«100 Kilometer Reichweite reichen allemal«

Interview Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber

Für Thomas Weber bleibt der Verbrennungsmotor und der Hybridantrieb auch in den kommenden Jahrzehnten die dominierende Antriebsform. Im Interview mit der Autogazette spricht der Daimler-Entwicklungsvorstand über die Beteiligung an Tesla und die Zukunft von Elektrofahrzeugen.

Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber sieht bei Elektrofahrzeugen die «wirtschaftliche Marktreife für den Großserieneinsatz» noch lange nicht als erreicht an. «Dafür brauchen wir weitere Synergie- und Skaleneffekte», sagte Weber im Interview mit der Autogazette. «Derzeit besteht in der Öffentlichkeit wirklich der Eindruck, dass wir ab morgen alle mit Elektrofahrzeugen fahren. Dem ist natürlich nicht so. Der moderne Verbrennungsmotor und auch der Hybridantrieb werden in den kommenden Jahrzehnten die dominierenden Antriebe sein.»

«Win-Win-Partnerschaft mit Tesla»

Autogazette: Herr Weber, Sie haben sich gerade am Elektro-Pionier Tesla beteiligt. Reicht die Innovationskraft von Daimler nicht aus, um allein den Elektroantrieb entscheidend voranzubringen?

Thomas Weber: Selbstverständlich reicht sie aus. Ich denke sogar, dass wir durch unsere Erfahrungen mit dem Elektro-Smart in London und den über 600 Patenten zu Batteriefahrzeugen in einer ausgesprochen guten Position sind. Dennoch können Tesla und Daimler im Sinne einer «win-win» Partnerschaft voneinander profitieren.

Autogazette: Schon vor der Bekanntgabe der Minderheitsbeteiligung stand fest, dass Sie sich für die neue Generation des Smart Electric Drive die Batterien von Tesla liefern lassen. Welchen Vorteil sehen Sie in der Beteiligung für Daimler?

Weber: Bislang haben wir die Lieferung von Lithium-Ionen Batterien der Firma Tesla für die ersten 1.000 Einheiten unserer nächsten Smart Electric Drive Generation vorgesehen, deren Produktion Ende dieses Jahres startet. Im Rahmen dieses gut laufenden Projektes haben wir uns dann für eine noch weiter gehende Zusammenarbeit entschieden. Dabei geht es insbesondere um die Entwicklung von Batteriesystemen inklusive Komponenten und Elektroantrieben sowie um einzelne Fahrzeugprojekte, wo insbesondere Tesla auf unser Engineering Know-how und unsere automobile Erfahrung zurückgreifen möchte.

«Reichweite über 100 Kilometer»

Ein Elektro-Smart in London Foto: Smart

Autogazette: Welche Reichweite wird der Elektro-Smart mit der Lithium-Ionen-Batterie von Tesla erzielen?

Weber: Der heutige Smart Electric Drive mit Zebra-Batterie verfügt bereits über eine Reichweite von 100 Kilometern. Neben einigen anderen kundenerlebbaren Verbesserungen, werden wir mit der Lithium-Ionen Batterie noch mal einen deutlichen Reichweitenzuwachs erreichen - lassen Sie sich überraschen! Wir haben allerdings in unserem Feldversuch in London die Erfahrung gemacht, dass unsere Kunden mit den 100 Kilometern bereits gut auskommen.

Autogazette: Zur Entwicklung der Batterietechnologie haben Sie zusammen mit Evonik erst vor kurzem die Deutsche Accumotive GmbH gegründet. Welche Rolle spielt dieses Unternehmen vor dem Hintergrund des Einstiegs bei Tesla?

