«Wir setzen nicht nur auf die Karte China»

Interview Mercedes-Vertriebschef Joachim Schmidt

Mercedes-Benz hat im September den höchsten Absatz in der Unternehmensgeschichte erzielt. Im Interview mit der Autogazette spricht Vertriebschef Joachim Schmidt über die Absatzziele 2010, China und die Zukunft der Kleinwagenmarke Smart.

Mercedes-Benz wird seine Produktion in China deutlich steigern. Nachdem der Stuttgarter Autobauer bislang nur 30 Prozent der auf dem chinesischen Markt verkauften Autos auch vor Ort baut, soll dieser Anteil der steigenden Nachfrage angepasst werden. «Ich gehe mittelfristig von einem Verhältnis von 50:50 aus. Da wir im Sommer in unserem Werk in Peking, der Beijing Benz Automotive Co. Ltd., mit der Produktion der Langversion der Mercedes E-Klasse speziell für den chinesischen Markt gestartet sind, wird sich dieses Verhältnis schon ab 2011 in diese Richtung bewegen», sagte Vertriebschef Joachim Schmidt im Interview mit der Autogazette.

Absatzziel von 120.000 Autos in China

Bereits im September konnte Mercedes in China vorzeitig sein für dieses Jahr angepeiltes Absatzziel von 100.000 Fahrzeugen erreichen. Nun geht Schmidt für 2010 von einem Gesamtabsatz von «mehr als 120.000 Autos» aus. Mit Blick auf den weltweiten Absatz der Kernmarke Mercedes-Benz rechnet der Manager im Vergleich zum Vorjahr mit einer Steigerung von zehn Prozent, «entsprechend erwarte ich einen Absatz von mindestens 1,1 Millionen Fahrzeugen in diesem Jahr.»

«Sind auf gutem Weg, unser Ziel zu erreichen»

Mercedes CLS
Der neue CLS kommt im Januar 2011 Foto: Daimler

Autogazette: Herr Schmidt, Mercedes befindet sich auf Höhenflug. Im September konnten Sie zum elften Mal in Folge den Absatz mit 13 Prozent erneut im zweistelligen Bereich steigern. Haben Sie manchmal Angst vor dem Absturz?

Joachim Schmidt: Nein, eigentlich nicht. Denn wir haben mit der Kernmarke Mercedes bis zum Jahr 2015 vor, 1,5 Millionen Fahrzeuge zu verkaufen. Dazu müssen wir wachsen. Wir können zwar nicht in jedem Jahr ein zweistelliges Wachstum hinlegen, doch wir sind auf einem guten Weg, unser ambitioniertes Ziel zu erreichen.

Autogazette: Die Kollegen von Audi haben sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2015 mit der gleichen Stückzahl erfolgreichster Premiumhersteller zu werden. Wie bewerten Sie diese Ansage vor dem Hintergrund Ihres eigenen Ziels?

Schmidt: Gelassen. Denn uns geht es beim Thema Erfolg grundsätzlich nicht nur um Stückzahlen, sondern vielmehr um Umsatz und nachhaltige Profitabilität.

Autogazette: Sehen Sie vor dem Hintergrund Ihrer Performance und der Wachstumsraten der Konkurrenz ein Ende der Branchenkrise erreicht, oder ist es nur ein Strohfeuer?

Schmidt: Ich sehe dieses Wachstum zwar nicht als Strohfeuer, doch als Ende der Krise würde ich es auch nicht bezeichnen. Denn gerade in Europa gibt es nach wie vor Märkte, die keine zufriedenstellende Entwicklung zeigen. Und der wichtige amerikanische Markt wächst zwar wieder, wird aber so schnell nicht wieder auf das Niveau von vor der Krise kommen.

Autogazette: Im Frühjahr sind Sie noch von einem weltweiten Gesamtmarkt von 55 Millionen Fahrzeugen ausgegangen. Wo liegt Ihre Einschätzung heute?

