Dort Fußball spielen wo sonst Autos fahren

Autonomes Fahren verändert Innenstädte

Dort Fußball spielen wo sonst Autos fahren
In Mailand wird die Aerea C bereits verschieden genutzt. © dpa

Autonom fahrende und miteinander vernetzte Fahrzeuge werden die Architektur der Innenstädte verändern. Auch der Verbindung zwischen Mobilität und Immobilität kommt dabei eine immer größere Bedeutung hinzu.

Von Thomas Flehmer

Der Spielfilm läuft an, während die Ampel auf Rot steht. Doch auch nachdem sie auf Grün gesprungen ist, lehnt sich der Fahrer zurück und geht in dem autonom fahrenden Auto auf dem Weg nach Hause seinen cineastischen Vorlieben nach und läutet nach einem harten Arbeitstag den Feierabend bereits im Auto ein. «Wenn wir uns anders bewegen, wird sich auch unsere Umwelt verändern», sagt Tobias Wallisser im Gespräch mit der Autogazette.

Fahrgastzelle des Autos als Büro oder Fernsehzimmer

Der Hochschullehrer an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart hat dabei nicht nur die sich verändernde Technik der Fahrzeuge im Sinn, sondern als Architekt auch die Auswirkungen auf die Stadtentwicklung, die «Verschmelzung von Mensch und Natur», wie Wallisser sagt und ergänzt, dass «Stadt für uns wie Natur» wirke.

Mobilität und Immobilität werden sich annähern und auch ergänzen. «Die Fahrgastzelle als hochtechnisierter Raum mit viel Rechenleistung» könne sowohl als Besprechungsraum als auch als Fernsehzimmer genutzt werden. So könnten auf der Fahrt ins Büro bereits erste Arbeiten erledigt werden, während auf der Fahrt nach Hause bereits die Freizeit eingeläutet wird, da das Auto selbstständig den Weg findet.

Neue Strukturen für Innenstädte

Fußgängerzone in Lübeck
Die Straßen könnten zu unterschiedlichen Zeiten verschieden nutzbar sein dpa

Doch auch die Struktur der Städte könnte dann ein anderes Aussehen erhalten. So könnten die Straßen außerhalb der Geschäftszeiten auch zu Fußballplätzen umgebaut werden. «Dann müssten verschiedene Arten von Bodenbelegen, die gedreht werden können, zum jeweiligen Gebrauch genutzt werden.»

Aber auch angesichts knapper werdenden Wohnraumes misst Zukunftsforscher Alexander Mankowsky den öffentlichen Straßen mehr Bedeutung zu. «Die Bürger werden mehr auf öffentlichen und halböffentlichen Plätzen unterwegs» sein. Für Mankowsky, der beim Autobauer Daimler in die Zukunft schaut, wären autonome Fahrzeuge dafür eine «ideale Ergänzung, da diese den vorhandenen Platz effizienter nutzen.»

«Quartiersgarage ziemlich gute Idee»

Tobias Wallisser
Tobias Wallisser ABK-Stuttgart

Auch die Parkhäuser würden ein anderes Gesicht erhalten. «Dadurch, dass die Autos selbstständig einparken, wird weniger Platz benötigt», sagt Gernot Lobenberg, «der 'Abstellplatz Straße' wird verschwinden.» Der Leiter der Berliner Agentur für Elektromobilität (eMO) sieht zudem dann noch einen Verknüpfungspunkt zwischen autonomen Fahren und Elektrofahrzeugen, die dann auf den jeweiligen Parkplätzen während der Parkdauer aufgeladen werden könnten.

Natürlich könnten für den Aufladevorgang auch die zu Energiehäusern umgestalteten Eigenheime herhalten, wie in Feldversuchen bereits geprobt wird, doch sieht auch Wallisser die so genannte «Quartiersgarage» für viele Fahrzeuge als «ziemlich gute Idee» an, da dort die Energie effizienter genutzt werden könne als bei den Einzelheimen.

Entschleunigter Verkehr

Und auch der eigentliche Verkehr auf den Straßen würde anders aussehen. «Autonom fahrende Fahrzeuge bieten die Chance, das gesellschaftliche Leben ein Stück weit zu entschleunigen», sagt Mankowsky und führt den Stop-and-Go-Piloten an, der in der S-, E- und C-Klasse «einen entspannt durch den dichten Verkehr bringt.»

Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Lobenberg, der den so genannten Stauassistenten des BMW i3 im dichten Großstadtverkehr eingesetzt hat. «Das funktioniert einwandfrei.» Durch die technischen Helfer, die zudem schneller als der Mensch reagieren, könnten die Abstände zwischen den Fahrzeugen verringert und so längere Schlangen vermieden werden. Zudem sieht Lobenberg im Hinblick auf den rein elektrischen BMW i3 noch den Vorteil, dass der Verkehr sehr viel leiser wäre, was zu «weniger Hektik und mehr Harmonisierung» führen würde.

Technische Möglichkeiten sollen Lebensqualität erhöhen

Was nach Vision klingt, ist für den Architekten, der als Projektleiter für den Bau des Mercedes-Benz-Museums verantwortlich war, dagegen ganz plausibel. Bereits in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte sich das Stadtbild gewandelt, als die Mobilität deutlich zulegte. «Wenn wir nicht fragen würden 'was wäre wenn', würden wir noch heute auf Bäumen sitzen.» Und auch aktuell sieht Wallisser die Veränderungen. «Wir sind schon im neuen Zeitalter.»

So sei das Carsharing eine neue Art der Dienstleistung, die den «Weg immer weiter weg vom Besitz hin zum Benutzen» legt, was Wallisser als «neue Nutzerfreiheit» bezeichnet, für die der Zugang zum Internet die Voraussetzung sei, über den alles geregelt werden könne. So könnte dann ein autonom fahrendes Auto per App geordert werden, um den jeweiligen Kunden von A nach B zu bringen. «Es liegt am Nutzer selbst, ob er dann jede Minute nutzen oder sich entspannen will.» Büro oder Freizeit im Auto.

Rechtliche Rahmenbedingungen als Hürde

Alexander Mankowsky auf der re:publica
Alexander Mankowsky auf der re:pulica Daimler

Dass diese Visionen nicht allzu weit entfernt sind, davon ist Wallisser überzeugt. «Das Einzige, was noch fehlt sind die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die gesellschaftliche Akzeptanz. Die technischen Möglichkeiten sind gegeben», so Wallisser, «sie sind kein Selbstzweck, sondern sollten der Lebensqualität zu Gute kommen.»

Lobenberg rechnet damit, dass in zehn Jahren der autonome Verkehr «zumindest auf Autobahnen» geregelt werden kann. Für die Städteentwicklung werde es noch eine «ganze Weile länger dauern, selbst wenn eine paralelle Entwicklung» zwischen Technik und Städtebau Hand in Hand gehen würde.

Von 15 bis 20 Jahren geht gar Mankowsky aus, bis sich das Stadtbild real ändere und «eine gewisse Anzahl von autonomen Fahrzeugen die Straßen bevölkert. Allerdings - so der Zukunftsforscher - könnte alles auch viel schneller vonstatten gehen, «wenn der gesellschaftliche Diskurs autonome Fahrzeuge antizipiert. Autobahnen und Parkways in New York wurden schließlich auch schon gebaut, bevor es die passenden Fahrzuge gab.»

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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