Seat-Chef Schleef: Im Automobilgeschäft sind wir Opfer unserer eigenen guten Tat

Der Autobauer Seat hat trotz des rückläufigen Gesamtmarktes seinen Absatz in Deutschland steigern können. Seat-Chef Andreas Schleef führt dies im Gespräch mit der Netzeitung auf eine zeit- und marktgerechte Produktpalette zurück.

Seat hat seine Absatzzahlen in Deutschland in den ersten zehn Monaten des Jahres um 2,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöhen können. Maßgeblichen Anteil an diesem Erfolg hat der Altea. «Unsere mittelfristigen Planungen für dieses Modell liegen jährlich bei 60.000 Einheiten. Für dieses Jahr hatten wir uns 30.000 Einheiten zum Ziel gesetzt. Dieses Ziel haben wir bereits Ende Oktober übererfüllt», sagte Seat-Chef Andreas Schleef der Netzeitung. Einen ähnlichen Erfolg erwartet der 61 Jahre alte Manager auch vom Toledo, der Anfang Dezember auf den deutschen Markt gekommen ist.

Zwar will Schleef den Marktanteil von Seat in Deutschland mittelfristig auf drei Prozent erhöhen, doch vor allem geht es ihm um qualitatives Wachstum. «Das heißt, dass wir noch besser ausgestattete Fahrzeuge anbieten wollen. Wir wollen die Waage zwischen Volumen und Ergebnis ausgeglichener gestalten. Wir wollen Premium in unserem Segment werden, also ein wenig den Weg nachmachen, den Audi einmal gegangen ist.»

«Nicht mehr als ein Signal»

Netzeitung: Herr Schleef, der Verband der Automobilindustrie hat gerade bekannt gegeben, dass die Zahl der Neuzulassungen in Deutschland im November im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozent auf 284.000 Einheiten gestiegen sind. Ist das mehr als eine punktuelle Besserung?

Andreas Schleef: Für eine Trendwende ist es noch zu früh. Dazu haben wir in den letzten Jahren leider zu viele negative Überraschungen erlebt. In Summe betrachtet ist der diesjährige Gesamtabsatz im fünften Jahr in Folge niedriger als das jeweilige Vorjahr. Von daher hoffe ich, dass dies ein Zeichen der Erholung ist. Aber mehr als ein Signal würde ich daraus nicht ableiten wollen.

Netzeitung: Was muss sich tun, damit sich der Absatz erholt?

Schleef: Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Doch man kann es auf einen wesentlichen Punkt bringen: Gerade im Automobilgeschäft sind wir in der Situation - überspitzt ausgedrückt - dass wir Opfer unserer eigenen guten Tat sind: Das heißt: Die Fahrzeuge sind nicht nur gut, sondern auch langlebig. Entsprechend kann der Interessent seine Kaufentscheidung für ein neues Produkt weit hinausschieben. Hinzu kommt, dass sich die Zusatznachfrage in Grenzen hält. Es ist in der Regel Ersatzbedarf.

«Konsum stark von Gefühlen getrieben»

Der Mann hinter der Marke Seat: Andreas Schleef

Netzeitung: Und Erstkäufer sind nicht in Sicht?

Schleef: Nein, womit wir zugleich bei der Demographie sind: Sie ist leider so, dass wir keine wachsende Bevölkerung haben, sondern eher eine stagnierende. Von daher kommt es entscheidend auf die Einstellung des Konsumenten an: Darauf, wie er die allgemeine Wirtschaftslage bewertet. Und in Deutschland ist der Konsum sehr stark von den Gefühlen getrieben. Das bedeutet, dass die Menschen in schlechten Zeiten eher an die Erhöhung der Sparquote denken als an einen Autokauf.

Netzeitung: Trifft das auch auf andere Länder zu?

Schleef: Das ist in vielen anderen europäischen Ländern völlig anders. So auch in Spanien: Zwar sind die Rahmenbedingungen in der Europäischen Union generell vergleichbar. Aber die Einstellung der Konsumenten zur allgemeinen Situation ist in Spanien eine ganz andere. Dort haben wir im November den höchsten Absatz gehabt, seit es Statistiken gibt.

Netzeitung: Können Sie das in Einheiten ausdrücken?

