«Der BDI erweist Deutschland keinen guten Dienst»

Sabine Nallinger, Vorständin Stiftung 2°

«Der BDI erweist Deutschland keinen guten Dienst»
Sabine Nallinger ist Vorständin der Stiftung 2°. © Markus Altmann

Sabine Nallinger ist Vorständin der Stiftung 2°. Im Interview mit der Autogazette spricht sie über die Klimastudie des BDI, über nötige Anreize für eine Verkehrswende und darüber, weshalb es für eine lebenswerte Welt eines ambitionierten Klimaschutzziels bedarf.

Für Sabine Nallinger von der «Stiftung 2° – Deutsche Unternehmer für Klimaschutz» lässt es der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit Blick auf die Erreichung der Klimaschutzziele bis 2050 an Ernsthaftigkeit vermissen. «Um das Ziel des Pariser Klimaabbkommens zu erreichen, müssen wir zu einer Reduktion von 95 Prozent der Treibhausgasemissionen kommen. Der BDI strebt indes nur 80 Prozent an und trifft keine Aussagen zu Sektorzielen. Da vermisse ich etwas die Ernsthaftigkeit», sagte Nallinger im Interview mit der Autogazette.

«Müssen das 2 Grad-Ziel einhalten»

«Wenn wir die Erde für die Menschen und die nachfolgenden Generationen lebenswert halten wollen, dann müssen wir das 2 Grad-Ziel einhalten. Dazu benötigen wir die 95 Prozent. Da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren», sagte Nallinger und fügte hinzu. «Der BDI erweist Deutschland keinen guten Dienst, wenn er lediglich die 80 Prozent Reduktion als Ziel ausgibt. Es geht darum, dass Deutschland im internationalen Vergleich Vorreiter ist, unsere Wirtschaft innovative Produkte auf den Markt bringt. Dazu brauchen wir ehrgeizige Ziele und ein Reduktionsziel von 80 Prozent ist nicht ehrgeizig genug.»

Die studierte Stadt-, Verkehrs- und Umweltplanerin ist seit September 2014 Vorständin der Stiftung 2°. Zu den Mitgliedern gehören u.a. Konzerne wie die Deutsche Bahn, Otto Group, Puma oder die Deutsche Telekom. Nallinger sitzt zudem für Bündnis 90/Die Grünen im Münchner Stadtrat und ist Mitglied im Hauptausschuss des Deutschen Städtetages.

«Da vermisse ich etwas die Ernsthaftigkeit»

Autogazette: Frau Nallinger, sind Sie derzeit arg enttäuscht über den Bundesverband der Deutschen Industrie?

Sabine Nallinger: Zunächst einmal finde ich es großartig, dass der BDI eine umfassende Klimastudie in Auftrag gegeben hat. Das zeigt, dass der Klimaschutz in der Wirtschaft angekommen ist.

Autogazette: Haben Sie nach der Vorstellung der Klimastudie des BDI den Eindruck, dass die Industrie ihren Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele bis 2050 leisten will?

Nallinger: Um das Ziel des Pariser Klimaabbkommens zu erreichen, müssen wir zu einer Reduktion von 95 Prozent der Treibhausgasemissionen kommen. Der BDI strebt indes nur 80 Prozent an und trifft keine Aussagen zu Sektorzielen. Da vermisse ich etwas die Ernsthaftigkeit.

«Die 95 Prozent müssen wir einhalten»

Für die Klimaschutzziele braucht es eine CO2-Reduzierung. Foto: dpa
Für die Erreichung der Klimaschutzziele braucht es eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Foto: dpa

Autogazette: Der BDI bezeichnete die 80 Prozent als ambitioniert, die 95 Prozent als überambitioniert. Sind sie das?

Nallinger: Die 95 Prozent müssen wir einhalten. Wenn wir die Erde für die Menschen und die nachfolgenden Generationen lebenswert halten wollen, dann müssen wir das 2 Grad-Ziel einhalten. Dazu benötigen wir die 95 Prozent. Da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren.

Autogazette: Muss Deutschland bei der Klimapolitik Vorreiter sein und sich solch ambitionierten Zielen wie der 95-prozentigen Treibhausgasemission verpflichtet fühlen?

Nallinger: Der BDI erweist Deutschland keinen guten Dienst, wenn er lediglich die 80 Prozent Reduktion als Ziel ausgibt. Es geht darum, dass Deutschland im internationalen Vergleich Vorreiter ist, unsere Wirtschaft innovative Produkte auf den Markt bringt. Dazu brauchen wir ehrgeizige Ziele und ein Reduktionsziel von 80 Prozent ist nicht ehrgeizig genug.

Autogazette: Ist der BDI mit Blick auf die Klimapolitik zu rückwärtsgewandt?

Nallinger: Beim Klimaschutz kann man noch deutlich zulegen. Ich denke, dass ein Ziel der Klimastudie des BDI war, die interne Diskussion bei den Unternehmen innerhalb des BDI voranzutreiben. Das hat man geschafft und das ist auch wichtig.

