«Autonomes Fahren kann segensreiche Sache sein»

Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber

«Autonomes Fahren kann segensreiche Sache sein»
Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber. © Daimler

Mercedes wird noch in diesem Jahrzehnt weitere teilautonome Fahrfunktionen anbieten. Im Interview mit der Autogazette spricht Entwicklungsvorstand Thomas Weber über Datenschutz, notwendige gesetzliche Regelungen und Probleme auf dem Weg zum autonomen Fahren.

Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber hat auf dem Weg zum autonomen Fahren eine schnelle Anpassung der nationalen Gesetzgebung gefordert. «Noch bis vor kurzem hätte ich nicht geglaubt, dass das Wiener Abkommen für den Straßenverkehr so schnell modifiziert werden würde. Das ist sehr erfreulich, doch das reicht natürlich noch nicht aus. Jetzt geht es darum, dies auch in einer nationalen Gesetzgebung umzusetzen», sagte Weber im Interview mit der Autogazette.

Wie der Manager sagte, werde der Autobauer «das autonome Fahren eben in den Ländern zuerst bringen, in denen es uns von der Gesetzgebung her ermöglicht wird». Mit Blick auf Deutschland lobte Weber die Politik. «Der Gesetzgeber scheint entschlossen zu sein, uns hier zu unterstützen – dies halte ich für sehr wichtig!»

Forderung einer zukunftsorientierten Infrastruktur

Weber forderte zudem eine zukunftsorientierte Infrastruktur für autonom fahrende Fahrzeuge. «Wenn es zukunftsorientierte Städte gibt, die eine solche Infrastruktur schaffen, kann das autonome Fahren dort früher stattfinden - das ist doch eine riesige Chance», betonte der Daimler-Manager. Deshalb müsste mit der Politik eine Diskussion geführt werden, «wie Städte oder auch das Bundesverkehrsministerium die Einführung einer entsprechenden zukunftsorientierten Infrastruktur unterstützen können».

«Befinden uns im Gespräch mit Google»

Die Knutschkugel von Google fährt autonom
Der Prototyp eines autonom fahrenden Autos von Google dpa

Autogazette: Herr Weber, Google-Chef Sergey Brin ließ unlängst wissen, dass man sich für sein autonom fahrendes Auto einen Produktionspartner vorstellen könnte. Haben Sie schon bei Google angerufen?

Thomas Weber: Wir befinden uns regelmäßig im Gespräch mit Google und schätzen deren Kompetenz. Wir haben bereits seit 20 Jahren ein Forschungs- und Entwicklungsstandort im Silicon Valley. Zu allen dort ansässigen Firmen haben wir gute Verbindungen – und das beruht auf Gegenseitigkeit.

Autogazette: Sie arbeiten zwar mit Blick auf die Vernetzung Ihrer Fahrzeuge mit Google zusammen, aber noch nicht beim autonomen Fahren. Wäre eine Kooperation hier vorstellbar?

Weber: Mercedes-Benz ist ohne Frage führend beim autonomen Fahren. Das haben wir zum einem mit der autonomen Fahrt des Mercedes-Benz S500 Intelligent Drive über mehr als 100 Kilometer im dichten Straßenverkehr gezeigt, als auch zuletzt mit der Präsentation unseres Mercedes-Benz Future Truck 2025. Dennoch glauben wir, dass es starker Partner bedarf, um das Thema flächendeckend auszurollen. Vielleicht ergeben sich aus den ohnehin laufenden Gesprächen mit Firmen wie Google auch Ansatzpunkte beim autonomen Fahren, die dieses Zukunftsthema voranbringen und zu einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten führen könnten.

«Die Technik kriegen wir in den Griff»

Autonomes Fahren im Mercedes S 500 Intelligent Drive.
EIn Fahrer im Mercedes S 500 Intelligent Drive Daimler

Autogazette: Wie müssen wir uns im Jahr 2020 das Autofahren in einem Mercedes vorstellen, bereits autonom?

Weber: Ich bin davon überzeugt, dass wir auch aufgrund der von uns angestoßenen Diskussionen schneller zum autonomen Fahrzeug kommen, als manch einer das glaubt. Wann ein solches Auto kommt, hängt aber auch von den nationalen Gesetzgebungen ab. Eines ist aber ganz klar: Wir werden in schnellen Schritten, noch in dieser Dekade, weitere teilautonome Fahrfunktionen in unsere Autos bringen – wir geben weiter Gas!