Schleef: Der spanische Markt liegt in diesem Jahr ungefähr bei 1,2 Millionen Einheiten, im Monat also in etwa bei 100.000. Wenn Sie also nach einer Ursache fragen, kommt man schnell auf die Empfindungen der Kunden und weniger auf etwas, das wir selbst beeinflussen können. Das macht es uns als Anbieter so schwer. Die Automobilindustrie versucht mit einem Feuerwerk von Produkten den Kunden zum Kauf zu bewegen: Dies geschieht derzeit mit einer Vielzahl von Aktionen, beispielsweise einer Rabattitis, die ich für falsch halte.

Halbleeres Glas in Deutschland

Netzeitung: Würden Sie sagen, dass die Menschen in Spanien optimistischer in die Zukunft blicken als hierzulande?

Schleef: Es ist immer schwer zu sagen: Der Deutsche, der Spanier. Doch wenn ich eine Schwarz-Weiß-Deutung anstelle, dann habe ich den Eindruck, dass das Glas in Deutschland halbleer ist, in Spanien hingegen halbvoll. Der Spanier geht in Erkenntnis der selben Realität mit einer anderen Einstellung an die Dinge heran. Er sagt: Die Zeiten sind zwar schlecht, aber warum soll ich mir heute nichts gönnen. Der Deutsche sagt: Die Zeiten sind schlecht, deshalb muss ich sparen, damit es mir im Alter nicht noch schlechter geht.

Netzeitung: Die Absatzzahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes von Januar bis Oktober weisen für Seat bei einem Absatz von knapp 51.000 Fahrzeuge in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 2,8 Prozent aus. Hat Sie dieser Zuwachs angesichts des rückläufigen Gesamtmarktes überrascht?

Schleef (zögert): Nein! Ich will nicht überheblich klingen, aber ich glaube, dass wir eine Produktpalette haben, die sehr zeit- und marktgerecht ist. Doch es gibt eine Kehrseite: Unser Marktanteil liegt derzeit bei knapp zwei Prozent. Das heißt, dass von 100 verkauften Autos, in Anführungszeichen gesprochen, «nur» zwei von Seat sind. Damit haben wir eine kleine, aber dafür sehr spezifische Kundschaft. Und für diese haben wir mit dem Altea ein völlig neues Modell im Angebot. Von daher freut es mich besonders, dass wir nicht nur entgegen dem Markttrend zugelegt haben, sondern das der Altea im Monat Oktober von allen unseren Modellen, noch vor dem Ibiza, die höchste Stückzahl erzielt hat (2187, Anm. d. Red).

Ziel mit Altea übererfüllt

Netzeitung: Sie haben den Altea im Juni auf den Markt gebracht, der sich seither weltweit mehr als 30.000 mal verkauft hat. Hat er damit die Erwartungen übertroffen?

Schleef: Unsere mittelfristigen Planungen für dieses Modell liegen jährlich

bei 60.000 Einheiten. Für dieses Jahr hatten wir uns 30.000 Einheiten zum Ziel gesetzt. Dieses Ziel haben wir bereits Ende Oktober übererfüllt.

Netzeitung: Erhöhen Sie aufgrund dieses Erfolges die Absatzerwartungen für das kommende Jahr?

Schleef: Wir sind vorsichtig, und müssen realistische Planungen machen. Deshalb haben wir unsere Abläufe so gestaltet, dass wir eine hohe Flexibilität erreichen. So können wir auf hohe Nachfragen schnell reagieren, ohne uns aber so auszurichten, dass, wenn es wider erwarten schlechter läuft als geplant, uns das erheblich trifft. Eine Bandbreite von plus bis minus 20 Prozent können wir problemlos ausgleichen.

Neues Logistiksystem

Netzeitung: Lange Lieferzeiten können Sie also ausschließen? Derzeit muss man bei den Mitbewerbern auf manche Modelle bis zu vier Monate warten.

Schleef: Unsere Kundschaft will, wenn sie sich entscheidet, schnell das Produkt haben. Lange Lieferfristen sind in der Branche nicht mehr das Thema - und bei Seat schon gar nicht. Generell liegen unsere Lieferzeiten deutlich unter diesen vier Monaten. Derzeit arbeiten wir an einem neuen logistischen System, das wir nach Spanien und Portugal auch in Frankreich einführen wollen. Mit dem so genannten Seat Distribution System (SDS) wollen wir erreichen, dass der Handel ohne lange Verzögerung auf alle bei uns im Werk zugänglichen Modelle zugreifen kann. Durch ein spezielles System kann er nachschauen, was wir in Kürze produzieren. So kann der Händler abgleichen, ob das vom Kunden gewünschte Fahrzeug verfügbar ist. Das versetzt den Handel in die Lage, die Lieferzeit aus Kundensicht zu verkürzen. Wir haben SDS letzten Jahres in Spanien eingeführt und werden es auf Deutschland ausdehnen.