Weber: Die langfristige Partnerschaft mit Tesla ergänzt sehr gut unsere eigenen Aktivitäten auf dem Gebiet der Fahrzeugelektrifizierung und damit auch die Zusammenarbeit mit Evonik beziehungsweise Li-Tec. Bislang arbeitet Tesla mit Lithium-Ionen Batterien, deren Zellen aus der Konsumer-Elektronik stammen. Die Deutsche Accumotive GmbH entwickelt sehr leistungsfähige Lithium-Ionen Batterien für unsere Hybrid-, Brennstoffzellen- und Batteriefahrzeuge. Dabei kommt eine spezifisch für den Einsatz im Automobil entwickelte Flachzelle aus unserem Li-Tec Engagement zum Einsatz. Diese Zelle ist mit einem besonderen Keramik-Seperator ausgestattet, der höchste Produktqualität und -sicherheit bietet. Diese weiterentwickelte Lithium-Ionen Batterie verfügt über eine deutlich höhere Lebensdauer und ist auch für Tesla interessant.

«Batterien auch an Dritte vertreiben»

Der Antriebsstrang im Smart Fortwo Electric Drive Foto: Smart

Autogazette: Ab wann soll die Deutsche Accumotive die ersten nennenswerten Batterie-Einheiten liefern?

Weber: Ab 2012 planen wir den Einsatz dieser Lithium-Ionen Batterien in all unseren Elektrofahrzeugen, sowohl bei Pkw als auch bei Nutzfahrzeugen.

Autogazette: Sind die Kapazitäten ausschließlich für den Daimler-Konzern bestimmt?

Weber: Die Batterien der Deutschen Accumotive, die wir aktuell entwickeln, sind speziell für die automobilen Anforderungen abgestimmt. Daher gehen wir davon aus, dass sie auch bei anderen Automobilherstellern auf großes Interesse stoßen werden. Die verfügbaren Kapazitäten sind zunächst exklusiv auf den Daimler-Bedarf konzentriert, aber wir verfolgen ganz klar das Ziel, unsere Batterien später auch an Dritte zu vertreiben.

Autogazette: Die Diskussionen über die notwendige Reichweite eines Elektro-Autos gehen weit auseinander. Die einen sagen, man brauche nur 60 Kilometer, andere sprechen von mindestens 100 Kilometern. Was sagen Sie?

Weber: Wir sind überzeugt, dass Batteriefahrzeuge aufgrund ihrer begrenzten Reichweite und relativ langen Betankungszeiten vor allem für Ballungszentren interessant sind. Gut 100 Kilometer Reichweite genügen für den Alltagsbetrieb in urbanen Regionen alle mal. Denn dort legt der größte Teil der Autofahrer heute kaum mehr als 40 Kilometer pro Tag zurück. Natürlich gibt es auch Kunden, die mehr Reichweite wollen. Daher arbeiten wir parallel zum reinen Batteriefahrzeug auch an Elektroautos mit Range Extender sowie am Brennstoffzellenantrieb, der heute bereits mit 400 km Reichweite und sehr kurzen Betankungszeiten glänzen kann.

Autogazette: Der Tesla Roadster ist voll gepackt mit Batterien und soll auf eine Reichweite von 350 Kilometer kommen. Hat dieses Fahrzeugkonzept für Sie eine Vorbildfunktion oder bietet es noch zu viele Einschränkungen?

Weber: Es ist bewundernswert, mit welcher Stringenz und Geschwindigkeit es Tesla gelungen ist, so ein außergewöhnliches Fahrzeug auf den Markt zu bringen, mit dem eine ganz neue Nische bedient wird. Auch für uns ist es die Zielsetzung, unseren Kunden faszinierende Produkte mit maßgeschneiderten Antriebslösungen und maßgeschneiderten Fahrzeugkonzepten anzubieten und das ohne Einbußen in Sachen Funktionalität, Komfort oder Sicherheit. Wer es künftig am Besten schafft, neue Ideen mit den Produkteigenschaften zu verbinden, die weltweit von Kunden geschätzt werden, eröffnen sich zusätzliche Marktchancen. Das ist unser Ziel!

«Attraktive Konditionen für Elektro-Smart»

Die B-Klasse mit Brennstoffzelle Foto: Daimler

Autogazette: Sie bringen Ende des Jahres eine erste Kleinserie des Elektro-Smart auf die Straße. Zu welchem Preis wird das Auto angeboten?

