Kapitaler Zwölfender

BMW 760i

Mit dem 760i will BMW das Luxus-Segment erobern. Zusammen mit einem famosen 12-Zylinder-Motor soll die neue Achtgang-Automatik die kaufkräftigen Kunden überzeugen.

Von Wolfgang Gomoll

Manchmal sagen Spitznamen einiges über ein neues Auto aus. Bei BMW wird der 760i intern nur «Zwölfender» genannt. Klar. Schließlich ist das Herz des starken Münchners ein neu entwickelter 544-PS-Aluminium-V-12-Motor. Doch der kapitale Hirsch soll auch als Alpha-Tier fungieren und solvente Käufer anlocken. Die kommen bisher vor allem aus den USA, China (da hat der Top-Siebener einen Marktanteil von 23 Prozent) und Deutschland, wo sich 15 Prozent der Kunden im Luxussegment für die bayerische Variante der standesgemäßen Beförderung entschieden haben. Diesen Anteil am heißumkämpften Kuchen sagen die Münchner Analysten auch für den 760i voraus.

Gunst der Schwerreichen

Im Werben um die Gunst der Schwerreichen kombinieren die Münchner einen bärenstarken Motor mit Innovationen. Die hat schon bei den vergangenen Modellen funktioniert: 1994 war der Siebener das erste Automobil mit einem Navigationssystem, mit dem Vorgänger begann 2003 neben der Bangle Trutzburg-Optik das Zeitalter des iDrives und der 760i ist der erste BMW mit einer Achtgang-Automatik.

Der V12 im BMW 760i Foto: BMW

Das neue Getriebe bedeutet einen Paradigmenwechsel: Statt auf einen Drehmomentwandler und sechs Gängen setzt man jetzt auf ein Planetengetriebe, das eine weitere Spreizung mit mehr Fahrstufen kombiniert. Damit werden die Drehzahlsprünge beim Schalten minimiert. Zudem muss bei jedem Gangwechsel nur eine Kupplung geöffnet werden. Damit erreicht die neue Automatik gefühlt den Komfort eines Doppelkupplungsgetriebes. Die Fakten belegen den Eindruck: Die neue Automatik braucht 120 Millisekunden für einen Gangwechsel. Das DSG-Getriebe im BMW M 3 90 Millisekunden. «Es ginge bei der Achtgang-Automatik noch schneller, aber das wurde aus Komfortgründen nicht umgesetzt», erklärt Wolfgang Nehse, Leiter Funktions- und Fahrbeurteilung.

Die Achtgang-Automatik-im BMW 760i Foto: BMW

So eine Entwicklung geschieht natürlich nicht über Nacht. Mittels eines aufwendigen selbstgeschriebenen Softwareprogramms filterten die BMW-Ingenieure zusammen mit dem Auto-Zulieferer ZF aus 1000 Möglichkeiten eines Achtgang-Getriebes das passende heraus.

Achtbares Resultat

Das Resultat dieser Tüftelei kann sich sehen lassen: Das Kopfnicken beim Schalten entfällt. Und das Drehzahl-Niveau, mit dem der 760i über den Asphalt fliegt, ist erstaunlich gering. Bei Tempo 250 sind es im siebten Gang nur 3000 Umdrehungen/Minute, im sechsten Gang sind nur 600 Umdrehungen mehr.

Das Cockpit des BMW 760i Foto: BMW

Allerdings gibt es noch ein paar Baustellen. Das Getriebe ist zwar für die Start-Stopp und Hybrid-Technik (7er Hybrid folgt Ende des Jahres) vorbereitet, doch ersteres bereitet den Münchnern noch Kopfzerbrechen. Das Problem: Die Betreibung elektrischer Verbraucher, wie zum Beispiel der Klima-Anlage, ist, bei ausgeschaltetem Motor, noch nicht zur vollen Zufriedenheit gelöst. «Wir wollen auch dann keine Komforteinbußen für die Kunden», erklärt Produktmanager Uwe Greiner.

Außerdem macht eine gute Automatik alleine noch keinen komfortablen Fahrspaß. Dazu braucht es einen potenten Motors, der Leistungsreserven über das ganze Drehzahlband hat. BMWs Lösung auf die fehlende Unbekannte in dieser Gleichung ist ein neu entwickelter Voll-Aluminium-V12-Motor. Der Stolz auf dieses Kraftwerk platzt den Münchner aus sämtlichen Knopflöchern. «Er repräsentiert die höchste Stufe der Motorbaukunst», trompetet Projektleiter Johann Kistler.

