R32: Der neue «Leit-Golf»

Der VW-Konzern bringt mit dem R32 den stärksten Golf aller Zeiten auf den Markt. Der neue Sportwagen der Wolfsburger bietet beeindruckende Fahrleistungen, wie ein erster Test zeigt.

Frank Mertens

Natürlich ist ein Auto wie der neue Golf R32 unvernünftig. Mit seinen 250 PS und einem Verbrauch von 10,7 Litern ist er angesichts einer nicht enden wollenden Preisspirale an den deutschen Tankstellen ein Anachronismus. Jeder, der nur irgendetwas mit dem Begriff Ökologie anzufangen weiß, wird mit Blick auf die Leistungsdaten und den Verbrauch dieses stärksten Golfs aller Zeiten entgeistert die Hände über den Kopf zusammenschlagen.

Der «Leit-Golf»

Doch dem Golf R32 - dem neuen «Leit-Golf», wie ihn die Verantwortlichen in der Marketingabteilung des Wolfsburger Autobauers nennen - kann man sich nicht allein mit Vernunft nähern. Ich habe es versucht - und bin mit diesem Anspruch famos gescheitert.

Bereits beim Platznehmen lässt sich erahnen, was einen erwartet: Der Tacho im sachlich gestaltetem Cockpit reicht bis Tempo 300 km/h, auch wenn das Auto 50 km/h zuvor abgeregelt wird. Die in Zusammenarbeit mit Recaro entwickelten Motorsportschalen-Sitze sehen nicht nur gut aus, sondern erfüllen auch ihre Aufgabe: Sie passen sich dem Körper perfekt an - zumindest bei Normalgewichtigen. Das Sportlenkrad liegt glänzend in der Hand. Die besten Voraussetzungen also, dieses Auto zu erfahren.

Die Sportschalen-Sitze im R32 Foto: Werk

Ein kleiner Dreh am Zündschlüssel, schon erklingt ein sonores Röhren aus dem Sechszylinder-Motor. So hören sich nur Sportwagen an. Und so fährt sich der neue Golf auch. Die ersten Testkilometer führen auf der Autobahn von Hannover zur Ausfahrt Laatzen. Bis hierhin kann man den R32 an seine Grenzen treiben und die Fahrer anderer Sportwagen überraschen, dass ihnen ausgerechnet ein Golf nicht aus dem Rückspiegel verschwinden will. Schlimmer noch: Dass sie wegen ihm sogar auf die rechte Fahrspur wechseln müssen. Die Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h wird problemlos erreicht, doch wirklich Spaß macht das nicht - dafür ist die A7 an diesem Freitagvormittag einfach zu voll.

R32 ruft Emotionen hervor

Das Cockpit im neuen Golf Foto: Werk

Weiter geht es auf der Landstraße Richtung Hameln. Hier soll der R32 zeigen, was wirklich in ihm steckt - schnell fahren können schließlich auch andere Autos. Bestens geeignet dafür sind die engen Kurven des Weserberglandes. Dafür geht es hinauf zum kleinen Bergdorf Ottenstein-Lichtenhagen. Eine Kurve löst hier die nächste ab. Gegenverkehr: So gut wie Fehlanzeige. Von hier geht es über die Ottensteiner-Hochebene weiter nach Brevörde in der Nähe von Bodenwerder. Spätestens hier war es bei mir vorbei mit der vernunftgeleiteten Herangehensweise an dieses Fahrzeug - die Emotionen haben sich durchgesetzt. Die Straßenlage des R32 mit seinem Sportfahrwerk und dem permanenten Allradantrieb haben mich vollends begeistert.

Selbst auf schlechtem Untergrund hat man den Eindruck, dass sich die 18-Zoll-Leichtmetallräder mit der Dimension 225/40 geradezu in den Asphalt krallen. Traktionsprobleme sind für den R32 dank des Allradantriebes ein Fremdwort; von einem Antriebszerren in der Lenkung ist nichts zu spüren. Perfekt schlängelt sich der R32 durch die so genannten «13 Kurven» von Ottenstein nach Brevörde. Er tut es so, dass man diese Strecke sofort noch einmal in umgekehrter Richtung zurücklegen muss. Der 3,2 Liter Sechszylinder-Motor bietet dabei neben einem hervorragendem Handling auch eine beeindruckende Kraftentfaltung.