Netzeitung: Sie hatten vor zwei Jahren einmal gesagt, dass Sie bis 2005 bis zu 10 Prozent der Neuwagen über das Internet absetzen wollen. Bleibt es bei dieser Aussage?

Schleef: Ich bin inzwischen zurückhaltender mit dieser Prognose und gehe

nicht mehr von zweistelligen Absatzraten aus. Doch ich würde den Internetverkauf - den wir in dieser Form eSEAT als einziger Hersteller anbieten - nicht aus dem Angebot nehmen, weil es eine Option für die Zukunft ist. Mich überrascht es immer wieder, dass zwar der Gebrauchtwagenmarkt im Internet eine große Rolle spielt, der Neuwagenmarkt aber nicht. Dabei ist der Gebrauchtwagenmarkt im Internet weitaus riskanter. Doch wenn sich diese Situation hin zum Neuwagenkauf ändert, profitieren wir aufgrund unserer jungen Kundschaft sehr schnell davon.

«Müssen bemerkt werden»

Netzeitung: Seit Anfang Dezember steht der Toledo bei den Händlern. Wie viele Einheiten wollen Sie von ihm in 2005 absetzen und können Sie schon etwas zu den Vorbestellungen sagen?

Schleef: Eine Woche ist zu knapp, um eine Prognose abzugeben. Es scheint sich aber wie beim Altea der Trend fortzusetzen, dass wir einen großen Teil von Interessenten, die nie zuvor bei Seat waren, in die Showrooms locken. Beim Altea waren es 40 Prozent. Das ist fantastisch, weil der Altea kein Vorgängermodell hatte. Der Toledo hat ein Vorgängermodell, ist vom Design aber vollkommen anders. Trotzdem verzeichnet er einen ähnlichen Trend. Aufgrund seines prägnanten Designs wird der Toledo sehr kontrovers diskutiert. Aber wir haben uns bewusst für dieses Design entschieden. Als kleiner Hersteller müssen wir bemerkt werden.

Netzeitung: Wenn Sie nichts zu den Vorbestellungen sagen können, dann doch aber zu den Erwartungen für 2005.

Schleef: Weltweit wollen wir vom Altea und Toledo 100.000 Einheiten pro Jahr verkaufen: Also 60.000 Altea und 40.000 Toledo. In Spanien, dort ist der Toledo bereits im November eingeführt worden, sind die Verkaufszahlen bereits sehr gut.

Netzeitung: Worauf führen Sie es primär zurück, dass ein Auto in diesem Maße die Kunden in die Showrooms lockt. Ist es nur das Design?

Schleef: Offensichtlich! Ich bin ja nun schon einige Tage in der Automobilindustrie, aber ich kann mich nicht erinnern, dass in einer renommierten deutschen Automobilzeitung, die jedes Jahr eine Befragung unter Ihren Lesern macht, ein Fahrzeug wie der Altea auf den zweiten Platz kommt, obwohl das Auto noch gar nicht auf der Straße unterwegs war. Das zeigt, dass dafür nur sein Erscheinungsbild verantwortlich sein kann.

«Altea unser sicherstes Auto»

Netzeitung: Ist der Altea das Auto, dass Ihnen bei Seat bislang die meiste Freude bereitet hat? Bereits vor der Markteinführung erhielten Sie einen Designpreis, zudem wurde der Altea beim NCAP gerade mit fünf Sternen für die Insassensicherheit ausgezeichnet.

Schleef: Der NCAP zeigt, dass der Altea unser sicherstes Fahrzeug ist. Man kann dies auch auf den Toledo ausweiten: Er wurde zwar nicht bewertet, hat jedoch die gleichen Rahmendaten. Der Altea ist nicht nur für mich, sondern für Seat so wichtig, weil wir in unserer Unternehmensstrategie ein Drei-Säulenmodell verfolgen: Den Ibiza, den Leon und den Altea/Toledo. Und jede dieser drei Säulen soll ungefähr das gleiche zum Gesamtergebnis beitragen. Diese Strategie scheint aufzugehen - und zwar in Stückzahl als auch im Ergebnis. Dass es beim Altea funktioniert, macht mich deshalb so froh, weil es das erste Auto ist, das neu in den Markt eingeführt wurde, seit ich in diesem Unternehmen bin. Von daher hat man beim ersten Baby immer die größte emotionale Bindung. Aber auch in Zukunft sind schöne neue Dinge von Seat zu erwarten.

