Magna Max4: «Auf einer Reise in eine neue Welt»

Autonom durch Berlin

Magna Max4: «Auf einer Reise in eine neue Welt»
Ein Jeep Grand Cherokee mit der Max-Plattform von Magna. © Magna/Bauer

In der schönen neuen Welt der Autoindustrie wird der Fahrer autonom vom seinem Fahrzeug zum Ziel gebracht. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, wie bei einer Mitfahrt in einem Versuchsträger von Magna zu erleben war.

Von Frank Mertens

Es vergeht kein Monat, in dem sich die Autobauer nicht mit Ankündigungen zum autonomen Fahren überschlagen. Volvo will Fahrzeuge der Automatisierungstufe vier bereits 2021 im Markt einführen. Gleiches hat Ford angekündigt. Doch wie realistisch sind solche Ankündigungen? Erleben wir bereits in vier Jahren einen Massenmarkt für selbstfahrende Autos?

„Nein“, sagt Swamy Kotagiri. „Einen Massenmarkt sehen wir bis dahin sicher noch nicht.“ Da ist sich der der Entwicklungsvorstand der Zulieferers Magna ziemlich sicher. „Was wir bis 2025 aber sehen werden, sind selbstfahrende Autos der Stufe 4 beispielsweise auf speziellen Abschnitten von Autobahnen oder auch auf normalen Straßen.“ Hier gibt es für die Technik ein mehr oder minder leicht zu überschauendes Verkehrsgeschehen.

Magnas Max4 mit Lidar und Radar unterwegs

Das sieht in der Stadt indes schon anders aus: Hier gibt es Ampeln, Fußgänger, Radfahrer – und Dinge, die die Technik verwirren. Dazu gehören beispielsweise auch Wahlplakate, wie eine Testfahrt mit einem Versuchsfahrzeug von Magna, einem Jeep Grand Cherokee, durch den Berlin zeigte. Das Level 4-Fahrzeug bremste teils wegen der auf dem Mittelstreifen stehenden Wahlplakate abrupt ab. Nicht alles, was für das menschliche Auge als unproblematisch angesehen wird, ist es auch nicht für die Technik. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass an Front- und Heck des Magna-Versuchsträgers jeweils drei hochmoderne Lidar- und Radarsysteme ihren Dienst versehen, hinzukommen Kameras oberhalb der Windschutzscheibe.

Doch Technik ist fehlbar und ersetzt (derzeit) nicht den Fahrer – wie man auch bei der Fahrt durch Berlin sieht. Auf der Altonaer Straße in Höhe des Grips-Theaters verengt sich die linke Fahrspur vor einer Brücke derart, dass das Auto dies nicht erkennt und entsprechend auf die rechte Spur ausweichen würde – natürlich ohne zu blinken. Also musste der Fahrer übernehmen. Über diese Schwächen weiß man natürlich bei Magna – doch das ist keine Katastrophe. Um beispielsweise einen Spurwechselassistenten in die Serie zu bekommen, hat es mehrere Hundertausende von Testkilometern gebraucht, berichtete Entwickler Jörn Ihlenburg. Mit seinem Versuchsfahrzeug, Max4 genannt, ist man gerade erst ein paar Monate unterwegs.

Carsharing als Testfeld gut geeignet

Da in der Stadt besondere Anforderungen an die Technik gestellt werden, kommt für Kotagiri dem Carsharing auf dem Weg zum autonomen Fahren der Stufen 4 und 5 auch eine besondere Bedeutung zu. So würde sich aufgrund des bekannten Geschäftsgebietes, in dem sich die Carsharingfahrzeuge bewegen, die Adaption der Technik an dieses Umfeld leichter realisieren lassen.

