«Da stößt die Automatisierung an ihre Grenzen»

Mercedes-Produktionschef Markus Schäfer

«Da stößt die Automatisierung an ihre Grenzen»
Markus Schäfer verantwortet die Produktion bei Mercedes. © Daimler

Mercedes setzt in der Produktion verstärkt auf Menschen. So werde der Autobauer den Automatisierungsgrad in seinen Werken angesichts der Modellvielfalt zurückfahren, sagte Produktionschef Markus Schäfer im Interview mit der Autogazette.

Der Autobauer Daimler wird angesichts seines Wachstums ein neues Werk in Europa errichten. «Mit Blick auf unser Wachstumsziel 2020 und auch darüber hinaus brauchen wir zusätzliche Fertigungskapazitäten, da unsere bisherigen Standorte mit 300.000 bis 400.000 Einheiten an ihre Grenzen stoßen», sagte Mercedes-Produktionschef Markus Schäfer im Interview mit der Autogazette. «Wir werden in den nächsten Monaten die Prüfung abgeschlossen haben, wo ein neues Pkw-Werk entstehen soll», fügte der Manager hinzu.

Automatisierungsgrad wird zurückgefahren

Aufgrund der hohen Modellvielfalt und Ausstattungsmöglichkeiten wird der Autobauer in allen seinen Werken zudem den Automatisierungsgrad zurückfahren, «weil er angesichts der Modellvielfalt und der Individualisierung, die Mercedes-Benz den Kunden anbietet, nicht mehr sinnvoll ist». Wie Schäfer hinzufügte, werden aber nicht «die Roboter verschwinden, es werden zukünftig nur ganz andere Roboter sein, die dem Menschen dienen».

«Das stößt die Automatisierung an ihre Grenzen»

Roboter Produktion
Ein Roboter entlastet bei Überkopfarbeiten Daimler

Autogazette: Herr Schäfer, bislang wurden in der Produktion immer mehr Aufgaben von Robotern übernommen. Nun rudern Sie zurück und wollen Roboter durch Menschen ersetzen. Haben Sie die Möglichkeiten der Automatisierung überschätzt?

Markus Schäfer: Wir haben Roboter zu einem Zeitpunkt eingesetzt, in der wir eine geringere Vielfalt an Modellen und auch Ausstattungsmöglichkeiten hatten. Wir kommen aus einer Welt mit 20 Modellen und einer Marktverteilung, die vor 20 bis 30 Jahren ganz anders aussah. Mittlerweile haben wir ein Produktportfolio von rund 30 Aufbauformen inklusive zahlreicher Derivate. Bis 2020 werden wir unser Portfolio auf 40 Derivate ausweiten. Da stößt die Automatisierung an ihre Grenzen.

Autogazette: Die Modellplanung wird Sie ja nicht überrascht haben.

Schäfer: Wir erleben einen weiteren Evolutionsschritt, auf den wir uns in der Produktion einzustellen haben. Nur so können wir viele Modelle auf einer Linie mit einer hohen Varianz produzieren. Wir gehen nun in die nächste Stufe der Automatisierung: und die heißt «Mensch-Roboter-Kooperation».

Autogazette: Ist es nur die Modellvielfalt und der Individualisierungsgrad, der Sie zu diesem Schritt veranlasst?

Schäfer: Wir wollen den Automatisierungsgrad in allen unseren Werken zurückfahren, weil er angesichts der Modellvielfalt und der Individualisierung, die Mercedes-Benz den Kunden anbietet, nicht mehr sinnvoll ist. Unsere ersten Roboter haben wir in den USA in einem Pilotprojekt bereits 2013 abgeschaltet. Das hat sich als erfolgreich erwiesen und wird sukzessive in allen Werken ausgerollt. Wir denken längst nicht mehr in singulären Werken, sondern in einem Produktionsverbund. Schließlich brauchen wir die Möglichkeit, flexibel auf die Nachfrage unserer Kunden in den Märkten zu reagieren.

«Wir müssen auf das Gesamtsystem blicken»

Autogazette: Müssen Sie vor dem Hintergrund dieses Schrittes die Smart Factory anders definieren?

Schäfer: Im Zusammenhang mit Industrie 4.0 ist dies nur ein logischer Schritt. Ein ganz wesentlicher Bestandteil der digitalen Transformation ist es, die Intelligenz des Menschen mit der Ausdauer der Maschine zu nutzen. Deshalb müssen wir nichts neu definieren. Die Vernetzung unserer Werke bleibt durch diesen Schritt unberührt.

Autogazette: An welchen Stellen in der Produktion funktioniert der Einsatz von Robotern nicht mehr?

Schäfer: Den größten Ansatzpunkt sehen wir in der Fahrzeugmontage. Grundsätzlich sind aber alle Wertschöpfungsstufen betroffen.



Autogazette: Sie sagen, dass Sie durch diesen Schritt Geld sparen. Doch ist der Mensch nicht teurer als der Roboter?

Schäfer: Wir müssen auf das Gesamtsystem blicken, auf das Zusammenspiel aus Mensch, Maschine, Gebäude, Fertigung, Instandhaltung und so weiter. Auch ein Roboter arbeitet nicht allein, er braucht Steuerung und Wartung. Die Gesamtverfügbarkeit des Systems lässt sich deutlich erhöhen, wenn Mensch und Maschine zusammenarbeiten. Die Maschine steht nicht mehr allein für mehr Effizienz.

Autogazette: Wieviel Geld sparen Sie denn ein?

