Porsche 911 Turbo S: Mit der Lizenz zur Raserei

Topmodell in 2,9 Sekunden auf 100

Porsche 911 Turbo S: Mit der Lizenz zur Raserei
Der Porsche 911 Turbo S greift auf 580 PS zurück. © Porsche

Der Porsche 911 Turbo S steht vor einer schwierigen Aufgabe. Da mittlerweile alle Sportikonen der Volkswagen-Tochter zwangsbeatmet werden, benötigt das Topmodell weitere Eigenschaften, um sich von der Masse abzusetzen.

Von Axel F. Busse

Wie man Suchtmittel ganz legal vertreibt, beweist Porsche seit mehr als 60 Jahren. Vor gut 40 Jahren warf die Firma ein Präparat auf den Markt, das als „der Turbo“ zuverlässig die Adrenalin-Ausschüttung wohl situierter Kundschaft förderte. Inzwischen haben alle 911er-Turbolader, was das Erscheinen des aktuellen Topmodells zu einer heiklen Mission macht: Ist der Spitzen-Elfer immer noch Spitze?

Porsche in 2,9 Sekunden auf 100

Auf der Preisskala in jedem Falle, denn der Turbo S knackt inzwischen auch als Coupé die Marke von 200.000 Euro. Ohne Extras versteht sich. Porsche-Vertreter sind aber gern bereit, den Nachweis darüber zu führen, dass „der Turbo“ genau genommen sogar günstiger geworden sei. Gegenüber dem Vorgänger würden nun allerlei Sonderausstattungen mitgeliefert, wie etwa LED-Scheinwerfer, Rückfahrkamera oder Navigations-Modul für das neue Infotainment-System. Auf der Stoppuhr ist der Turbo S ebenfalls Spitze, denn dieser 580 PS starke Bolide sprintet in weniger als drei Sekunden von Null auf Hundert. Und das sei, so Baureihenleiter August Achleitner, noch „eher konservativ“ gemessen.

Die technische Entwicklung der Topmodelle kann man gut an den Leistungs- und Verbrauchswerten ablesen: Beim ersten Turbo, er hatte nicht einmal halb so viel PS wie der heutige (540 in der Basisausführung), konnte man getrost mit doppelt so viel Verbrauch rechnen wie beim aktuellen Fahrzeug: 20 Liter statt 9,1 Liter, wie der Spritkonsum nach EU-Norm jetzt lautet.

Porsche 911 Turbo ohne Turboloch

Der Porsche 911 Turbo S greift auf 580 PS zurück.
Der Porsche 911 Turbo packt spontan zu Porsche

Die Art der Leistungsentfaltung ist ein weiterer Fortschritts-Indikator: „Der Walter“, mit Nachnamen Röhrl, erinnert sich noch gut, dass „der Turbo“ auch nerven konnte: „Man musste vor der Kurve schon Gas geben, damit man nach der Kurve wieder Schub hatte“. Das so genannte „Turboloch“ war eine der Kinderkrankheiten aufgeladener Motoren, denn bis der Abgasstrom stark genug war, um die Verdichter-Turbine zur Arbeit zu bewegen, konnten einige Sekunden vergehen. Das ist Geschichte. Die heutigen Porsche-Turbos sind so spontan und zupackend, wie eine hungrige Klapperschlange nach einem Streifenhörnchen schnappt.

Ausprobieren konnten Autotester das jetzt auf dem ehemaligen Grand-Prix-Kurs Kyalami bei Johannesburg. Der dortige Porsche-Importeur hat die südafrikanische Rennstrecke gekauft und baut sie nach modernsten Sicherheits-Standards aus. Gemeinsam mit dem Topmodell schickt Porsche auch die Allrad-Varianten Carrera 4 und 4S ins Rennen, so dass die 911er-Familie sich mit großen Schritten der Vollzähligkeit nähert.

Porsche greift bei der Weltraumfahrt zu

Der Porsche 911 Turbo S greift auf 580 PS zurück.
In weniger als zehn Sekunden hat der Porsche 911 Turbo Tempo 200 erreicht AG/Busse

Die Einzigartigkeit des Turbos auch für die Zukunft zu gewährleisten, bedurfte freilich keiner großen Anstrengung der Porsche-Ingenieure. Es ist ein technisches Detail, das abgesehen von Leistung, Ausstattung und Preis für zuverlässige Abgrenzung sorgt. Der 3,8 Liter große Sechszylinder-Boxermotor wird durch verstellbare Schaufelräder zwangsbeatmet. „Variable Turbinengeometrie“ nennt das der Fachmann und Porsche ist der weltweit einzige Hersteller, der diese Technik bei einem Benzinmotor anwendet. Der Grund: Es braucht ein Material aus der Weltraumfahrt – ähnlich dem Hitzeschild eines Space-Shuttles – das die immensen Abgas-Temperaturen nicht nur aushält, sondern auch noch funktionstüchtig bleibt.

Der Effekt: Unmittelbare Gasannahme, explosive Kraftentfaltung und Tachoanzeige „200“ in weniger als zehn Sekunden. Gleichzeitig vorbildliche Spurtreue und ein messerscharfes Einlenkverhalten sowie Traktion im Überfluss dank Allradantriebs. Auf die Straße gebracht wird dies mit 245er-Reifen vorne, 305er-Pneus hinten. Sie sorgen auch dafür, dass der Turbo noch einmal sieben Zentimeter breiter ist als der Carrera 4, dessen Hinterteil durchaus schon beeindruckende Dimensionen aufweist. Nicht ohne Stolz weisen die Porscheaner darauf hin, dass die Leistungssteigerung mit einer Verbrauchsminderung einhergeht. Um rund sechs Prozent nahm der Spritkonsum ab, zumindest, wenn man den EU-Normtest zum Maßstab nimmt. Dass der echte Fahrspaß bei etwa 15 Litern beginnt, steht auf einem anderen Blatt.

Porsche 911 Turbo ab 174.669 Euro

Der Porsche 911 Turbo S greift auf 580 PS zurück.
750 Newtonmeter stehen dem Porsche 911 Turbo s zur Verfügung Porsche

Das dürfte aber jenes Viertel 911er-Kunden nicht schrecken, das regelmäßig auf das Erscheinen des Turbos wartet. Ihnen bereitet die Finanzierung des mindestens 174.669 Euro teuren Coupés gewöhnlich keine Probleme, eher schon die Zurückhaltung mit dem Gasfuß, wenn die Verkehrsbehörde mal wieder tempo-beschränkende Schilder aufgestellt hat. Die Lizenz zur Raserei gehört zum Lieferumfang, die Höchstgeschwindigkeit stieg beim Turbo auf 320 km/h, beim Turbo S auf 330 Stundenkilometer.

Beide Varianten werden ausschließlich mit dem siebengängigen Porsche-Doppelkupplungs-Getriebe (PDK) ausgeliefert, das im Falle des Turbo S eine maximale Durchzugskraft von 750 Newtonmetern übertragen muss. Wer nicht nur geradeaus, sondern auch gern einmal quer fährt, kann das Stabilitäts-Management durch Aktivierung eines speziellen Fahrmodus’ dazu veranlassen, einen gewissen Driftwinkel zuzulassen, während gleichzeitig aber der Rettungsanker des ESP einsatzbereit und wachsam bleibt.

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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