„Wir befinden uns auf einer Reise in eine neue Welt“, sagte Entwickler Jörn Ihlenburg. Mit dem Max4 unterwegs zu sein, sei ein Feeling wie im Raumschiff Enterprise. „Auf zu neuen Welten.“ Als Zulieferer will Magna den Autobauern mit seiner Plattform Max4 ein System offerieren, das sich unproblematisch in alle Fahrzeuge integrieren lässt. Der Domain-Controller, eine kleine im Kofferraum verbaute Box, ermöglicht mit seinen Funktionalitäten autonomes Fahren bis Level 4. „Er ist skalierbar, von Level 2 bis Level 4“, wie Kotagiri erläuterte. Es funktioniert auf der Autobahn ebenso wie in der Stadt. Zudem bedarf es für das System keiner zusätzlichen Kühlung.

Zurück zum Fahren: Wie dieses ausgestaltet ist, bleibe dem Hersteller überlassen. Er kann mit seinen Algorithmen dem Fahrzeug sagen, wie es sich in den verschiedenen Situationen zu verhalten hat. „Was ist, wenn der Fahrer auf der Autobahn bewusstlos wird? Fährt das Auto weiter, fährt es rechts ran? Wie verhält es sich?“, fragte Ihlenburg. „Natürlich könnten wir auch so etwas entscheiden, doch das fällt in die Autonomie des OEMs.“ Allein an diesem Beispiel sehe man, wie viele Fragen sich auf den kommenden Stufen zum autonomen Fahren ergeben würden.

Vision Zero ein wichtiges Ziel

Magna-Entwicklungschef Swamy Kotagiri.
Magna-Entwicklungschef Swamy Kotagiri AG/Mertens

So weist Kotagiri auf das Problem hin, dass nicht auf einen Schlag nur noch autonome Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein werden. „Wir werden einen Mix aus Fahrzeugen auf verschiedenen Leveln haben.“ Das macht das Zusammenspiel nicht einfacher, auch nicht mit Blick auf die Vision Zero, die als Ziel am Ende aller Überlegungen zum autonomen Fahren steht. „Vision Zero ist ein wichtiges Ziel, es ist richtig, dass man es sich gesetzt hat. Doch kann man es auch erreichen? Denn es hängt nicht nur von einem selbst ab.“ Doch das autonome Fahren werde auf jeden Fall zu einer Reduzierung der Unfälle beitragen, ist Kotagiri überzeugt.

Für die Industrie stehen dann auch weniger die technischen als die regulatorischen Aspekte im Fokus, die auf dem Weg zum vollautomatisierten Fahren zu klären sind. Bereits in der Vergangenheit sei es so gewesen, dass die Regulatorien die Innovationen der Autoindustrie bestimmt hätten. Das werde auch beim Autonomen Fahren so sein, das sich auch mit ethischen Fragestellungen zu beschäftigen hat: Bremst das Auto eher für ein Kind als für einen Rentner? Natürlich würde man über diese Fragen diskutieren, ebenso über Haftungsfragen. Haftet der Fahrer bei einem Unfall oder der Hersteller? Man befindet sich hier noch längst nicht am Ende der Überlegungen. „Wer bekommt bei der Entscheidung das letzte Wort: ist es die Kamera oder der Radar? Oder ist es eine Kombination aus beidem. Das sind Dinge, die wir diskutieren.“

Blick in die Glaskugel

Und, wie ist es nun mit dem Massenmarkt? Wann kommt er? Das vermag auch Magnas Entwicklungschef nicht zu prognostizieren. Das sei wie ein Blick in die Glaskugel. Doch so etwas liegt Kotagiri nicht. Er hält sich lieber an die Fakten. Und die sagen ihm, dass noch ein langer Weg auf dem Weg zum Massenmarkt, geschweige denn Level-5-Fahrzeugen vor ihm und seinem Team liegt.

Eine Prognose hat dafür unlängst die Deutsche Bank gewagt. Sie sieht natürlich auch ein großes Potenzial für selbstfahrende Autos. Doch die Forscher des Geldhauses gehen nicht davon aus, dass von Computer gesteuerte Autos den kontinuierlich wachsen Automarkt nicht vor dem Jahr 2040 durchdrungen haben werden.

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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