Weber: Sehen Sie mir nach, dass es noch zu früh ist, um über Preise zu sprechen. Sie können aber sicher sein, dass wir die Fahrzeuge unseren Kunden zu attraktiven Konditionen anbieten werden. Dabei denken wir zum Einstieg in diese neue Antriebstechnologie, unter anderem auch über ein Leasingmodell nach.

Autogazette: Laut einer aktuellen Dekra-Studie sollen Elektroautos bereits bis zum Jahr 2020 unter dem Strich günstiger sein als konventionelle Antriebe. Können Sie diesen Optimismus teilen?

Weber: Die Entwicklungen der Elektromobilität hängen von vielen Faktoren ab. Neben der Infrastrukturthematik ist beispielsweise auch noch die steuerliche Frage dieser neuen «Zero-emission Fahrzeuge» unbeantwortet. Natürlich arbeiten wir mit Hochdruck daran, auch diese zukunftsfähigen Technologien auf ein wettbewerbsfähiges Preisniveau zu bringen. Dazu setzen wir auf ein modulares Konzept sowohl auf der Komponentenebene, wie zum Beispiel den Batterien, als auch bei der Fahrzeugarchitektur. Dies sichert uns entsprechende Skalen- und Synergieeffekte.

«Große Zuwachsraten in zehn Jahren möglich»

Thomas Weber Foto: Daimler

Autogazette: Was glauben Sie: Ab wann können E-Autos zu einem wettbewerbsfähigen Preis angeboten werden, der sie zu einem massentauglichen Gefährt macht?

Weber: Unser Smart Electric Drive kommt ab 2012 in größeren Stückzahlen auf den Markt, dann selbstverständlich auch zu wettbewerbsfähigen Preisen. Wenn die offenen Infrastrukturfragen schnell genug und konsequent angegangen werden, halte ich innerhalb der nächsten 10 Jahre große Zuwachsraten für möglich.

Autogazette: Werden sich Elektroautos nur dann durchsetzen können, wenn es entsprechende Förderanreize seitens des Staates gibt?

Weber: Ausschlaggebend wird die Gesamtsituation sein: Es muss sich um alltagstaugliche Lösungen für den Kunden handeln, die Autos müssen überall problemlos aufgeladen werden können, die Qualität der Produkte muss stimmen und unter dem Strich muss das Ganze natürlich auch wirtschaftlich sein. Dabei werden staatliche Förderanreize auch eine Rolle spielen.

Autogazette: Die Unternehmensberater von Roland Berger glauben, dass China Vorreiter bei den Elektroautos wird. Bis zum Jahr 2020 sollen dort bereits 50 Prozent aller Neuwagen Elektroautos sein. Sehen Sie China auch in der Vorreiterrolle?

Weber: Wie sich die Märkte entwickeln können, lässt sich schwierig prognostizieren. Dass aber der chinesische Markt aufgrund seiner hohen Dynamik eine wichtige Rolle einnehmen wird, ist sicherlich denkbar. Zumal die chinesische Regierung derzeit alles tut, um diese Entwicklungen durch entsprechende Forschungsprogramme massiv voranzutreiben. Themen wie Standardisierung und Industrialisierung haben daher auch so eine hohe Priorität. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dieses Zukunftsthema nicht aus der Hand zu geben, sondern es aus Deutschland heraus zu betreiben. Für uns ist ganz klar, dass wir hier auch weiterhin eine Vorreiterrolle einnehmen möchten. Die entsprechenden strategischen Weichen, wie zum Beispiel unsere Partnerschaft mit Evonik oder Tesla, haben wir bereits gestellt.

«Verbrennungsmotor wird dominierende Antrieb sein»

Der Mercedes S 400 Hybrid Foto: Daimler

Autogazette: Besteht die Gefahr, dass man sich zu stark auf die Zukunftstechnologie Elektroantrieb konzentriert, dabei aber die Effizienzsteigerung der Verbrennungsmotoren vernachlässigt?