Die Seitenline des BMW 760i Foto: BMW

Das Selbstbewusstsein ist gerechtfertigt. In bester Tradition packten die Münchner ein ganzes Potpourri an Technik in dieses Aggregat: Erstmals wird bei einem 12-Zylinder die Bi-Turbo-Technologie mit einer extrem präzisen Direkteinspritzung kombiniert. Garniert wird das Ganze mit Doppel-Vanos (stufenlose Verstellung der Ein- und Auslassseite der Nockenwelle). Unterm Strich ergibt das eine Leistungssteigerung von 22 Prozent und eine Verbrauchsreduzierung im Vergleich zum Vorgänger. Im Klartext 544 statt 445 PS und 12,9 statt 13,5 l/100 km.

Ultraleichter Gasfuß

Auch wenn dieser Verbrauch nur mit ultraleichten Gasfuß zu erreichen ist, ist die Fortbewegung beim 760i extrem leichtfüßig und mühelos. Bereits ab 1500 Umdrehungen pro Minute steht das volle Drehmoment von 750 Newtonmetern zur Verfügung. Da ist es kein Wunder, dass der Siebener anschiebt, als ob es keinen Morgen mehr gäbe. Den Spint von null auf hundert schafft das Zwei-Tonnen-Schiff in 4,6 Sekunden.

Erst bei 250 km/h schiebt die Elektronik dem Vorwärtsdrang einen Riegel vor. Das Geräuschniveau im Innenraum ist erstaunlich niedrig. Der V12-Motor meldet sich nur beim Beschleunigen zu Wort, hat man aber höhere Geschwindigkeiten erreicht, sind die Wind- und Abrollgeräusche lauter als das Triebwerk.

So souverän die Schnell-Fahrt ist, offenbaren sich, wenn es gemächlicher zugeht, doch kleinere Schwächen. Das hat auch philosophische Gründe: Im Gegensatz zur Mercedes-S-Klasse setzt BMW seit jeher auf eine sportlichere Note beim Komfort. Die offenbart sich vor allem beim langsamen Fahren, wo der Siebener Unebenheiten auch im Komfort-Modus etwas hölzerner ausbügelt als sein Stuttgarter Pendant. Insgesamt bewältigt das adaptive BMW-Fahrwerk trotz serienmäßiger Hinterachs-Luftfederung den Spagat zwischen Komfort und Sportlichkeit nicht ganz so perfekt, wie etwa das des Porsche Panamera. Das ändert aber nichts am agilen Fahrverhalten des fünf Meter langen Münchners (Langversion: 5,21 m). Vor allem, wenn man die aufpreispflichtige Hinterachs-Integral-Aktivlenkung geordert hat.

Parade-Bayer

Diese sportliche Attitüde trägt der Parade-Bayer in bester „Mir-san-Mir“-Manier auch nach außen: Vier außenliegende eckige Auspuff-Endrohre markieren die Potenz des Flaggschiffs. Eckig, weil die runden innenliegenden den M-Modellen vorbehalten sind. Ansonsten zeigen zusätzliche Chromapplikationen (Zierleiste am Heck, Dach, um die Niere) und eine seitliche Chrom-Plakette mit dem Schriftzug „V12“ was da gerade an einem vorbeigeflogen ist.

Davon bekommt der Passagier im Innenraum fast nichts mit. Er erfreut sich am edlen Alcantara bzw. Nappa-Leder-Dachhimmel oder entspannt (wenn er nicht selbst am Steuer sitzt) in den bequemen Fondsitzen mit Massagefunktion.

Das Heck des BMW 760i Foto: BMW

Soviel Luxus hat seinen Preis für den 760i sind mindestens 134.900 Euro fällig. Die Langversion kostet 9.900 Euro mehr. Das - ist auf den ersten Blick betrachtet - eine Menge Holz. Denn dafür bekommt man immerhin zwei 730d (70.500 Euro). Doch wer einen kapitalen Zwölfender «schießen» will, gibt sich nicht mit einem Sechsender zufrieden. Das dürfte im Luxus-Segment ähnlich sein.

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