McLaren 720S: Lust statt Frust aus England

McLaren 720S: Lust statt Frust aus England
Der McLaren 720S ist ein richtiger Hingucker. © McLaren

Das Hin und Her um den Brexit nervt gewaltig. Doch es gibt auch positive Nachrichten aus England. Dafür sorgt der Supersportwagen McLaren 720S.

Denn McLaren bietet den 720S aus der „Super Series“ jetzt auch als Spider an und macht so tatsächlich Lust auf einen Sommer in England. Zwar kostet der offene Zweisitzer stolze 280.000 Euro aufwärts. Doch gemessen an dem, was wir alle für den Brexit zahlen werden, ist das ein Schnäppchen. Außerdem gibt es dafür so viel frische Luft, dass man sich sämtliche politische Flausen mit einem Kickdown aus dem Kopf blasen lassen kann.

Dafür sorgen ein Karbonverdeck, das sich in rekordverdächtigen elf Sekunden hinter die Sitze falten lässt, und ein vier Liter großer V8-Motor, der den Donnerkeil mit 720 PS und 770 Nm binnen 2,9 Sekunden auf Tempo 100 katapultiert und sich den Widerständen des Windes erst bei 341 km/h geschlagen gibt. Und all das fühlt sich am Steuer unmittelbar und ungefiltert an, weil man sich mit dem Wind in den Haaren und dem Motor im Nacken wie im Kraftraum der Maschine fühlt und so zum Teil des Ganzen wird.

Begeisternde Straßenlage

Mehr noch als mit seiner faszinierenden weil explosiven Längsdynamik begeistert der Brite dabei mit seiner Straßenlage. Denn das Auto ist so gut ausbalanciert und erzeugt so viel Abtrieb, dass einem beinahe alles zu gelingen scheint. Kurve für Kurve steigt man deshalb später auf die Bremse, lenkt schärfer und geht früher wieder aufs Gas und kommt aus dem Staunen kaum mehr heraus.

Natürlich wird der Grenzbereich immer schmaler, je weiter man die beiden Schalter für Antrieb und Fahrwerk im wunderbar aufgeräumten Cockpit nach rechts in Richtung Rennen dreht. Doch mit jeder Kurve wächst die Erkenntnis: Bevor dieses Auto die Grenzen der Physik erreicht, hat der Fahrer die seinigen längst überschritten.

Erstaunlich leiser V8

Der McLaren 720S wird angesichts des Preises für die meisten ein Traum bleiben. Foto: McLaren

Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten probt der McLaren bei all der Raserei allerdings einen eher leisen Auftritt: Das kann man wörtlich nehmen, weil man den Motor schon quälen und vorher auch noch in den Trackmode schalten muss, wenn man den V8 durch seinen Sportauspuff brüllen und wenigstens hin und wieder mal die Böllerschläge der Fehlzündungen hören will.

Und das gilt erst recht im übertragenen Sinn. Denn so ein Spektakel das Auto auch ist, macht es keine große Show. Vielmehr hat alles, was den Blick an diesem Boliden fängt, einen tieferen Sinn. Das gilt für die Karosserie mit den unter einer Art zweiten Haut versteckten und nach innen gewandten Spoilern und Schwellern für die Luftführung genauso wie für das Cockpit, das man auf Knopfdruck soweit wegklappen kann, dass nur noch ein schmales Anzeigeband hinter dem Lenkrad zu sehen ist. Denn damit lässt sich nicht nur der Beifahrer beeindrucken. Vor allem verbessert sich so noch einmal der Blick auf die Strecke und man kann den Tiefflieger noch enger an der Ideallinie führen.

Variable Drift-Control inklusive

Man muss deshalb schon tief im Menü versinken, bis man irgendwann die Variable Drift Control findet, die den Supersportwagen dann doch als Spielzeug outet. Denn statt das Stabilitätssystem wie ein Könner einfach abzuschalten, kann sich der ambitionierte Rennfahrer damit nach und nach an den Grenzbereich herantasten, das Heck immer weiter ausstellen und sehr zur Freude seines Reifenhändlers Millimeter für Millimeter von den teuren Pirellis auf den Asphalt hobeln.

Schneller wird man damit nicht und sicherer auch nicht, räumen die Entwickler ein – aber es macht mehr Spaß und schindet mehr Eindruck, wenn man die Kurven quer nimmt und ein diabolischer Qualm aus den Radkästen quillt. Dass der McLaren so begnadet fährt, liegt aber nicht allein an der irrwitzigen Leistung, dem faszinierenden Fahrwerk und der ausgefeilten Aerodynamik. Sondern auch am radikalen Leichtbau, den Firmenchef Mike Flewitt zur neuen Königsdisziplin ausgerufen hat.

Aufs Gewicht geachtet

Der McLaren 720S ist nun als Spider unterwegs. Foto: McLaren

Denn die Zeiten, in denen man immer stärkere Motoren einbauen kann, gehen unweigerlich zu Ende, ist er überzeugt. Deshalb sind die Briten besonders stolz, dass ihr Spider nur 49 Kilo mehr wiegt als das Coupé und fast zwei Zentner weniger als der leichteste Konkurrent.

So erliegt man im offenen 720S dem Reiz des Rasens und verliert fast den Blick für eine weitere Tugend des Spiders, die der britischen Politik in diesen Tagen ebenfalls nicht schaden könnte: Die Frontscheibe wirkt nicht wie eine Schießscharte, sondern wie die Kanzel eines Kampfjets, im Dach gibt es ein getöntes Glaselement, das sich auf Knopfdruck aufhellt und die C-Säulen sind transparent – so bietet der 720S in jeder Richtung einen nahezu ungehinderten Durchblick. Ach Frau May, wenn Sie und Ihre Mitstreiter den doch auch nur hätten. (SP-X)

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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