Hinterbänkler leben gefährlich

Insassenschutz im Auto

Hinterbänkler leben gefährlich
Hinterbänkler sind nicht so gut geschützt wie Fahrer und Beifahrer. © VW

Der EuroNCAP stellt modernen Autos in aller Regel gute Noten aus – sie bieten entsprechend ein hohes Maß an Insassensicherheit, zumindest für Fahrer und Beifahrer. Bei den Mitreisenden im Fond sieht das schon anders aus.

In diesem Punkt sind sich Verbraucherschützer und Industrie einig: Moderne Pkw bieten im Schnitt ein sehr hohes Maß an Insassensicherheit - zumindest denen, die vorne sitzen. Fahrer und Beifahrer schützen Airbags von Kopf bis Fuß, es gibt Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer für sie. Kopfstützen, die bei einem Crash einem Schleudertrauma entgegenwirken, erhöhen die Sicherheit nochmals. Hinterbänkler leben dagegen deutlich gefährlicher.

In der zweiten oder dritten Reihe sind die erwähnten Schutzsysteme laut dem ADAC alles andere als selbstverständlich. Es gebe sie - je nach Fahrzeugmodell und Preisklasse - entweder gar nicht oder nur teilweise und oft genug erst gegen Aufpreis.

Simpler Beckengurt und keine Gurtkraftbegrenzer

Allein schon der Gurt für hinten mittig sitzende Mitfahrer ist meist als simpler Beckengurt ausgeführt. Außerdem fehlen bei vielen Fahrzeugen im Fond eine Gurthöhenverstellung sowie Gurtkraftbegrenzer und Gurtstraffer, die dafür sorgen, dass Insassen bei einem Aufprall möglichst schonend, aber effektiv aufgefangen werden. So wirkt ADAC-Messungen zufolge bei einem Frontalcrash mit Tempo 64 auf Hinterbänkler bis zu eine Tonne Gewicht ein - das kann schwerste Verletzungen zur Folge haben.

Der ADAC bemängelt auch, dass die hinteren Kopfstützen oft weiter vom Kopf entfernt sind als bei den Vordersitzen. Überstreckungen im Halswirbelbereich seien so bei einem Frontalunfall durch das anschließende Zurückschleudern des Körpers sehr wahrscheinlich. Was aber am meisten verwundert: Frontal wirkende Airbags wie auf den vorderen Plätzen, die mit die wichtigsten Lebensretter sind, bietet noch kein Autobauer an. Auch Knie- oder Fußairbags für den Fond finden sich in keiner Ausstattungsliste. Immerhin haben Mercedes und Ford für die nahe Zukunft schlauchähnliche Airbags angekündigt, die in die Sicherheitsgurte hinten integriert werden.

Gurt Lebensretter Nummer eins

Ob vorne oder hinten, mit oder ohne Airbag: «Der Gurt ist immer noch der Lebensretter Nummer eins», betont Sven Rademacher, Sprecher beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). Zugleich gibt er aber zu bedenken, dass ein Fünftel der 3648 Autofahrer, die im Jahr 2010 tödlich verunglückt sind, nicht angeschnallt war. Mit Gurt hätten viele von ihnen wohl überlebt.

Umso wichtiger sei es, sich auf jeder noch so kurzen Fahrt anzuschnallen - und zwar richtig: den Gurt nicht über dicke Kleidung anlegen und gut festziehen. Immerhin die große Mehrheit hat das Gurtanlegen verinnerlicht. Erhebungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zufolge liegt die Anschnallquote im Bundesdurchschnitt bei 98 Prozent vorne und 97 Prozent hinten.

Dass die Passagiere im Pkw-Fond größere Gurtmuffel sind, ist paradox. Rademacher führt das unter anderem auf das trügerische Gefühl zurück, hinten geborgener und sicherer zu sein, weil etwa die Rückseite der Vordersitze unbewusst als schützendes Prallkissen betrachtet werde. Der DVR-Sprecher kritisiert, dass kein Autobauer - wie vorne üblich - auch für die Plätze hinten einen Gurtwarner einbaue, der einen nervenden Ton von sich gibt, wenn jemand nicht angeschnallt ist.

Rademacher macht noch auf ein weiteres, besonderes Risiko für Hintensitzer aufmerksam: Während die Mitfahrer aus dem Fond eines viertürigen Autos nach einem nicht allzu schweren Unfall oft noch recht gut herauskämen, sehe das bei Zweitürern anders aus. Sei so ein Wagen ungünstig deformiert, säßen die Passagiere hinten in der Falle. Ein Fluchtweg kann dann bei Steilheckmodellen die große Kofferraumklappe sein - sofern sie sich noch öffnen lässt. Bei Zweitürern mit stärker gestuftem Heck gibt es laut dem ADAC so gut wie keine Chance, durchs Gepäckabteil herauszukommen.

Mercedes S-Klasse mit Neuerung

Um die Probleme der Hinterbänkler im Auto wissen die Hersteller von Sicherheitssystemen. «In den vergangenen Jahren hat sich zwar der Schutz für Fahrer und Beifahrer deutlich verbessert. Grund dafür sind vor allem strengere Vorschriften im Neuwagenbewertungsprogramm EuroNCAP», sagt Dirk Schultz, Chefentwickler des Zulieferers TRW. Am Manko an Sicherheits-Features im Fahrzeug-Fond werde sich aber wohl erst etwas ändern, wenn ab 2015 bei EuroNCAP-Crashtests die Sicherheit auf der Rückbank stärker in den Fokus rücke.

Einen Lichtblick gibt es immerhin: 2012 stellte TRW einen Prototypen für einen Dach-Airbag für die Rückbank vor. Und ein aktives Gurtschloss für Hinterbänkler soll dem Unternehmen zufolge noch in diesem Jahr in der Mercedes S-Klasse in Serie gehen.

Obwohl der Insassenschutz im Fond noch Lücken hat, können Mitfahrer dort über das Anschnallen hinaus etwas für ihre Sicherheit tun. Es sollten zum Beispiel keine losen Gegenstände auf der Hutablage liegen, so der ADAC. Schwerere Gepäckstücke im Kofferraum sollten weit unten und rutschfest verstaut sein. Und die Kopfstützen sind so einzustellen, dass möglichst wenig Luft zum Hinterkopf bleibt. (dpa/tmn)

Vorheriger ArtikelWHO erwartet mehr Verkehrstote
Nächster ArtikelMazda ruft neuen 6er zurück
Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

Keine Beiträge vorhanden