Die Rettung vor dem Querverkehr

Fahrassistenzsysteme für Motorräder

Bei BMW forscht man intensiv an Fahrassistenzsystemen für Motorräder. Es ist ein komplexes Projekt, das am Ende die Zahl tödlicher Unfälle verringern kann. Die Serienreife wird aber noch dauern.

Von Frank Mertens

Müdigkeitswarner, Abstandswarner, Nachtsichtassistenten oder Spurwechselassistenten: Fahrassistenzsysteme sind aus modernen Autos nicht mehr wegzudenken. Da hilft beispielsweise ein Nachtsichtassistent, Hindernisse zu erkennen, die allein durch die Leuchtkraft des Scheinwerfers nicht erfasst werden. Oder ein Spurwechselassistent erkennt Fahrzeuge im toten Winkel und warnt den Fahrer vor dem Überholvorgang. Es sind Systeme, die das Autofahren sicherer machen und die Zahl der Unfälle reduzieren helfen.

Komplizierter als beim Auto

Doch was bei Autos mittlerweile zur Normalität geworden ist, gibt es beim Motorrad bislang nicht - noch nicht. Denn die Forscher haben die Notwendigkeit für Fahrassistenzsysteme beim Zweirad längst erkannt. Schließlich gehören die Biker weiterhin zu den am stärksten gefährdeten Verkehrsteilnehmern. Doch die Entwicklung solcher Systeme für das Motorrad ist weitaus komplizierter als beim Auto. «Es ist deshalb schwieriger, weil das Motorrad eine andere Position im Verkehr einnimmt als ein Pkw. Beim Auto gibt es einen Lenkeinschlag, durch den ich in Verbindung mit der GPS-Position die Fahrzeugposition genau bestimmen kann. Das stellt sich beim Zweirad durch den geringeren Lenkwinkeleinschlag und die Schräglage weitaus komplizierter dar», sagt Reiner Pfeifer.

Pfeifer ist BMW Mitarbeiter des Projektes «ConnectedRide», einem Programm, mit dem die Münchner das Motorradfahren sicherer machen wollen. Derzeit arbeiten acht Forscher in dem Projektteam. Es ist ein interdisziplinäres Team, es forschen also Kollegen der Motorradsparte gemeinsam mit denen vom Auto. Losgelöst voneinander zu arbeiten mache auch kein Sinn, erzählt Pfeifer.

Vernetzung der Fahrzeuge

Im Head-up-Display wird der von der Seite kommende Motorradfahrer angezeigt Foto: BMW

Schließlich geht es bei Sicherheitssystemen um die Vernetzung beider Fahrzeuggattungen. Dabei fungiert das Motorrad zumeist als Empfänger der Informationen. Hier sendet beispielsweise ein Auto den Hinweis an das Motorrad, dass es beispielsweise auf dem Streckenabschnitt zwischen München und Rosenheim Nebel oder Glatteis gibt.

«Ein Auslösealgorithmus kann beispielsweise die Weitergabe der Außentemperatur sein beziehungsweise wie viele Autos die Nebelscheinwerfer eingeschaltet haben.» Daneben kann der Motorradfahrer durch eine Sprachausgabe oder einen Warnhinweis in der Instrumenten-Kombi darauf hingewiesen werden, dass sich ein Hindernis auf der Fahrbahn befindet wie ein stehender Laster in einer Kurve oder ein Stau. «Die Warnung ist dann mit dem Hinweis verbunden, wie weit das Hindernis noch entfernt ist.»

Erfassung der Bremsvorgänge

Achtung, die vorausfahrenden Autos bremsen. Im Display des Motorrades leuchtet ein Warnhinweis auf Foto: BMW

Damit der Fahrer ausreichend Zeit hat, sich auf eine Gefahr einzustellen, gehört auch die Erfassung von Bremsvorgängen von vorausfahrenden Fahrzeugen zu den Forschungsschwerpunkten. Eine Situation, die man gerade von der Autobahn aus dem Kolonnenverkehr kennt, wo ein Auto stark abbremst, man es aber nicht erkennt, weil vor einem noch drei andere Fahrzeuge fahren. «Durch die Weitergabe der Signale des Bremslichts können die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer mittels eines akustischen oder optischen Signals rechtzeitig gewarnt werden, so dass Auffahrunfälle verhindert werden.»

Zu den aufwändigsten Forschungsfeldern gehört indes der Querverkehrsassistent an Kreuzungen, wo 30 Prozent aller tödlichen Motorradunfälle passieren. «Hier stehen wir vor der Herausforderung, das Fahrzeug herauszufiltern, das eine Gefahr darstellt - kein einfaches Unterfangen.» Einfacher sieht es da schon mit dem Ampelphasen-Assistenten aus, bei dem die Lichtanlage mit dem Fahrzeug kommuniziert und ihm anzeigt, wann rot ist und mit welcher Geschwindigkeit man sich annähern muss, um eine Grünphase zu erwischen.

Infrastruktur muss vorhanden sein

Damit derartige Fahrassistenzsysteme funktionieren, ist indes eine entsprechende Infrastruktur notwendig. «Wenn sich ein Bundesland oder eine Stadt entscheidet, eine solche Infrastruktur bei Ampeln zu schaffen, hätte man natürlich schnell eine hohe Durchdringungsrate, die das Funktionieren ermöglichen würde.»

Schlechtwetter-Warnung, im Cockpit des BMW-Motorrad wird die Gefahrenquelle angezeigt Foto: BMW

Schwieriger schaut es da bei der Fahrzeug-zu-Fahrzeug Kommunikation (Car2Car) aus. «Mindestens 30 Prozent der Fahrzeuge müssen ein solches System an Bord haben, damit es seinen Zweck erfüllt. Zudem benötige ich diese Durchdringungsrate über die verschiedenen Hersteller hinweg.» Damit es dazu kommt, läuft seit Oktober 2008 das vom Verband der Automobilindustrie initiierte Projekt «Sichere Intelligente Mobilität - Testfeld Deutschland» (SIM-TD). Daran beteiligt sind Hersteller wie BMW, Daimler, Opel und Zulieferer wie Bosch oder Siemens. Das Projekt hat eine Laufzeit von vier Jahren und ist verbunden mit einem Großversuch in Frankfurt/Main.

Kontrollierte Testfahrzeuge

Dort sollen ab dem Jahr 2011/2012 laut Pfeifer 400 Fahrzeuge unterwegs sein, wovon 100 kontrollierte Versuchsfahrzeuge sind. «Ihnen wird gesagt, zu welchem Zeitpunkt sie an welcher Kreuzung zu sein haben. Die 300 übrigen Autos erweitern als externe Flotte das Netzwerk für die Assistenzsysteme.» Ziel dieses Projektes ist, das Funktionieren der Assistenzsysteme unter realen Bedingungen zu testen. Läuft alles positiv, dann kann das Projekt flächendeckend in Angriff genommen werden. Bis es dann jedoch Realität wird, vergehen Jahre.

Sind miteinander vernetzt - Auto und Motorrad Foto: BMW

«Mit den Ergebnissen aus SIM-TD können wir die Serienentwicklung starten, dabei kann es bei der Kommunikation mit der Infrastruktur schneller gehen als zwischen Fahrzeug und Fahrzeug .» Die Technik lässt sich dann beim Motorrad in einem kleinen Steuergerät mit der Größe eine Zigarettenschachtel unterbringen. Zu den möglichen Kosten eines solchen Assistenzsystems lässt sich derzeit noch nichts sagen, «aber es wird kein Kostentreiber sein und soll sich auch als Nachrüstlösung einbauen lassen».

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