Temperaturen Nordschwedens nicht. Opel betreibt auf dem hermetisch abgeriegelten Testgelände in Colmis, das sich in der Nähe von Arjeplog befindet, 30 Kältekammern, die die Autos zuverlässig und reproduzierbar auf Minus 45 Grad herunterkühlen. Da offenbaren sich selbst kleinere Materialschwächen erbarmungslos. Allerdings kann nicht alles auf dem Prüfstand oder in den großen Tiefkühltruhen überprüft werden. Deswegen müssen die Ingenieure immer das Steuer selbst in die Hand nehmen. Immer wieder werden Bremsmanöver gefahren, um das Verhalten der Bremsen bei extremen Temperaturen und Belastungen zu ergründen. Der spezielle «trockene», reine Schnee ist auch gut, um zu testen, wie das Auto reagiert, sobald der Motor die Flocken ansaugt und die Kühlereinlässe ebenfalls verstopft sind. «Das geht nur hier», sagt Rita Frost. Dafür müssen immer zwei Autos im Konvoi mit Minimalabstand fahren, damit der Hintermann die ganze Ladung Schnee abbekommt.

Sowas zerrt natürlich an den Nerven «Wenn man tagelang die gleichen Aktionen ausführt, bekommt man schnell einen Lager-Koller», erklärt Harder. Deswegen werden die Teams in der Regel nach einer Woche ausgetauscht. Für Abwechslung sorgen die Überlandfahrten durch die Wälder Nordschwedens, bei denen der automobile Alltag simuliert wird. Dabei kann die Straße manchmal nicht schlecht genug sein. Da darf nichts knacken oder knarzen. Kein Bereich des Fahrzeugs wird ausgelassen: Motor, Elektronik, Innenraum, Chassis, Karosserie und die Akustik. Beim neuen Astra lief soweit alles glatt.

200 Prototypen

Rund 200 Prototypen wurden allen möglichen automobilen Torturen unterzogen. Angefangen von Staub-Attacken bis hin zu rüttelnden Schotterpisten. Nun bekommt er den letzten Feinschliff. Schließlich soll er auf der IAA im September zur Schau gestellt werden und ab Ende des Jahres mithelfen, Opel aus der finanziellen Zwickmühle zu befreien. Und was ist, wenn quasi in letzter Sekunde doch mal ein gravierender Fehler zutage tritt? «Dann müssen wir uns eine Saison, zum Beispiel einen Winter in Neuseeland dazu kaufen», erklärt Forst die Lösung des Dilemmas. Diese Extra-Runde würde dann mindestens 100.000 Euro kosten. Eine Ausgabe, die sich jeder Hersteller gerne spart. Opel muss beim Astra den Geldbeutel nicht noch einmal aufmachen. Der Messias macht bei allen Übungen eine gute Figur.

Das Fahrwerk ist gutmütig und komfortabel. Selbst auf dem rutschigen Schnee reicht eine Lenkbewegung, um den das nach außen drängende Heck wieder einzufangen. «Der Corsa ist deutlich spitzer abgestimmt», sagt Rita Forst, während sie den Prototypen entspannt um die Ecke des Test-Parcours zirkelt. Eine modifizierte Verbundlenker-Hinterachse ist der Hauptgrund für die Berechenbarkeit des Kompaktwagens und Garant für den Komfort, der beim Astra zu den obersten Prioritäten zählt. Auch bei Wellen gibt es kein Stuckern oder Nachwippen. Das gute Basis-Fahrwerk erlaubt eine feinfühlige Abstimmung des ESP, das sogar kleine Driftwinkel zulässt. Dazu gehören dann auch dementsprechend potente Triebwerke, die auch bei der Neuauflage des Astra die 200-PS-Marke knacken wird. Möglich ist auch, dass wie beim Insignia ein Allrad-Antrieb für Traktion sorgen wird. Neben bekannten Motoren, wie den 105-PS-1,6-l-Benziner, sollen Turbos mit kleinem Hubraum für dementsprechenden Vortrieb sorgen. Auch eine EcoFlex-Version ist geplant. Die soll den anspruchsvollen Spagat zwischen ökologischer Vernunft und Spaß schaffen.

Insignia stand Pate

Beim Design und den Fahrassistenz-Systemen stand ebenfalls der große Bruder Insignia Pate. Ein Blick auf die ähnlich gestaltete aber weniger überladende Mittelkonsole beim Astra verrät Analogien. Unter Klebeband versteckt, findet man «Sport-» und «Tour»-Knöpfe für das adaptive Flex-Ride-Fahrwerk. Andere Features, wie die Opel-Eye-Kamera (Spurhalte-Assistent und Verkehrsschilder-Erkennung) werden vermutlich ebenso zu haben sein, wie das intelligente Scheinwerfer-System. Außerdem wird der Astra wie der Golf selbständig einparken können. Der etwas größere Radstand schlickt sich in einem angenehmen Raumgefühl und mehr Platz im Fond nieder. Zu dem vanartigen Gefühl tragen die schrägstehende, etwas weiter vom Fahrer entfernte Frontscheibe und die kleinen Zusatzfenster vorne und hinten bei.

Beim Exterieur wird die neue Opel-DNA auf den ersten Blick zu erkennen sein. «Das Design wird sich an dem des Insignia orientieren, es wird frisch und außergewöhnlich sein. Und sie können davon ausgehen, dass wir ein gutes Chassis und moderne Motoren haben. Und auch bei der Verarbeitung werden wir Maßstäbe setzen», sagt Opel-Chef Hans Demant, der mit einigen Top-Managern nach Nordschweden gekommen ist, um dem Astra seinen Segen zu geben. Die Zeit drängt. Nach den Sommer-Ferien soll die Produktion anlaufen. Auf der IAA wird der Astra seine Weltpremiere feiern und am Ende dieses Jahres bei den Händlern stehen. Management-Ride nennt sich diese Prozedur, bei der die Prototypen ohne Rücksicht auf Verluste durch den Schnee gefeuert werden. Dass es der eine oder andere der Chefs etwas übertrieben hat, zeigen die Einschlag-Spuren am Rande der zugefrorenen Piste. Neben den Erprobungsfahrten nutzen die Führungskräfte aus Rüsselsheim die Gelegenheit, um bei Zuliefern wie Continental und Bosch vorbeizuschauen, um laufende Projekte und neue Produkte zu besprechen.

Dabei gibt es ungeschriebene Gesetze: Obwohl sich das «Who-is-Who» der deutschen Automobil-Branche in Arjeplog die Klinke in die Hand gibt und hier die zukünftigen Modelle testet, ist Spionage wie in der Formel-1 kein Thema. «Man trifft sich manchmal am Abend auf einen Drink an der Bar, aber man schaut sich nicht unters Auto», erklärt Michael Harder den Ehrenkodex. Trotz der trauten Zweisamkeit sind die Entwickler froh, wenn es wieder nach Hause geht. Denn da warten schon Projekte auf sie. Das bedeutet: Früher oder später trifft man sich ohnehin wieder in der Kälte Schwedens. Denn der nächste Winter kommt so sicher wie die Erprobung des nächsten Modells.

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