Netzeitung: Lange wusste man nicht so genau, wofür die Marke Seat innerhalb des VW-Konzerns mit seinem Markendickicht steht. Der Altea hat das Marken-Image also schärfen können?

Schleef: Ja. Und der Toledo setzt das fort. Wir wollen in unserem Segment, technisch gesprochen der A0 und A-Plattform, die Kunden ansprechen, die Design als Wert für sich empfinden, die sportliche Fahrzeuge wollen und die athletische und unkonventionelle Lösungen weg vom Mainstream haben wollen.

Netzeitung: Wie wollen Sie die Kunden, die zu Seat gekommen sind, bei der Marke halten?

Schleef: Unter dem Markennamen Seat gibt es erst seit gut einem viertel Jahrhundert Autos außerhalb Spaniens. Damit sind wir mit Abstand die jüngste europäische Marke. Damit denkt ein Autokäufer nicht automatisch an Seat, sondern erst an die Volumenhersteller. Weil dem so ist, sprechen wir bewusst die Kunden an, für die ein Fahrzeug mehr ist als ein Fortbewegungsmittel, mit dem man von A nach B kommt. Wir können im Moment mehr unsere Produkte ausloben als die Marke selbst. Mittelfristig ist es natürlich unverzichtbar, dass wir das Markenbewusstsein unserer Kunden stärken. Für uns lässt sich die Schärfung gut an. Im Durchschnitt ist unsere Kundschaft deutlich jünger als bei anderen Konzernmarken...

Junge Kundschaft

Netzeitung: ... das Durchschnittsalter liegt bei 37 Jahren...

Schleef: ...ja, und damit sind unsere Kunden im Durchschnitt zehn Jahre jünger als der Audi-.Kunde. Wir haben einen nennenswerten Anteil von Neuwagen-Kunden, die zwischen Anfang 20 und Mitte 30 sind. Wir verfügen damit also über sehr junge Kunden, was mich sehr zuversichtlich macht. Wenn diese Gruppe sehr zufrieden ist und wir sie mit unserem Service und unserem Händlernetz pflegen, dann haben sie es leichter. Denn der ältere Kunde kauft allein schon rein statistisch in seinem restlichen Leben natürlich weniger Fahrzeuge als ein junger Mensch.

Netzeitung: Glauben Sie, dass die Kunden die Werbebotschaft «Auto emocion» mittlerweile der Marke Seat zuordnen?

Schleef: Ich kenne keine dezidierten wissenschaftlichen Untersuchungen, die das belegen würden. Doch ich glaube, dass sich diese Botschaft mittlerweile durchgesetzt hat. Vor allem bei unserer Zielgruppe. Der Slogan Auto emocion ist deshalb so glänzend, weil er zwei Dinge ideal ausdrückt: Mit emocion weiß man in jeder Sprache, was gemeint ist. Zudem drückt sie aus, dass wir die einzige spanische Automobilmarke in der Welt sind. Wir sind spanisch, aber wir liefern Werte. Bei allen Markenuntersuchungen gibt es keine negativen Attribute, wenn sie das Wort spanisch daneben setzen.

Steigender Marktanteil

Netzeitung: Sind der Altea und der Toledo Fahrzeuge, die den Marktanteil von Seat von derzeit 1,9 Prozent in Deutschland erhöhen können?

Schleef: Unsere internen Verkaufszahlen sind so, dass wir in Deutschland in 2005 mehr verkaufen wollen als in diesem Jahr. Daraus folgt, wenn der Markt auf dem bisherigen Niveau bliebe, eine Steigerung des Marktanteiles. Doch der Marktanteil als solcher ist für mich ein nur sekundärer Indikator. Wichtig sind die insgesamt abgesetzten Stückzahlen. In diesem Jahr ist es zwar schön, dass wir einen steigenden Marktanteil haben. Aber wichtiger ist, dass die Verkaufszahlen erreicht sind.

Netzeitung: Trotz allem: Welchen Marktanteil peilen Sie für 2005 an?

Schleef: Ich möchte es nicht nur auf dieses eine Jahr beschränken: Ich habe unseren Kollegen bei Seat Deutschland aufgegeben, einen Mittelfrist-Plan mit einer Steigerung des Marktanteiles bis zu drei Prozent zu entwickeln.

Netzeitung: Mittelfrist heißt?