Schäfer: Hierzu kann man keine Pauschalaussage treffen. Doch wenn wir auf das vergangene Jahr schauen, konnten wir unsere Effizienz steigern.

Autogazette: Wenn Sie nun mehr Menschen mit Aufgaben betrauen, die bisher von Robotern übernommen wurden, müssen Sie dann auch mehr Personal einstellen?

Schäfer: In manchen Bereichen wird es sicherlich so sein, dass wir dort mehr Menschen einsetzen werden. Für Mercedes-Benz Cars in Summe wird es dadurch aber wahrscheinlich keinen Beschäftigungseffekt geben.

«Werden andere Roboter sein, die dem Menschen dienen»

Mercedes CLA Shooting Brake in Kecskemét
Bau des Mercedes CLA Shooting Brake in Kecskemet Daimler

Autogazette: Wird der Faktor Mensch in der Produktion aufgrund der Modellvielfalt perspektivisch wieder wichtiger werden?

Schäfer: Wir kamen aus einer Welt mit wenigen Produkten und viel Handarbeit. Mittlerweile sind wir in einer automatisierten Welt angekommen. Nun gehen wir einen Schritt zurück und werden noch flexibler, noch globaler und werden das Thema «Mensch-Roboter-Kooperation» in den Mittelpunkt stellen. Der Mensch ist Herr der Produktion. Er kontrolliert den Gesamtprozess und nutzt die Robotik. Es werden nicht die Roboter verschwinden, es werden zukünftig nur ganz andere Roboter sein, die dem Menschen dienen.

Autogazette: Mercedes eilt Jahr für Jahr zu neuen Absatzrekorden. Wie lange können Sie in Ihren Fabriken diesem Wachstum noch standhalten, nachdem sie schon jetzt im Dreischichtbetrieb arbeiten?

Schäfer: Steigende Flexibilität ist für uns der entscheidende Faktor, um diesem Wachstum in der Produktion folgen zu können. Das hat auch mit Personaleinsatz und technischer Flexibilität zu tun. Wir sind in der Lage, Derivate von einem Werk ins andere zu verlagern, um dadurch schneller auf die Nachfrage unserer Kunden zu reagieren. Natürlich bedarf es auch dem Ausbau der Kapazitäten mit Dienstleistern, wie beispielsweise dem Auftragsfertiger Valmet in Finnland, der aktuell die A-Klasse und künftig zusätzliche Stückzahlen des GLC produziert. Durch den Einsatz dieser Auftragsfertiger haben wir uns Möglichkeiten geschaffen, kurzfristig zu reagieren. Zudem werden wir in Kürze unser Werk in Brasilien in Betrieb nehmen und in Mexiko bauen wir derzeit ein weiteres Werk...

Autogazette: ...wo Sie in Kooperation mit Renault-Nissan ab 2018 Ihre Kompaktklassemodelle produzieren wollen...

Schäfer: ...ja, 2018 soll es so weit sein, dass wir dort die Fabrik anlaufen lassen können. Daneben sind wir auch in China mit dem Kapazitätsausbau deutlich vorangekommen. Wir verfügen über ausreichend Kapazitäten in Peking.

«In China sind wir extrem gut aufgestellt»

Mitarbeiter von Mercedes im Werk Peking
Zwei Mercedes-Mitarbeiter im Werk Peking Daimler

Autogazette: Ein komplett neues Werk brauchen Sie nicht mehr?

Schäfer: Doch. Mit Blick auf unser Wachstumsziel 2020 und auch darüber hinaus brauchen wir zusätzliche Fertigungskapazitäten, da unsere bisherigen Standorte mit 300.000 bis 400.000 Einheiten an ihre Grenzen stoßen.
Autogazette: Wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?

Schäfer: Wir werden in den nächsten Monaten die Prüfung abgeschlossen haben, wo ein neues Pkw-Werk entstehen soll.

Autogazette: Welcher Standort kommt in Frage?

Schäfer: Es wird ein Standort in Europa sein.

Autogazette: Wie sehr stellt Sie das enorme Wachstum in China vor Probleme? Im Vorjahr stieg der Absatz dort auf 373.000 Einheiten auf fast 33 Prozent an, im Januar lag es sogar bei 52 Prozent.

Schäfer: In China sind wir extrem gut aufgestellt. Die Kapazitäten sind da. Unser Werk Beijing Benz verfügt über ausreichend Platz für den weiteren Ausbau im Einklang mit unserem Absatzwachstum, nachdem wir dort im vergangenen Jahr erstmals über 200.000 Fahrzeuge lokal gefertigt haben. Wir haben in Peking ein Heckantriebswerk und fertigen außerdem seit dem Produktionsstart des GLA im letzten Jahr auch Kompaktwagenmodelle. Wir können mit dem Wachstumstempo Schritt halten. Zugleich haben wir dort ein Motorenwerk mit einer Kapazität von rund 250.000 Einheiten. Die Aggregate werden für die lokal gefertigten Pkw und Vans verwendet. Der Ausbau unserer Motorenkapazität in China ist in Planung.

Autogazette: Ab wann rechnen Sie damit, dass erstmals mehr Autos im Ausland als in Deutschland produziert werden?

Schäfer: Mercedes-Benz Cars hat im vergangenen Jahr zum ersten Mal mehr Fahrzeuge im Ausland produziert als in Deutschland. Rund 52 Prozent der Fahrzeuge liefen in den Auslandswerken vom Band. Rund 48 Prozent im Inland. Es wurden 2015 aber auch etwa 85 Prozent unserer Fahrzeuge außerhalb Deutschlands verkauft.

Das Interview mit Markus Schäfer führte Frank Mertens

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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