«Wir sehen eine florierende Wirtschaft»

Autogazette: Der BDI hat Deutschland vor Alleingängen in der Energie- und Klimapolitik gewarnt und sprach von Produktionsverlagerungen. Geht hier Industrie- vor Klimapolitik?

Nallinger: Ich gehe davon aus, dass es auch im BDI unterschiedliche Meinungen gibt. So gibt es auch beim BDI Unternehmen, denen es beim Klimaschutz nicht schnell genug vorangeht. Diese Unternehmen möchten mit ihren Produkten am Weltmarkt ganz vorne mit dabei sein. Deutsche Produkte haben ja nicht nur einen Qualitätsbonus, sondern sie sind auch zukunftsgerichtet und innovativ. Ich gehe davon aus, dass der BDI sich an den langsamsten Unternehmen ausrichten musste. Deswegen ist die Studie auch so ausgefallen.

Autogazette: Für wie real halten Sie das skizzierte Szenario von Produktionsverlagerung?

Für das Klima braucht es einen schnellen Ausstieg aus der Kohle.
Für ein besseres Klima braucht es einen schnellen Ausstiegs aus der Kohle. Foto: dpa

Nallinger: Es werden immer wieder die hohen Energiekosten und das Erneuerbare Energien Gesetz mit seinen hohen Umlagen angemahnt. Doch was sehen wir? Wir sehen eine florierende Wirtschaft in Deutschland. Sie hat, während das EEG eingeführt wurde und während das EEG gewirkt hat, weitere Zuwachsraten erzielt. Anscheinend hat die Energiewende uns nicht geschadet.

Autogazette: Müssen sich Unternehmen mit einem hohen Energiebedarf überhaupt beklagen? Viele sind doch von der EEG-Umlage befreit.

Nallinger: Ein Großteil der Industrie ist von der EEG-Umlage befreit. Weit mehr übrigens, als ursprünglich einmal geplant war. Bei den Energiekosten liegen wir in Deutschland im europäischen Vergleich mittlerweile im unteren Drittel. Die Energiewende hat nicht dazu geführt, dass der Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland darunter gelitten hätte.

«Heute steht Automobilindustrie an einem Wendepunkt»

Autogazette: Für die Unternehmen der Stiftung 2° schließen sich Wettbewerbsfähigkeit und eine ambitionierte Klimapolitik nicht aus. Sind diese Unternehmen die Ausnahme?

Nallinger: Die Allianz der Unternehmen, die sich mit dem Thema Klimaschutz beschäftigt, wird immer größer. Es gibt immer mehr Unternehmen, die sagen, dass wir die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommen erfüllen müssen. Wenn man es nicht tut, lassen wir uns Wettbewerbsvorteile entgehen. Deutsche Produkte sollten weiter nicht nur als qualitativ hochwertig, sondern auch als modern, innovativ und zukunftsweisend gelten – ein neues «Made in Germany».

Autogazette: …Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz ist voneinander also nicht zu trennen…

Nallinger: ….absolut. Die Unternehmen, die sich in der Stiftung 2° zusammen geschlossen haben, sehen darin eine Chance. Wenn wir diese beiden Aspekte als Widerspruch erachten, haben wir Nachteile. Schauen Sie nur auf die Energiewende: Da gab es genügend Unternehmen, die den Tatsachen nicht ins Auge geschaut haben. Die mussten dafür einen Preis zahlen. Heute steht die Automobilindustrie an einem solchen Wendepunkt; sie muss sich bewegen.

«Die Unternehmen brauchen klare Rahmenbedingungen»

Mit dem BMW i3 haben die Münchner ein eigene Konzept für die E-Mobilität geschaffen. Foto: BMW

Autogazette: Wie beurteilen Sie die Wandlungsfähigkeit der Autoindustrie?

Nallinger: In einem derartigen Transformationsprozess müssen Politik und Wirtschaft zusammen spielen. Da die Politik keine klaren Vorgaben macht und die Unternehmen alleine lässt, kommt es zu unterschiedlichen Strategien der Hersteller. Die Unternehmen brauchen klare Rahmenbedingungen, die rechtzeitig kommuniziert werden, damit sie sich darauf einstellen können. Sie müssen klar und verlässlich sein und den Unternehmen auch den entsprechenden Vorlauf geben.

Autogazette: Wie zufrieden sind Sie derzeit mit der Strategie der deutschen Autobauer auf dem Weg in die Elektromobilität?

Nallinger: Es gibt nicht die Autoindustrie. Jeder große Konzern fährt seine eigene Strategie. BMW ist hier für mich am weitesten mit seinem E-Mobilitätskonzept wie dem i3. Mittlerweile kündigen ja fast alle Hersteller an, ihre Modelle zu elektrifizieren. Warten wir mal ab: bislang sind es Ankündigungen.

Autogazette: Ist BMW für Sie Vorbild für die anderen Autobauer?

Nallinger: Die BMW Group ist hier für mich am ernsthaftesten mit dem Thema umgegangen und hat ein neues Fahrzeugkonzept entwickelt. Andere haben eine bestehende Karosserie genommen und dort nur einen Elektromotor eingebaut.

