Das Jahr der Europäer

Motorräder 2010

2010 könnte in der Motorradindustrie das Jahr der Blau-Weißen werden. Während die großen japanischen Hersteller ihre Wunden lecken, klotzt der vergleichsweise kleine deutsche Hersteller BMW richtig ran.

Von Thilo Kozik

Im Jahr Eins nach dem Zusammenbruch des weltweiten Zweiradmarktes herrscht bei den etablierten vier Japanern die große Flaute. Dagegen legen sich die europäischen Hersteller richtig ins Zeug, allen voran BMW und Ducati.

Alternative Antriebe ohne Chance

Eines sei dabei vorweggenommen: Tragfähige alternative Antriebskonzepte in Form von Elektro- oder Hybridfahrzeugen spielen auch im Jahr 2010 noch keine Rolle. Zwar hat KTM eine Enduro mit Elektromotor im Abschlusstest, der schweizerische Hersteller Quantya bietet seine Elektrocrosser auf eigenen Erlebnisparks an und weitere Hersteller wie Zero drängen auf den Markt. Die aktuellen Probleme der Reichweite und Energiebereitstellung verhindern jedoch eine flächendeckende Verbreitung.

Vielmehr als für die grüne Welle könnte 2010 das Jahr der Blau-Weißen werden. Während die große japanische Motorradindustrie ihre Wunden leckt und mit rigiden Sparprogrammen inklusive Werksschließungen und abgespecktem Neumodellprogramm auf die zurückgegangenen Verkäufe reagiert, klotzt der vergleichsweise kleine deutsche Hersteller BMW richtig ran: Die Münchener beleben die Zweirad-Szene 2010 mit ihrem Supersport-Überflieger S 1000 RR und einer motorseitig komplett aufgefrischten Boxer-Palette. Dabei stellt das Superbike mit nominell 142 kW/193 PS das stärkste Supersportmotorrad der Welt dar, das zudem mit verschiedenen Fahrmodi versehen ist und gegen Aufpreis mit den hochwirksamen elektronischen Hilfen Race-ABS und Traktionskontrolle ausgestattet werden kann - und aller Erfahrung nach auch wird. Damit erhöht sich der Basispreis von 15.500 Euro auf gut 17.000 Euro.

Überarbeiteter Boxer-Motor

Die BMW R 1200 RT Foto: BMW

Dem Verkaufserfolg wird dies jedoch keinen Abbruch tun, da die einstmals schier übermächtige japanische Konkurrenz in diesem Jahr keine wirklich neuen Supersportler an den Verkaufsstart schiebt. Auch die zweite bayerische Neuheit wird vermutlich gut ankommen: Der mit Vierventiltechnik und zwei oben liegenden Nockenwellen überarbeitete 1200er Boxermotor ist auf 81 kW/110 PS erstarkt und soll mit einer fülligeren Drehzahlmitte überzeugen.

Der Motor kommt bei allen großen Boxermodellen zum Einsatz: im deutschen Topseller, der Reiseenduro R 1200 GS (Basispreis: 13.000 Euro), der Adventure-Variante (ab 14.550 Euro) und im großen Tourer R 1200 RT, der für 16.200 Euro zudem eine neue Verkleidung spendiert bekam.

Technikgimmicks von Ducati

Das neue Modell der Ducati Monster 696 Foto: Ducati

Das zweite Ausrufezeichen für 2010 setzen die Italiener von Ducati mit ihrer Multistrada 1200. In diesem zweirädrigen Multitool verbergen sich unzählige Technikgimmicks: Drive-by-wire, Keyless-go, ABS, Traktionskontrolle und in der S-Version, die Ducati Electronic Suspension (DES), ein elektronisch einstellbares Öhlins Fahrwerk. Die Italienerin gibt es zu Preis ab 17 990 Euro. Vorangetrieben wird die neue Multistrada natürlich von einem Desmo-Twin mit Renngenen, das bedeutet 1 198 ccm und 110 kW/150 PS. Technisch fraglos ein Kleinod, aber ob die gewagte Front mit den großen Nüstern beim Publikum ankommt, bleibt abzuwarten.

Bei der Multistrada gehört übrigens ein ABS zum Serienumfang, in 2010 gibt es dieses nutzbringende Feature erstmals als Option für die beliebten Monster-Modelle 696 und 1100. Viel erwarten sich die Bologneser auch von ihrer erweiterten Hypermotard-Familie. Das Nesthäkchen der sportiven Landstraßenjäger, die Hypermotard 796, kostet nämlich knapp unter 9000 Euro.

Honda VFR als Highlight

Die Honda CBF 1000 Foto: Honda

Einzige echte Neuerscheinung im Supersport-Segment ist die Aprilia RSV 4 R, der Straßenableger des exklusiven Factory-Superbikes. Wie dieses führt es einen aufwendig konstruierten V4-Motor in Feld, den einzigen bei den Superbikes. Aus 999 ccm Hubraum erlöst der Italo-V-Aggregat 132 kW/180 PS und 115 Nm Drehmoment.

Und was kommt aus Japan Neues? Neben Allerweltskost tatsächlich ein Stück faszinierende Zweiradtechnologie in Form der neuen Honda VFR 1200 F. Gemäß der VFR-Tradition wird der futuristisch gestylte Sporttourer von einem Hightech-V-Vierzylinder angetrieben, der für den Tourenbetrieb rekordverdächtige 173 Pferdchen galoppieren lässt. Für 14.900 Euro gibt es eine Vielzahl ausgeklügelter Technologien, angefangen vom Unicam-Zylinderkopf bis zur formschönen Einarmschwinge. Als Hondas Verkaufshit hat sich die CBF 1000 erwiesen, die 2010 als weiter entwickelte F-Variante mit einem Alu- statt Stahlrahmen kommt und mit 79 kW/107 PS nun neun PS mehr ins Landstraßengewühl führen kann. Kostenpunkt inklusive serienmäßigem ABS: 10.890 Euro.