Schmidt: Wir sind davon ausgegangen, dass der Weltmarkt um etwa vier Prozent wächst. Heute gehen wir aufgrund der Entwicklung in Asien von einem Wachstum zwischen acht und neun Prozent aus.

«Setzen nicht nur auf die Karte China»

Die S-Klasse wird künftig auch mit vier Zylindern angeboten Foto: Daimler

Autogazette: Getragen wird das Wachstum von Mercedes momentan vor allem von Zuwächsen in den USA und insbesondere China. Ist das nicht gefährlich?

Schmidt: Diese beiden Märkte sind sehr wichtig für uns, sich aber beispielsweise nur auf China zu fokussieren wäre ein Fehler. Wir sind auch in den übrigen BRIC-Märkten Brasilien, Indien und Russland erfolgreich mit Zuwächsen zwischen 40 und 80 Prozent. Und wir wachsen auch in den anderen asiatischen Märkten wie Japan, Süd-Korea, Australien und Taiwan dynamisch. Vereinfacht ausgedrückt: Außerhalb von West-Europa verzeichnen wir kräftige Zuwächse. Aber auch in Westeuropa ohne Deutschland haben wir im September um sieben Prozent zugelegt. Sie sehen: wir setzen nicht nur auf die Karte China.

Autogazette: Im März hatten Sie das Absatzziel in China für dieses Jahr auf 100.000 Fahrzeuge angehoben und sich damit weit aus dem Fenster gelehnt. Nun liegen Sie bereits bis September bei einem Gesamtabsatz von 102.100 Einheiten. Wo sehen Sie den Absatz Ende des Jahres?

Schmidt: Wir werden in diesem Jahr mehr als 120.000 Autos in China absetzen.

«Werden 2015 1,5 Millionen Autos verkaufen»

Langversion der Mercedes E-Klasse
Langversionen sind in China sehr beliebt Foto: Daimler

Autogazette: Audi hat im August in China mehr Autos verkauft als auf seinem Heimatmarkt Deutschland. Sehen Sie eine Verschiebung der Marktverhältnisse auch für Mercedes?

Schmidt: Wir werden im Jahr 2015 rund 1,5 Millionen Autos verkaufen. Ich gehe davon aus, dass sich dann Deutschland, China und USA in etwa die Waage halten werden.

Autogazette: Experten rechnen von 2009 bis 2022 bei den hochpreisigen Premiumfahrzeugen mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 4,5 Prozent. Teilen Sie diese Auffassung?

Schmidt: Ich halte eine so langfristige quantitative Prognose für schwierig.

Autogazette: Warum?

Schmidt: Weil man beispielsweise Anfang 2010 bezogen auf die Entwicklung des Gesamtmarktes noch mit ganz anderen Zahlen operiert hat als jetzt. Der Markt hat sich innerhalb von neun Monaten sehr verändert. Natürlich kann man jetzt solche Schätzungen abgeben – doch sie sind mit vielen Unwägbarkeiten versehen.

Autogazette: Derzeit liegt der Marktanteil der deutschen Premiumhersteller in China bei vier Prozent. Wo sehen Sie die Entwicklung in 2015?

Schmidt: Wir haben derzeit eine Wachstumsrate von 120 Prozent. Ich glaube fest daran, dass die Marke Mercedes-Benz in China eine große Zukunft hat. Wenn Sie beispielsweise die Chinesen nach der Marke fragen, die ihnen den meisten Luxus verspricht, dann sind wir mit Mercedes-Benz ganz vorne.

Steigerung der Produktion in China

Der neue Smart Fortwo Foto: Smart

Autogazette: Bislang werden nur 30 Prozent der in China verkauften Mercedes auch dort produziert. Wie sehen Ihre Pläne aus, die Produktionskapazitäten in China zu erhöhen?