Autogazette: Wo liegt für die Hersteller das größte Problem auf dem Weg zum autonomen Fahren: ist es technischer oder gesetzlicher Art?

Weber: Natürlich gibt es noch eine Vielzahl technischer Fragen zu klären. Um mit einem autonomen Fahrzeug sicher unterwegs zu sein, müssen ja alle möglichen Szenarien von diesen Fahrzeugen und den entsprechenden Systemen zuverlässig beherrscht werden. Doch die Technik kriegen wir in den Griff – da habe ich großes Vertrauen in unsere Ingenieure! Die Fragen bezüglich der Gesetzgebung und der gesellschaftlichen Akzeptanz sind aber mindestens ebenso wichtig. Denn der erste Unfall, der mit einem autonom fahrenden Fahrzeug geschieht, könnte das autonome Fahren von der Akzeptanz her um Jahre zurückwerfen.

«Der rechtliche Rahmen muss klar abgesteckt sein»

Autogazette: Also ist die größte Hürde rechtlich-juristischer Art?

Weber: Diese Fragestellung darf man auf keinem Fall unterschätzen – im Gegenteil. Denn es muss im Falle eines Unfalls, auch aus Gründen der Produkthaftung, geklärt werden können, wer letztlich die Schuld trägt. Der rechtliche Rahmen muss klar abgesteckt sein. Wenn es autonomes Fahren gibt, dann wird dies nicht ohne einen Datenrekorder, eine Art Blackbox im Auto gehen.

Autogazette: Führt das nicht zum gläsernen Autofahrer?

Weber: Datenschutz spielt für uns eine sehr wichtige Rolle, nicht erst seit dem NSA-Skandal. Das Thema genießt bei uns höchste Priorität, entsprechend arbeiten wir daran, dass die Privatsphäre und die Daten unserer Kunden geschützt werden. Wenn wir vom gläsernen Autofahrer sprechen, muss man aber auch sehen, dass heute viele Kunden selbst sehr freigiebig mit ihren Daten beispielsweise in sozialen Netzwerken umgehen. Unsere Aufgabe ist es daher, Mechanismen einzubauen, die sicherstellen, dass mit den Daten unseres Kunden kein Missbrauch geschieht. In Summe kommen wir gut voran.

«Autonomes Fahren eine segensreiche Sache»

Autonom unterwegs in einer Mercedes S-Klasse
Daimler

Autogazette: Liegt darin auch der Grund, dass die soziale Akzeptanz für autonomes Fahren noch nicht sehr ausgeprägt ist?

Weber: Wir machen diese Erfahrungen nicht. Im Gegenteil: Bei allen Befragungen, die wir durchführen, bekommen wir ein extrem positives Feedback. Niemand stellt in Frage, dass autonomes Fahren eine segensreiche Sache sein kann, die dem Kunden mehr Komfort und mehr Sicherheit verspricht. Und klar ist, wir bringen autonomes Fahren erst dann, wenn wir unseren Kunden garantieren können, dass es absolut sicher ist. Um Missverständnisse vorzubeugen: autonomes Fahren bedeutet für uns in erster Linie, dass in bestimmten Fahrsituationen das Auto die Fahraufgaben übernimmt, wenn es der Fahrer wünscht.

Autogazette: Inwieweit muss sich auch die Infrastruktur in den Städten verändern? Wird es beispielsweise wie derzeit Umweltzonen in der Innenstadt dann Sicherheitszonen geben, in denen autonomes Fahren stattfindet?

Weber: Natürlich muss sich auch die Infrastruktur ändern. Hier ist ein Schulterschluss der Politik und der Industrie notwendig, um das Thema auf den Weg zu bringen. Dass ein solcher Schulterschluss funktionieren kann, zeigt die Car-to-X und Car-to-Car-Kommunikation mit dem Pilot-Projekt SimTD...

Autogazette: ...bei dem eine Vielzahl von Zulieferern, Autoherstellern aber auch die Politik beteiligt war.