Schleef: Mittelfrist heißt: Fünf Jahre aufwärts.

Netzeitung: Sie haben im Jahr 2003 insgesamt 437.000 Autos abgesetzt. Was wollen Sie im kommenden Jahr erreichen?

Schleef: Das ist schwierig zu beantworten, da wir unsere Modellreihen umstellen. Wir haben den Ibiza und den Cordoba 2002 neu eingeführt und haben in diesem Jahr mit dem Altea eine vollkommen neue Modellreihe aufgebaut. Parallel dazu haben wir den Toledo neu aufgelegt. Zudem haben wir den Inca und den Arosa eingestellt und der Leon kann aufgrund seines Alters in der jetzigen Form nicht noch weitere fünf Jahre laufen. Deshalb ist es für die nächsten zwölf bis 24 Monaten schwer, absolute Zahlen zu nennen. In Summe geht unsere Strategie der nächsten drei bis fünf Jahre davon aus, dass wir die bestehenden Produktionskapazitäten von roundabout 500.000 Einheiten pro Jahr in unserem Stammwerk in Martorell ausnutzen. Aufgrund von flexiblen Arbeitszeitmodellen ist ein Ausbau aber möglich.

Wir werden in den nächsten drei bis fünf Jahren unsere Energien aber nicht in Zusatzkapazitäten investieren, sondern unseren Schwerpunkt auf mehr qualitatives Wachstum setzen. Das heißt, dass wir noch besser ausgestattete Fahrzeuge anbieten wollen. Wir wollen die Waage zwischen Volumen und Ergebnis ausgeglichener gestalten. Wir wollen Premium in unserem Segment werden, also ein wenig den Weg nachmachen, den Audi einmal gegangen ist.

Konsolidierung aller Aktivitäten

Netzeitung: Sie hatten im vergangenen Jahr einen drastischen Einbruch des Nettogewinns von 203 Millionen Euro in 2002 auf 134 Millionen Euro hinzunehmen. Wird das laufende Jahr besser aussehen?

Schleef: Die Zahlen, auf die Sie sich beziehen, muss man relativieren. Sie beziehen sich auf das gesamte Seat-Geschäft. In Spanien bezieht es sich auf mehr als das reine Automotive-Geschäft. Wir konsolidieren alle Konzern-Aktivitäten in Spanien wie Importeur, das VW-Werk in Navarra, VW Financial Services und ähnliches. Die Zahlen, die sich unter dem Strich ausdrücken, sind Ausdruck einer Investition in die Zukunft. So haben wir die gesamte Modellpalette erneuert, was am Anfang natürlich Geld gekostet hat und sich in der Bilanz niederschlägt. Bei den internen Werten sind wir absolut im Plan. Ich bin mit der Entwicklung unseres Kerngeschäftes sehr zufrieden. Zwar noch nicht mit den absoluten Zahlen, doch wir sind auf dem richtigen Weg.

Netzeitung: Welcher Stellenwert hat für Sie der chinesische Markt, der gemeinhin als der Wachstumsmarkt schlechthin gilt? VW hat dort ja auch ein eigenes Werk.

Schleef: VW hat dort gemeinsam mit Audi ein Werk. Der Konzern ist derzeit als Gesamtgebilde in China hervorragend aufgestellt. VW und Audi sind dort Marktführer. China ist nicht nur ein Boom-Markt, er wird sich durch die WTO-Regeln noch stärker öffnen. Doch für mein Unternehmen ist der chinesische Markt zur Stunde von keinem Interesse, weil die Produkte, die dort nachgefragt werden, durch VW und Audi hervorragend abgedeckt sind. Unsere Produkte haben dort zur Stunde in nennenswerten Stückzahlen keine Chance. Wir konzentrieren uns mit unserer Strategie deshalb auf unsere Zielmärkte in Europa, Mittel- und Südamerika. Für Seat wird der Wachstumsmarkt Nordamerika sein. Irgendwann vielleicht auch einmal Asien, doch das werde ich als Seat-Chef nicht mehr im Job erleben.

Enorme Wachstumsraten in Osteuropa

Netzeitung: Und Osteuropa?

Schleef: Wir haben dort in einigen Märkten enorme Wachstumsraten. Allerdings stellen wir auch einen enormen Preisverfall fest, den wir nicht mitmachen wollen und können. Doch Osteuropa ist für uns Teil Europas und damit ein Kernmarkt. So haben wir dort bestimmte Märkte mit Marktanteile von über fünf Prozent. Das trifft beispielsweise auf die Slowakei, Slowenien oder Rumänien zu. Polen war auch sehr gut, doch da gibt es Probleme mit den Preisen.

