Porsche Taycan 4S: Quer durch den Schnee

Porsche Taycan 4S: Quer durch den Schnee
Souverän auch im Schnee: der Porsche Taycan 4S. © Porsche

Kontrolliert auf Schnee und Eis durch den Winter zu kommen ist Wunsch aller Autofahrer. Wie das trotz hohen Elektro-Drehmoments mit dem neuen Porsche Taycan 4S geht, wurde jetzt im finnischen Teil Lapplands vorgeführt.

Innovative Spitzentechnologie, beeindruckende Fahrleistungen, zukunftsweisendes Design: Der Porsche Taycan macht seinem voraus geeilten amerikanischen Konkurrenten Tesla auf Anhieb die Führungsrolle streitig. Doch ein Beitrag zur elektrifizierten Massen-Mobilität ist er nicht, daran hindert ihn seit saftiger Preis. Das neue „Einsteigermodell“ mit der Modellbezeichnung „4S“ kostet 105.607 Euro.

Gleichwohl stehen, so ist von Porsche-Vertretern zu hören, schon rund 20.000 Bestellungen in den Büchern. Viele Chinesen, Amerikaner, in Europa außer Deutschen die elektro-affinen Norweger und Niederländer, haben einen Taycan geordert, ohne je einen Meter mit ihm gefahren zu sein. Sie vereint eine Kombination aus mindestens zwei Eigenschaften: Sie haben Faible für Technik und Fahrspaß und sie verfügen über finanzielle Mittel, die ein Großteil der Bevölkerung ihres Landes nicht hat.

Eine enorme Durchzugskraft

Der Porsche Taycan in Finnland: Idylle im Schnee. Foto: Porsche

Porsche hat sich für eine „Top-down“-Vermarktungsstrategie bei dem viertürigen Stark-Stromer entschieden: Nach Turbo-S- und Turbo-Variante (die mehr als 600 PS auch ohne Abgas-Verdichtung generieren), kommt nun die 4S-Version mit zwei verschiedenen Batteriegrößen. Die Kapazität beträgt 79,2 oder 93,4 Kilowattstunden (kWh), die Leistung der jeweils zwei Elektromotoren 320 bzw. 360 kW. Eine Overboost-Funktion macht daraus im Bedarfsfalle 390 bzw. 420 kW. Das wären bei Verbrennern 530 oder 571 PS. Ein auf Abruf stehendes Drehmoment beläuft sich auf 640 bzw. 650 Newtonmeter.

Diese enorme Durchzugskraft will möglichst verlustfrei auf den Fahrweg gebracht werden. Bei Eis und Schnee ist das eine besondere Herausforderung. Unweit des nordfinnischen Ski-Gebiets rund um die Kleinstadt Levi hat Porsche weitläufige Eisflächen präparieren lassen, wo man überwiegend risikofrei und nach Herzenslust aufs Fahrpedal treten kann. Die hochkomplexe Steuerungs- und Regel-Elektronik, die den „Saft“ aus den zwischen den Achsen liegenden Akkus an die permanenterregten Synchronmaschinen an Vorder- und Hinterachse weitergibt, soll dafür sorgen, dass Schlupf weitgehend vermieden und dennoch zügig gefahren wird.

Elektronische Helfer sorgen für Betriebstemperatur

Damit die Batterie bei anhaltenden Minusgraden nicht vorzeitig in die Knie geht, konditionieren andere elektronische Helfer sie vor und erwärmen sie auf Betriebstemperatur. Beim Antrieb liegt der entscheidende Unterschied zum Sportwagen mit Verbrennungsmotor, der durch die Kurbelwelle nur ein Element zur Weitergabe von originärer Bewegungsenergie hat, darin, dass die E-Motoren vorn und hinten einzeln angesteuert werden können. „Das schafft ganz neue Möglichkeiten“, sagt Christian Wolfsried, der als Entwicklungsingenieur für Fahrdynamik und Allradtechnik beim Taycan zuständig ist.