Autogazette: Wie kommt es, dass kein Autohersteller und kein Energieversorger die Stiftung 2° unterstützt?

Nallinger: Wir wollen die Bandbreite der Wirtschaft repräsentieren. Das ist uns in vielen Branchen gelungen. Wir sind in guten Gespräch mit der Autoindustrie und den Energieunternehmen.

«Was ist die deutsche Klimapolitik?»

Autogazette: Deutschland hat sich gerade vom Klimaschutzziel 2020 verabschiedet, das eine Treibhausgasreduktion von 40 Prozent im Vergleich zu 1990 vorsah. Wie ambitioniert ist vor diesem Hintergrund die deutsche Klimapolitik?

Nallinger: Was ist die deutsche Klimapolitik? Wir haben den Klimaschutzplan 2050, der sicher eine gute Grundlage bietet. Doch wenn man die Sondierungsgespräche betrachtet, dann hat der Klimaschutz nicht den Stellenwert gehabt, den er hätte haben müssen. Aber ich bin zuversichtlich, dass das Thema Klimaschutz in den Koalitionsgesprächen eine höhere Priorität erhält.

Autogazette: Ein Fünftel aller CO2-Emissionen entfallen auf den Verkehrssektor. Kommt diesem Sektor aus Ihrer Sicht eine besondere Bedeutung unter den Sektoren zu?

Nallinger: Der Verkehrsbereich ist der Bereich, wo wir gar keine Fortschritte erzielt haben. Es ist der Bereich, wo wir endlich ran müssen. Wir müssen zu einer nahezu emissionsfreien Mobilität kommen.

«Über eine Quote sollten wir uns auch Gedanken machen»

Autogazette: Brauchen wir vor diesem Hintergrund ab 2030 einen Zulassungsstopp für Verbrenner, wie es die Grünen fordern?

Nallinger: Verbote finde ich ganz grundsätzlich nicht den besten Weg. Länder mit einer Quote haben indes ihren Fuhrpark bereits auf elektrische Fahrzeuge umgestellt. Deswegen ist eine Quote ein sinnvolles Instrumentarium auf dem Weg in eine nachhaltige Mobilität. Über eine Quote sollten wir uns auch in Deutschland Gedanken machen.

Autogazette: Sie befürworten also eine Elektro-Quote, die es in China ab 2019 geben wird?

Nallinger: Bevor es zu Fahrverboten in Städten kommt und wir über Zulassungsverbote diskutieren, sollten wir lieber darüber sprechen, wie wir schnell unseren Fuhrpark elektrifizieren können. Wenn ich eine Planbarkeit durch eine Quote habe, kann ich auch die Infrastruktur besser planen.

Autogazette: Selbst die Kaufprämie hat nicht dazu beitragen können, dass es einen Run auf Elektroautos gegeben hat. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Nallinger: Es sind derzeit noch die Kosten und für viele Kunden auch die Reichweite.

«Brauchen Bepreisung für Energie- und Flächenverbrauch »

Protest von Greenpeace gegen schmutzige Diesel. Foto: dpa
Greenpeace demonstriert gegen schmutzige Diesel. Foto: dpa

Autogazette: Freut Sie mit Blick auf die Verkehrswende die Diskussion um Dieselfahrverbote?

Nallinger: Freuen, nein. Doch wenn wir in die Elektromobilität einsteigen wollen, brauchen wir eine E-Quote, eine Bepreisung für den Energie- und den Flächenverbrauch. Denn wir haben auch ein Flächenproblem in den Städten. Bei einer City-Maut, bei Parkplatzgebühren müssen umweltfreundlichere Autos begünstigt werden. Zugleich muss der Öffentliche Personennahverkehr und der Radverkehr fit gemacht werden.

Autogazette: Berlin will unter anderem das Radwegenetz ausbauen. Kann Berlin mit seiner Verkehrspolitik beispielhaft für deutsche Großstädte sein?

Nallinger: Andere Städte schauen ganz genau darauf, was Berlin gerade macht. Ich komme selbst aus München – und München galt lange als Radlhauptstadt. München wird hier gerade der Rang abgelaufen. Mit dem Mobilitätsgesetz, das es in Berlin geben soll, werden neue Wege gegangen, indem der Auto- und der Radverkehr ein Stück weit getrennt werden. Jetzt geht es darum, die Fläche gerecht aufzuteilen.

Autogazette: Welche Forderung haben Sie für die zukünftige Verkehrspolitik?

Nallinger: Es ist ein Armutszeugnis, dass wir im Verkehrssektor bei den Klimaschutzzielen nicht weiter gekommen sind. Dabei liegen die richtigen Konzepte vor. Derzeit wartet die Wirtschaft ab, dass die richtigen Signale von der Politik kommen. Die Menschen sind bereit: sie wollen umsteigen. Sie wollen nicht mehr in ihren alten fossilen Fahrzeugen unterwegs sein, die die Luft verpesten. Dafür brauchen wir die Quote und weitere Anreizsysteme wie über die Mineralölsteuer.

Das Interview mit Sabine Nallinger führte Frank Mertens

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