320 Nm Drehmoment

Beim Beschleunigen aus der Kurve presst er den Fahrer in die gut konturierten Sportsitze. Sie bieten einen hervorragenden Seitenhalt. Apropos Sitze: Serienmäßig wird der R32 mit so genannten Top-Sportsitzen mit Stoffbezug angeboten. Sie sind nicht schlecht, keine Frage. Doch deutlich wohler fühlt man sich in den Ledersitzen, für die ein Aufpreis von 1755 Euro fällig wird. Wer es noch sportlicher haben will, der sollte die Motorsport-Schalensitze (2850 Euro!) ordern, mit denen unser Testwagen ausgestattet war. Diese Sitze passen am besten zu der Charakteristik des R32.

Der V6 im neuen R32 Foto: Werk

Mit seinem maximalen Drehmoment von 320 Nm - es liegt zwischen 2500 bis 3000 Umdrehungen pro Minute an - schiebt sich das Auto aus fast jedem Drehzahlbereich souverän nach vorn. Für beste Beschleunigungswerte sorgt dabei das von uns getestete Direktschaltgetriebe (DSG), das den R32 ohne die sonst nervige Zugkraftunterbrechung bei Automatikgetrieben auf Touren bringt. Mit dem DSG beschleunigt der R32 in 6,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Mit dem serienmäßigen manuellen Sechsganggetriebe sind es drei Zehntelsekunden mehr. Überraschend sind die Verbrauchswerte, denn mit DSG liegen sie bei 9,7 Litern SuperPlus, mit Sechsganggetriebe ist es ein Liter mehr. Für ein Auto mit diesen Leistungsdaten akzeptable Werte.

Hang zum Understatement

Der Schriftzg R32 am Heck Foto: Werk

Für die herausragenden Handlingeigenschaften neben dem 4Motion-Allradantrieb sorgt die Mehrlenkerhinterachse: Durch die Vierlenker-Konstruktion können die Kräfte, die in Längs- und Querrichtung auf die hinteren Räder einwirken, autonom und gezielt voneinander aufgenommen werden. Dadurch wird eine äußerst präzise Führung des Rades ermöglicht und entsprechend ein gutes Fahrverhalten erzielt. Die Wolfsburger Fahrwerksspezialisten haben ganze Arbeit geleistet: Kompliment! Für den Fall, dass das Fahrzeug dennoch einmal ausbricht, greift das elektronische Stabilisierungsprogramm ESP behutsam ein und führt das Fahrzeug auf den richtigen Weg zurück.

Das Schöne an dem R32 ist im Gegensatz zu dem sportlicher daherkommenden frontgetriebenem Golf GTI (147 kW/200 PS) sein Hang zum Understatement: Von außen ist ihm nicht anzusehen, was in ihm steckt. Der Kühlergrill des R32 ist in Alu-Optik gehalten, das verleiht ihm im Vergleich zum GTI ein eleganteres und dezenteres Auftreten. Der neue «Leit-Golf» unterscheidet sich auch von hinten von seinem «kleinen Bruder». Während beim GTI die Doppel-Auspuff-Endrohre auf der linken Seite angebracht sind, befinden sie sich beim R32 in der Mitte.

Einstiegspreis von 33.200 Euro

Der VW Golf GTI Foto: Werk

Doch nicht nur bei der Optik grenzt sich der R32 vom GTI ab. Er tut es vor allem durch den Preis. Während VW für seinen ab dem 30.September bei den Händlern stehenden Golf-Primus mindesten 33.200 Euro verlangt (mit DSG kostet er 33.650 Euro), sind es für den GTI «nur» 24.200 Euro (mit DSG 25.575 Euro).

Damit ist klar, dass die Wolfsburger eine andere Zielgruppe anpeilen. «Wir sprechen mit diesem Auto Enthusiasten mit mehr Geld in der Tasche an. Wir haben die Zielgruppe im oberen A-Segment im Auge», sagt der Leiter Produktmarketing, Ludger Fretzen.

Erwartungen übertroffen

Die Seite des R32 Foto: Werk

Zu den Absatzerwartungen für den neuen R32 wollte sich Fretzen nicht konkret äußern. Von dem erstmals im Jahr 2002 auf den Markt gekommenen R32 hat man seither weltweit 14.000 Einheiten verkauft, erwartet worden waren gerade einmal 5000. Von daher hofft Fretzen, dass auch das neue Modell mindestens die bisherigen Absatzzahlen erreichen wird, möglichst natürlich mehr.

«Wenn Sie Buchhalter sind, macht man ein solches Auto nicht. Dazu gehört unternehmerischer Mut.» VW hat ihn bewiesen - und dürfte genügend «Verrückte» finden, die sich für den neuen R32 entscheiden werden.

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