Weber: Derzeit besteht in der Öffentlichkeit wirklich der Eindruck, dass wir ab morgen alle mit Elektrofahrzeugen fahren. Dem ist natürlich nicht so. Der moderne Verbrennungsmotor und auch der Hybridantrieb werden in den kommenden Jahrzehnten die dominierenden Antriebe sein. Dass wir hier noch sehr große Fortschritte erzielen können, zeigt die neue E-Klasse, bei der wir Verbrauchseinsparungen von bis zu 23 Prozent im Vergleich zum Vorgänger erzielen konnten. Sie ist bereits mit einem Verbrauch von nur 5,3 Liter pro 100 Kilometer erhältlich. Diese Technologie rollen wir nun über die gesamte Produktpalette aus.

Autogazette: Aber muss sich nicht auch Daimler diesen Vorwurf gefallen lassen? Sie bieten zwar einen Hybridantrieb für die S-Klasse an, doch neue, effizientere Motoren sucht man im Angebot ihres Flaggschiffes vergeblich.

Weber: Wir brauchen uns hier sicherlich nicht verstecken. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Bei unserer S-Klasse haben wir sowohl modernste Diesel als auch einen Hybriden im Produktprogramm, die bei einem Verbrauch von unter 8 Liter pro 100 Kilometern liegen. Unser S 350 CDI BlueEFFICIENCY hat einen Verbrauch von nur 7,6 Litern pro 100 Kilometern und ist damit die sparsamste S-Klasse aller Zeiten und der S 400 ist CO2-Champion in seinem Segment.

Autogazette: Die Bundesregierung will bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf den deutschen Straßen sehen. Verkennt das nicht den bisherigen Entwicklungsstand?

Weber: Natürlich ist dieses Ziel ambitioniert, aber wer, wenn nicht ich als Forschungs- und Entwicklungsvorstand, sollte als Verfechter ehrgeiziger Ziele agieren. Ob man diese anspruchvolle Zahl wirklich erreichen wird, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab - nicht zuletzt von der bereits angesprochenen Infrastruktur. Wir werden aber alles dafür tun, unseren Beitrag dazu zu leisten.

«Unsere Elektrofahrzeuge sind sehr ausgereift»

Die Lithium-Ionen-Batterie im S 400 Hybrid Foto: Mercedes

Autogazette: Bosch-Chef Franz Fehrenbach hat es gerade als verantwortungslos bezeichnet, dem Kunden eine schnelle Marktreife von Elektroautos in Aussicht zu stellen. Stellen Sie dem Kunden etwas in Aussicht, was Sie nicht halten können?

Weber: Teilweise wird nicht genügend zwischen technischer Reife und Marktreife unterschieden. Unsere Elektrofahrzeuge - und ich denke da auch an die B-Klasse mit Brennstoffzellenantrieb - sind technisch gesehen sehr ausgreift. Aber die wirtschaftliche Marktreife für den Großserieneinsatz haben wir noch lange nicht erreicht. Dafür brauchen wir weitere Synergie- und Skaleneffekte. Das bedeutet aber ganz bestimmt nicht, dass man die Arbeit an solchen Zukunfts-Technologien einstellen sollte. Im Gegenteil: Heute stellen wir mit unseren Aktivitäten auf der Forschungs- und Entwicklungsseite die Weichen für eine emissionsfreie Mobilität.

Autogazette: VW-Chef Martin Winterkorn sagte, dass niemand wisse, wie lange es daure, bis man kostengünstigere und bessere Batterien habe. Wissen Sie mehr als Ihr Kollege aus Wolfsburg?

Weber: Unser Anspruch ist nicht zu warten, bis die Entwicklungen eintreten, sondern sie aktiv zu gestalten. Das gilt insbesondere für Schlüsseltechnologien wie die Lithium-Ionen Batterie, deren Serieneinführung wir massiv vorantreiben. Und ich kann Ihnen sagen, dass wir in den vergangenen Jahren bereits sehr gute Fortschritte gemacht haben. Ich bin überzeugt, wir werden sicherlich spätestens alle drei bis vier Jahre einen größeren Entwicklungsschritt bei der Leistungsfähigkeit der Batterien erzielen. Neben der Modularisierung wird sich damit auch die Wirtschaftlichkeit entsprechend verbessern.

Das Interview mit Thomas Weber führte Frank Mertens

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