Schmidt: Die Zahl wird sich in den nächsten Jahren verändern: Ich gehe mittelfristig von einem Verhältnis von 50:50 aus. Da wir im Sommer in unserem Werk in Peking, der Beijing Benz Automotive Co. Ltd., mit der Produktion der Langversion der Mercedes E-Klasse speziell für den chinesischen Markt gestartet sind, wird sich dieses Verhältnis schon ab 2011 in diese Richtung bewegen.

Autogazette: Sie erwarten in diesem Jahr ein zweistelliges Wachstum für die Kernmarke Mercedes-Benz. Welcher Absatz erscheint nach den 1.012 Millionen in 2009 realistisch, mehr als 1,2 Millionen?

Schmidt: Wir gehen von einem Wachstum von zehn Prozent für unsere Kernmarke Mercedes-Benz aus, entsprechend erwarte ich einen Absatz von mindestens 1,1 Millionen Fahrzeugen in diesem Jahr.

Autogazette: Wie groß sind die Sorgen, die Ihnen die Marke Smart bereitet?

Schmidt: Wir haben mit dem smart im September weltweit ein Plus von sieben Prozent erzielt, in einigen Märkten wie Deutschland oder Frankreich waren die Zuwächse sogar zweistellig. Letzten Monat wurden schon die ersten Fahrzeuge der neuen Generation des smart ausgeliefert. Davon erwarten wir uns in diesem Jahr noch positive Impulse.

Autogazette: Welchen Absatz erwarten Sie dann für Smart nach den 117.000 verkauften Einheiten im Vorjahr?

Schmidt: Ich gehe davon aus, dass wir irgendwo im Bereich um 100.000 Fahrzeuge abschließen werden. Das ist für ein Produkt, das sich in einem späten Lifecycle befindet, gut. Wir sind damit zufrieden. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir ein neues Produkt auf den Markt bringen, wird es unsere Aufgabe sein, den Absatz ungefähr auf diesem Niveau zu halten.

Autogazette: Im Jahr 2013 wird der in Kooperation mit Renault gebaute Viersitzer des Smart auf den Markt kommen. Muss man solange warten, bis es der Marke wieder signifikant besser geht?

Schmidt: Einen konkreten Zeitpunkt für die Einführung möchte ich nicht bestätigen, aber erst ab der Erweiterung des smart Modellportfolios erwarten wir eine signifikante Steigerung der Absatzzahlen von smart.

«Momentan liegt der Vorteil klar bei uns»

Die A-Klasse erhält Elektroantrieb Foto: Daimler

Autogazette: Ende des Jahres wird Peugeot das Elektroauto iOn als Serienfahrzeug auch in Deutschland anbieten. Sie kommen mit dem Elektro-Smart erst 2012 in Großserie. Ist das nicht ein Wettbewerbsvorteil für die Franzosen?

Schmidt: Bislang haben diese Hersteller im Gegensatz zu uns noch keine Fahrzeuge ausgeliefert. Momentan liegt der Vorteil klar bei uns, denn wir werden bis Ende des Jahres rund 1500 Elektro-Smarts in Kundenhand gegeben haben.

Autogazette: Sie wollen bis zum Jahr 2015 rund 1,5 Millionen Fahrzeuge verkaufen. Wie hoch soll bis dahin der Anteil der Elektro-Fahrzeuge am Gesamtabsatz sein?

Schmidt: Es ist schwierig, hier aufgrund der vielen Unwägbarkeiten eine konkrete Prognose abzugeben. Doch eines ist klar: Daimler investiert in die Elektromobilität viele Ressourcen, weil wir glauben, dass sich diese Technologie mittelfristig durchsetzt. Ein Beispiel: wir haben mittlerweile eine Abteilung eingerichtet, die sich nur damit beschäftigt, wie man diese Art von Autos in Zukunft erfolgreich vermarktet.

Das Interview mit Joachim Schmidt führte Frank Mertens

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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