Netzeitung: Als Tochter des VW-Konzerns können Sie einerseits auf die technischen Neuerungen der Wolfsburger zurückgreifen, auf der anderen Seite sind Sie von deren Produktpolitik abhängig. Ist das, was unter Kostengesichtspunkten sinnvoll erscheint, nicht ein Hemmnis für die Innovationskraft der Marke Seat?

Schleef: Wenn alle das gleiche anbieten würden, hätten Sie Recht. Doch mit der Schaffung der Markengruppe als Steuerungselement wird dies verhindert. Durch die klaren Markenwerte wie Design und Sportlichkeit nehmen wir auf Basis der gleichen Grundwerte eine andere Ausrichtung vor. Sie können in einem Skoda oder Seat zwar das gleiche Aggregat einbauen, doch das Gesamtkonzept ist entscheidend. Das macht Innovation im Fahrzeugbau aus, dass sie mit gleichen Bauteilen ein anderes Endprodukt anbieten. Ein Seat Altea ist mit keinem Produkt innerhalb des Konzerns vergleichbar.

Keine Konkurrenz zum Golf Plus

Netzeitung: Wirklich? Ende Januar bringt VW den Golf Plus auf den Markt, der dem Altea doch sehr ähnlich ist. Befürchten Sie nicht, dass sich potenzielle Altea-Kunden dann nicht eher dem Golf Plus zuwenden?

Schleef: Von den Raumdefinitionen ist der Golf Plus dem Altea sicher vergleichbar. Doch der Altea ist vollkommen anders ausgelegt, auch was die Ausgestaltung betrifft. Wir haben bereits mit zwei anderen Fahrzeugen, dem Alhambra und dem Sharan, Erfahrungen gesammelt, die vom Konzept ähnlich sind. Doch wir können feststellen, dass der Kunde, der einen Alhambra fährt, keinen Sharan will und umgekehrt. Aufgrund dieses Beispiels gehe ich davon aus, dass hier niemand dem anderen einen Käufer wegnimmt.

Netzeitung: VW hat die Gewinnerwartung unlängst von 2,5 Milliarden auf 1,9 Milliarden Euro reduziert. Steht Seat deshalb unter einem besonderen Druck, eine Dividende auszuschütten?

Schleef: Wir sind ja eine 100ige VW-Tochter. Von daher führen wir wie üblich an unseren Shareholder das ab, was wir erwirtschaften. Wenn es dem Konzern allgemein nicht gut geht - hier speziell der größten Einzelmarke - muss man natürlich seinen Beitrag leisten. Jeder versucht natürlich, sich noch mehr anzustrengen, Kostendisziplin zu wahren. Konkret gibt es aber keine anderen Vorgaben. Doch die Forderungen des Shareholders sind legitim. Der Aktionär, der Geld gibt, will eine angemessene Rendite sehen.

Lohnkosten allein nicht entscheidend

Netzeitung: Anfang November ist der Tarifstreit in Wolfsburg mit einer Einigung beendet worden, die den Beschäftigten dank eines Lohnverzicht eine Jobgarantie bis 2011 garantiert. Kann der Wirtschaftsstandort Deutschland nur durch eine Senkung der Lohnkosten attraktiv bleiben.

Schleef: Dieser Tarifvertrag ist für VW in der jetzigen Situation aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ich finde jedoch, dass die Diskussion über die Lohnkosten in Deutschland zu verkürzt geführt wird. Denn für mich sind nicht die Lohnkosten absolut entscheidend. Wenn man es darauf reduzieren würde, dürften wir Industrieproduktion in Deutschland überhaupt nicht mehr praktizieren, da es weiter östlich günstigere Standorte gibt. Wichtig sind also nicht die Lohnkosten allein, sondern die Differenz aus Kosten und Ertrag. Der Arbeiter muss einfach mehr erwirtschaften als er das Unternehmen kostet. Unser strukturelles Problem in Deutschland ist, dass wir unsere Sozialsysteme über den Faktor Arbeit finanzieren und nicht über indirekte Formen wie in anderen Ländern. Ohne eine richtige Steuerreform kommen wir nicht weiter. Wir haben Arbeit zu stark belastet, deshalb bin ich ein Anhänger von indirekten Steuern wie Verbrauchssteuern.

Das Interview mit Andreas Schleef führte Frank Mertens

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