Die Regelelektronik arbeite mit Steuerzeiten von zwei Millisekunden und ist damit „rund zehn Mal schneller als wir das von herkömmlichen Antrieben kennen. Dieses Ansprechverhalten und die präzise Dosierbarkeit ergeben ein ausgewogenes und harmonisches Fahrerlebnis“.

„Nur quer ist ma‘ wer“

Die Folge ist, dass die wahren Vorzüge des Elektro-Sportlers unter normalen Verkehrsbedingungen eher im Verborgenen schimmern. Aber wenn Autotester auf abgesperrtem Winterparcours schnelle Runden drehen wollen, sind sie selten an Ausgewogenheit und Harmonie interessiert. „Nur quer ist ma‘ wer“, ein Bonmot, das Ex-Rallyeweltmeister Walter Röhrl zugeschrieben wird, scheint dann als Maxime des Handelns zu gelten. Gefahren wird unter Verzicht auf die in Lappland üblichen Spikes, nur normale Winterreifen sorgen für Kontakt zwischen Taycan und Eisbank.

Natürlich können auch beim Elektro-Porsche anhaltend heftige Lenk- und Pedalbewegungen die sture Geradeausfahrt beenden, jedoch überrascht er seine Insassen ein ums andere Mal mit der Einfachheit, mit der sich der rund 2,2 Tonnen schwere Wagen wieder einfangen und in die gewünschte Bahn bugsieren lässt. Die Grenzen der Physik scheinen verblüffend dehnbar. Selbst ein Schwimmwinkel von 90 Grad – also quer zur eigentlichen Richtung – ist keine Fahrsituation, die sich nicht durch beherzten Tritt aufs Fahrpedal bereinigen ließe. Mit durchdrehenden Hinterrädern fängt sich der Viertürer wieder und die nächste Kehre kann im Drift anvisiert werden. Die vorbildliche Balance verdankt er nicht zuletzt seinem niedrigen Schwerpunkt, der 41 Millimeter unterhalb dessen im Modell 911 Carrera liegt.

Ein klares Votum

Dank Allrad hinterlässt der Porsche Taycan 4S einen starken Eindruck. Foto: Porsche

Mag sein, dass jemand bei den Übungen den Sound eines aufheulenden Achtzylinders vermisst hat, denn die Schallabsonderungen des Taycans lassen sich bei solchen Manövern wohl am ehesten mit einem waidwunden Alien-Raumschiff vergleichen. Doch die Souveränität, mit der selbst Anfänger des Auto-Wintersports schon nach wenigen Runden rutschige Slalom-Aufgaben meistern können, ist ein klares Votum zugunsten der Beherrschbarkeit der neuen Elektro-Limousine. Winzigste Pedal-Veränderungen kommen einen Wimpernschlag später an den Rädern an, sensibel meldet die Lenkung im Digital-Takt Verlust oder Vorhandensein von Grip. Wenn die aufgewühlten Schneefahnen die Sicht durch die Seitenscheiben zu verdunkeln beginnen, weiß der Fahrer: Alles richtig gemacht.

Ist eine solche Performance noch steigerungsfähig? Geht es noch bissiger, noch deftiger, noch kerniger? Porsches Tradition ist der Hinterrad- nicht der Allradantrieb. Ließe man die vordere E-Maschine des Taycans weg, wären umfangreiche Modifikationen zur Wiederherstellung der Crash-Sicherheit und der Datenübertragung nötig. Doch wenn man Porsche-Verantwortliche nach der Fortsetzung der Top-down-Strategie durch eine heckgetriebene Taycan-Version fragt, erhält man immerhin ein verständnisvolles Lächeln.

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Axel F. Busse
Axel F. Busse ist gelernter Redakteur, sein kommunikations-wissenschaftliches Studium absolvierte er an der FU Berlin. Nach Tätigkeiten bei Tageszeitungen, wo er sich mit Auto- und Verkehrsthemen beschäftigte, arbeitet er seit 2003 als freier Autor ausschließlich in diesem Bereich. Außer für die Autogazette schreibt er für verschiedene Online- und Printmedien.

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