«Verantwortung für Klimaschutz nicht privatisieren»

Sigmar Gabriel

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hofft auf eine schnelle Umsetzung bei der Berechnung der Kfz-Steuer am CO2-Ausstoß. Im Interview mit der Autogazette spricht der SPD-Politiker zudem über ein Tempolimit und die Förderung von Biokraftstoffen.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel will noch während der deutschen Ratspräsidentschaft erreichen, dass sich seine Ministerkollegen auf das von der EU-Kommission vorgelegte Ziel zur Reduzierung der CO2-Emissionen von 120 Gramm pro Kilometer bis 2012 verständigen. «Dann ist wieder die Kommission am Zug: Sie muss einen konkreten Gesetzgebungsvorschlag unterbreiten, der festlegt, wie dieses verbindliche Ziel erreicht werden kann. Ich gehe davon aus, dass es dazu noch heftige Diskussionen geben wird. Aber jetzt ist es für Spekulationen noch viel zu früh», sagte der SPD-Politiker im Interview mit der Autogazette.

Ehrgeiziger Kommissions-Vorschlag

Autogazette: Herr Gabriel, muss sich die Bundesregierung nach dem EU-Kompromiss zur CO2-Reduktion auf 130 g/km bis 2012 nicht zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, als Bremser beim Klimaschutz aufzutreten?

Sigmar Gabriel: Nein. Der Vorschlag der Kommission ist keine Abschwächung, sondern sehr ambitioniert. Anders als Sie unterstellen, gibt es kein 130-Gramm-Ziel. Es bleibt vielmehr dabei, dass die europäischen Autohersteller den CO2-Ausstoß ihrer Neuwagenflotte bis 2012 auf 120 Gramm pro Kilometer senken müssen. Dieses Ziel müssen sie zu über 90 Prozent durch Verbesserungen bei der Fahrzeugtechnik erreichen! Der Rest kann durch den Einsatz von Biokraftstoffen erbracht werden. So haben wir es übrigens auch schon im Koalitionsvertrag vereinbart. Der Vorschlag der EU-Kommission ist ehrgeiziger als alle vergleichbaren Regelungen auf der Welt. Ich unterstütze das nachdrücklich.

Autogazette: Stimmt es Sie nicht nachdenklich, dass ein solcher Vorwurf aus Ihrer eigenen Partei kommt. So sieht Marco Bülow als umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion in dem Kompromiss einen herben Rückschlag für den europäischen Klimaschutz.

Gabriel: Manche haben offenbar schon vergessen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, das macht mich nachdenklich. Ich habe den Eindruck, die Kritik an dem Kommissionsvorschlag auch aus Teilen der Umweltverbände beruht zu einem Großteil auf zwei Missverständnissen. Zum einen bleibt es bei den 120 Gramm, in dieser entscheidenden Frage ist die Kommission mit guten Gründen hart geblieben.

Zum anderen ist die teilweise Anrechnung von Biokraftstoffen keineswegs ein Einknicken gegenüber der Autoindustrie. Diese Maßnahme ist politisch gewollt, um einen Innovationsschub in der Kraftstofftechnologie auszulösen. Denn natürlich werden wir den wachsenden Bedarf an klimafreundlichen Biokraftstoffen auf Dauer nicht allein mit herkömmlichen Rapsmühlen decken können. Wir brauchen Bioraffinerien, die aus Biomasse - Pflanzen, aber auch organischen Abfällen und Klärschlämmen - flüssigen Treibstoff herstellen. Diese industrielle Strategie erfordert riesige Investitionen, die der Staat allein nicht aufbringen kann. Deshalb ist es so wichtig, dass der Kommissionsvorschlag ein klares Anreizsignal für die Industrie setzt.

«Vorwurf unbegründet»

Autogazette: Bülow übt zugleich Kritik an Kanzlerin Merkel, die seiner Meinung nach dem Lobbydruck nicht standgehalten habe. War es mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft klug, dass sich Frau Merkel so für die Autolobby stark gemacht hat?

Gabriel: Auch dieser Vorwurf ist unbegründet. Angela Merkel weiß als ehemalige Umweltministerin sehr genau, dass wir entschlossen und schnell handeln müssen, um den Klimawandel zu begegnen. Die Kanzlerin hat in der Debatte lediglich völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass alle Autos klimafreundlicher werden müssen - nicht nur die großen Limousinen und Sportwagen, sondern auch die Mittelklasse- und Kleinwagen. Es wäre klimapolitisch fatal, wenn nur die Oberklasse den CO2-Ausstoß reduzieren würde und das Massensegment außen vor bliebe.

«Erwarte heftige Diskussionen»

Autogazette: Die Hersteller wären Ihrer Selbstverpflichtung, den CO2-Ausstoß bis 2008 auf 140 g/km zu reduzieren, nicht nachgekommen. Wie wollen Sie zukünftig erreichen, dass die Autoindustrie den nun vorgelegten Wert einhält, über gesetzgeberische Maßnahmen?

Gabriel: Wir haben jetzt den Vorschlag der Kommission für das 120-Gramm-Ziel auf dem Tisch. Ich strebe an, dass sich die Umweltminister noch unter der deutschen Präsidentschaft auf dieses Ziel verständigen. Dann ist wieder die Kommission am Zug: Sie muss einen konkreten Gesetzgebungsvorschlag unterbreiten, der festlegt, wie dieses verbindliche Ziel erreicht werden kann. Ich gehe davon aus, dass es dazu noch heftige Diskussionen geben wird. Aber jetzt ist es für Spekulationen noch viel zu früh.

Autogazette: Wie sinnvoll erachten Sie unter Klimagesichtspunkten eine Kfz-Steuer, die sich nach dem CO2-Ausstoß bemisst?

Gabriel: Die Umstellung der Kfz-Steuer ist im Grundsatz beschlossene Sache. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir uns in Zukunft nicht mehr am Hubraum, sondern am CO2-Ausstoß orientieren wollen. Das federführende Bundesfinanzministerium wird dazu noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf vorlegen. Da unser Anliegen grundsätzlich sowohl von Umwelt- als auch Automobilverbänden unterstützt wird, hoffe ich auf eine schnelle Umsetzung. Allerdings sind wir dabei auf die Zustimmung der Länder angewiesen.

«Verantwortung für Klimaschutz nicht privatisieren»

Autogazette: Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage sind über 60 Prozent der Deutschen für ein Tempolimit auf Autobahnen. Sind Sie weiter gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen?

Gabriel: Für mich ist die entscheidende Frage: Mit welchen Maßnahmen können wir schnell und effektiv das Klima schützen? Die möglichen Auswirkungen eines Tempolimits auf den CO2-Ausstoß des gesamten Verkehrsbereichs sind mehr als bescheiden. Deshalb steht das Thema gegenwärtig nicht auf der Tagesordnung. Außerdem sind jetzt erstmal die Autohersteller am Zug: Sie müssen klimafreundliche Modelle entwickeln. Wir dürfen die Verantwortung für den Klimaschutz nicht privatisieren und einseitig auf die Verbraucher bzw. Autofahrer abwälzen.

Das Interview mit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel führte Frank Mertens

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