Kawasaki ohne Sorgen

Die Kawasaki Z 1000 Foto: Kawasaki

Kawasaki als kleinster Japaner ist vergleichsweise gut durchs letzte Jahr gekommen und mit dem für dieses Jahr renovierten Mittelklasse-Allrounder Versys sieht 2010 ebenfalls nicht so düster aus. Serienmäßig mit ABS ausgerüstet und einem vernünftigen Leistungsangebot des 649er Reihen-Zweizylinders von 47 kW/64 PS steht die durchaus auch sportlich zu bewegende Versys mit 7 995 Euro in der Preisliste.

Für 11.295 Euro deutlich teurer kommt für Liebhaber des extrovertierten Auftritts die neue Z 1000 in die Schauräume der Händler. Ihre 101 kW/138 ABS-bewährten PS sollen auf der Landstraße so manchem Big Bike-Fahrer das Fürchten lehren, darunter sogar die Treiber der neuen GTR 1400 aus eigenem Haus. Diese mit 314 Kilogramm gewichtige Sporttourer (16.995 Euro) spielt wiederum ihre Stärken Windschutz und flotte Gangart dank 114 kW/155 PS eher auf Schnellstraßen aus.

Vollverkleidungen bei Yamaha und Suzuki

Die Yamaha XJ6 Foto: Yamaha

Yamaha bringt eine vollverkleidete Variante seiner Mittelklasse-Waffe XJ6, die XJ6 Diversion F auf den Markt. Sie verspricht mehr Tourentauglichkeit dank besseren Windschutzes. Der Vierzylinder-Reihenmotor bleibt mit 600 Kubik und 57 kW/78 PS unverändert.

Ähnlich macht es Suzuki, die ihrem Bestseller Bandit ebenfalls ein Rundumkleid angelegt haben: Die GSX 1250 FA ist ab 9 590 Euro erhältlich. Dazu kommt aus Japan eine Armada der Mittelklasse-Chopper mit Suzuki Intruder M 800 und den vier Honda Shadow 750-Modellen, zwei davon sogar serienmäßig mit ABS.

Powercruiser von Triumph

Die Triumph Rocket III Roadster Foto: Triumph

Kein Chopper, sondern ein absoluter Powercruiser kommt aus England. Die Triumph Rocket III Roadster protzt für 16.990 Euro mit dem größten Serienhubraum der Welt. Ihre drei Zylinder weisen 2,3 Liter Hubraum auf und mobilisieren 109 kW/148 PS samt gewaltigen 221 Nm Drehmoment. Nur gut, dass hier eine fette 240er Hinterradwalze für die Kraftübertragung gerade steht.

Die Österreicher von KTM stellen vor allem ihre veredelte Duke R ins Rampenlicht. Mit orangem Rahmen, 690er Einzylindermotor mit 51 kW/70 PS sowie Anti-Hopping-Kupplung wird die Österreicherin für 9495 Euro Duftmarken auf der Landstraße setzen. Noch sportlicher treibt es die große 990 Super Duke R, die 97 kW/132 PS aus ihrem V2 erlöst (13.995 Euro).

Käufer für MV Agusta gesucht

Italienische Momente steuern die Traditionsmarke Moto Guzzi mit dem motormäßig aufgepeppten Tourer Norge GT und die Edelschmiede MV Agusta bei. Mit der Brutale 990 R und 1090 RR warten zwei exklusiv ausgestattete Naked Bikes auf ihren Einsatz auf der Landstraße und vorm Café, wo sie mit ihrem tollen Aussehen und 102 kW/139 PS respektive 106 kW/144 PS einen guten Eindruck machen dürften.

Übrigens gehört die sportliche Italo-Marke den Amerikanern von Harley-Davidson - noch. Denn die finanziell arg gebeutelten Amis suchen verzweifelt nach einem Abnehmer für den Edelhersteller, damit sie sich wieder auf ihr Kerngeschäft «Chopper und Cruiser» konzentrieren können. Für diese stehen im 2010er Regal eine tiefer gelegte Fat Boy Special mit 1584er-V-Motor und optimiertem Sechsganggetriebe. Zum 30. Geburtstag der Wide Glide bescheren sich die Amerikaner selbst mit der neuen Dyna Wide Glide, die mit schmalem Vorderrad und einem Preis von 14.795 Euro die Choppergilde erfreut. Sportiver treibt es die XR 1200 X als aufgewertete Dirt Track-Replika. Mit roten einstellbaren Federbeinen und besserer Bremsanlage kommt die «X» auf 11.870 Euro.

Konkurrenz durch Victory

Victory drängt auf den europäischen Markt Foto: Victory

Langsam, aber sicher erwächst Harley eine Konkurrenz im eigenen Land. Die Firma Victory versteht sich schon länger auf den Bau von typischen Cruisern, allerdings nicht im Retrostil von Harley, sondern in einer modernen optischen wie technischen Interpretation des Themas.

Nach Gründung einer Europa- und Deutschland-Niederlassung dürften die Modelle mit den klangvollen Namen Cross Country, Hammer Eight Ball oder Kingpin häufiger bei uns zu bewundern sein. (mid)

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