Weber: …genau, und es hat gut funktioniert. Wenn es zukunftsorientierte Städte gibt, die eine solche Infrastruktur schaffen, kann das autonome Fahren dort früher stattfinden - das ist doch eine riesige Chance. Wir müssen deshalb mit der Politik eine Diskussion führen, wie Städte oder auch das Bundesverkehrsministerium die Einführung einer entsprechenden zukunftsorientierten Infrastruktur unterstützen können. Der Schulterschluss aller Parteien kann hier den Fortschritt deutlich vorantreiben. Ich würde es als eine große Chance für den Wirtschafsstandort Deutschland sehen, wenn es hier bei uns bestimmte Regionen geben würde, in denen eine entsprechende Infrastruktur geschaffen würde. Schweden oder auch UK gehen dabei mit interessanten Pilotprojekten voran. Noch haben wir alle Chancen!

«Durch Assistenzsysteme reduzieren wir Unfälle »

Daimler arbeitet mit Nachdruck am Future Truck.
Der Future Truck von Mercedes Daimler

Autogazette: Gerade erst wurde das Wiener Übereinkommen für den Straßenverkehr modifiziert. Reicht das als gesetzlicher Rahmen für autonomes Fahren bereits aus?

Weber: Noch bis vor kurzem hätte ich nicht geglaubt, dass das Wiener Abkommen für den Straßenverkehr so schnell modifiziert werden würde. Das ist sehr erfreulich, doch das reicht natürlich noch nicht aus. Jetzt geht es darum, dies auch in einer nationalen Gesetzgebung umzusetzen. Wir werden das autonome Fahren eben in den Ländern zuerst bringen, in denen es uns von der Gesetzgebung her ermöglicht wird. Schön zu beobachten ist, dass in der Politik eine Dynamik zu sehen ist, die ich in dieser Form bisher nicht erlebt habe. Der Gesetzgeber scheint entschlossen zu sein, uns hier zu unterstützen – dies halte ich für sehr wichtig!

Autogazette: Welche versicherungsrechtlichen Fragen müssen auf dem Weg zum autonomen Fahren geklärt werden? Bedarf es beispielsweise höherer Deckungssummen?

Weber: Das glaube ich nicht, ganz im Gegenteil. Ich denke, dass der Kunde durch das teil-automatisierte Fahren schon heute entlastet wird. Durch unsere Assistenzsysteme reduzieren wir das Unfallaufkommen und die Schwere der Unfälle deutlich, dies ist klar belegbar. Das wird auch bereits von Versicherungen honoriert. Jetzt liegt es an uns, dass wir nicht mehr Risiko eingehen, sondern durch solche Systeme unseren Kunden noch mehr Sicherheit und Komfort bieten.

«Ergänzen Radar durch Sterokameras»

Autogazette: Können die Systeme beispielsweise Fußgänger am Straßenrand sicher erkennen, die auf dem Bürgersteig einen Schritt Richtung Fahrbahn machen?

Weber: Das alles können wir schon heute detektieren. Doch auf dem Weg zum unfallfreien Fahren brauchen wir in Zukunft noch bessere Sensoren, die heute zum Beispiel noch durch im Auto vorhandene Rechnerleistung limitiert sind. Der zweite Faktor ist das Wetter: Radar kann durch extrem Wettersituationen wie zum Beispiel Starkregen abgelenkt werden. Hier stellt sich deshalb die Frage der Redundanz. Aus diesem Grund ergänzen wir Radar durch Stereokameras, um zusätzliche Sicherheit zu schaffen. Eine Monokamera sieht vieles, aber nicht alles.

Autogazette: Muss Fortschritt auch beim Kartenmaterial geschehen? Eine GPS-Abweichung von einigen Metern dürfte kaum akzeptabel sein...

Weber: ...aber natürlich ist auch dort Fortschritt und Innovation wichtig. Wir brauchen sehr präzise Karten, die wir so heute nicht haben. Die Karten für das autonome Fahren müssen zentimetergenau arbeiten und Details wie zum Beispiel Fußgängerüberwege, Ampeln und Abbiegespuren enthalten. Auch hierfür haben wir viele gute Ideen und kommen gut voran.

Das Interview mit Thomas Weber führte Frank Mertens

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